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Pristina

© promo

Tatendrang: Aufbruch im Kosovo

Das Land auf dem Balkan ist reich an Bodenschätzen – doch Arbeitsplätze sind rar. Dennoch kehren immer mehr Flüchtlinge zurück.

Die Erwartungen sind groß im Kosovo. Die Vorurteile auch. Seit das kleine Land auf dem Balkan im Februar seine Unabhängigkeit ausgerufen hat, wird viel über das Ausmaß der organisierten Kriminalität in der früheren serbischen Provinz spekuliert – und über Korruption. Aber auch von Aufbruchstimmung und Tatendrang ist die Rede. „Ich höre hier oft: ,Zeigt uns, wie es geht, Geld haben wir selber’“, gibt Marcel Schwickert die Grundstimmung wieder. Der Berater der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat schon in vielen Transformationsländern gearbeitet. Eine ähnlich hohe Bereitschaft, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sei ihm dabei bisher nicht begegnet.

Als 1998 die Spannungen mit Serbien eskalierten, kam es zum Krieg und einer Intervention der Nato im Jahr darauf. Danach wurde das Kosovo von den Vereinten Nationen verwaltet. Auch in dieser Zeit kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Albanern, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, und der serbischen Minderheit. Die Unabhängigkeit soll nun von der EU überwacht und unterstützt werden. Allein Deutschland hat dem neuen Staat für die kommenden zwei Jahre 100 Millionen Euro Aufbauhilfe zugesagt. Nur die USA geben mehr. Förderungsschwerpunkt sind Wirtschafts- und Bildungsprojekte.

Das Kosovo ist zwar reich an Bodenschätzen wie Braunkohle, Blei, Zink und Nickel, doch unter serbischer Herrschaft wurde jahrzehntelang kaum etwas in Produktionsstätten und Infrastruktur investiert. Die beiden einzigen Kraftwerke des Landes sind marode und wenig leistungsfähig. Nachdem die internationale Gemeinschaft im Juli vergangenen Jahres rund 1,2 Milliarden Euro Finanzhilfe für das Kosovo zur Verfügung gestellt hat, sollen sie modernisiert werden, ein weiterer geplanter Kraftwerksblock könnte später sogar Strom in Nachbarländer liefern. Vor 2013 dürfte er allerdings kaum ans Netz gehen.

„Es ist klar, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Aber wir haben Potenzial“, sagte Premierminister Hashim Thaci kürzlich vor deutschen Journalisten in Pristina. Die Regierung wird es nicht leicht haben, den hohen Erwartungen der Bevölkerung gerecht zu werden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre, mehr als 30 000 junge Schulabgänger drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Bisher haben nur wenige eine Chance auf Beschäftigung, denn mindestens 40 Prozent der 2,2 Millionen Kosovaren sind arbeitslos. Der serbischen Minderheit geht es noch schlechter.

Nicht selten sichern eine Kuh oder wenige Ziegen mit ihrer Milch das Einkommen einer ganzen Familie – oder Angehörige, die im Ausland leben. Dies sind noch immer rund eine Million, zwischen 250 000 bis 300 000 allein in Deutschland. Ihre Überweisungen machen rund 30 Prozent der Wirtschaftskraft des Landes aus. Inzwischen kehren jedoch immer mehr Flüchtlinge freiwillig zurück oder investieren ihre Ersparnisse in dem neuen Staat. Hysen Bytyci etwa lebte 13 Jahre lang in Mannheim, wo er in einer Papierfabrik arbeitete. 2004 zog er wieder nach Istog im Südwesten des Kosovo und übernahm mit seinen drei Brüdern eine ehemals staatliche Forellenzucht. „Wir hatten den starken Wunsch, etwas für unsere Heimatstadt zu tun“, sagt er. Zu dem Betrieb gehören auch ein Hotel und ein Restaurant. „Der Anfang war schwer, denn wir hatten von Fischzucht keine Ahnung“, bekennt der 40-Jährige.

Mit deutscher Hilfe hat sich das Geschäft jedoch erfolgreich entwickelt. Die GTZ hat die Gründung einer Fischzüchtergenossenschaft mit inzwischen 23 Mitgliedern unterstützt. Experten beraten die Züchter bei Produktion und Vermarktung. Die Farm der Bytycis konnte als einziger Großbetrieb ihre Produktion seither verdreifachen, wie GTZ-Experte Schwickert berichtet. „Inzwischen exportiert der Betrieb sogar Setzlinge.“ Die Zahl der Beschäftigten stieg von 76 auf 120.

In einem Land, das im Ruf steht, organisierten Banden als Geldwaschanlage zu dienen, stellt sich indes die Frage, ob alle, die von deutscher Hilfe profitieren, ausschließlich legale Geschäfte betreiben. Private Unternehmen erhielten kein Geld, sondern würden lediglich beraten, heißt es dazu bei der GTZ. „Natürlich können wir nicht mit letzter Gewissheit sagen, wie ein Investor sein Geld verdient hat. Aber wir sehen, was er damit im Land vorhat – das ist das entscheidende Kriterium für uns“, sagt Schwickert.

In der Nahrungsmittelproduktion sieht der Fachmann große Zukunftschancen, denn bisher werden die meisten Lebensmittel importiert. Landwirtschaftsminister Idriz Vehapi versichert, der Ausbau dieses Wirtschaftssektors habe Priorität: „Schließlich leben 60 Prozent der Bevölkerung auf dem Land.“ Da die überwiegende Mehrheit der Bauern nicht mehr als einen Hektar Land bewirtschaftet, sollen sie sich in Genossenschaften organisieren. Obst, Gemüse, Milchprodukte und auch Wein sind nach Aussage des Ministers Erfolg versprechende Ausfuhrpodukte für die Region – und die EU. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, wird mit Unterstützung der Weltbank eine Agentur für Lebensmittelsicherheit aufgebaut, die europäischen Standards entsprechen soll.

Investoren verspricht die Regierung Rechtssicherheit und eine reaktionsschnelle Bürokratie. Die Wege aus Ländern der EU seien kurz, die Löhne niedrig, heißt es. Bildungsminister Enver Hoxaj kann sich sogar vorstellen, dass europäische Unternehmen ihre Buchhaltung ins Kosovo verlagern. „Wir wollen aber auch verstärkt Kranken- und Altenpfleger ausbilden, die dann im Ausland Arbeit finden können“, sagt er. Noch mangelt es im Kosovo indes an Fachkräften.

Belgrad hatte die albanischen Kosovaren in den 90er Jahren nach und nach von vielen Bildungseinrichtungen ausgeschlossen. Das Bildungsministerium setzt nun auf ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild. „Es ist das beste System der Welt“, schwärmt Hoxhaj. In der Shjefen-Gjecovi-Berufsschule in Pristina werden bereits 800 junge Männer und Frauen mit deutscher und Schweizer Hilfe zu KfZ-Mechanikern, Heizungsbauern, Schweißern, Schneidern und Grafikdesignern ausgebildet. Vorerst müssen sie den praktischen Teil der Ausbildung allerdings in den schulischen Werkstätten absolvieren. Denn geeignete Ausbildungsbetriebe gibt es im Kosovo bisher nicht.

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