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Wirtschaft: Tausende Azubis müssen jetzt zahlen

Regierung senkt Geringverdienergrenze auf 325 Euro und entlastet Unternehmer / Gewerkschaften protestieren

Berlin (ce/fw). Tausende von Lehrlingen vor allem in den neuen Bundesländern müssen ab August wieder mehr Sozialbeiträge zahlen. Zum 1. August hat die Bundesregierung die so genannte Geringverdienergrenze von 400 auf 325 Euro abgesenkt, wie die Bundesknappschaft dem Tagesspiegel bestätigte. Erst im April war diese gleichzeitig mit Einführung der 400Euro-Minijobs angehoben worden. Ausbildende Unternehmen werden damit finanziell deutlich entlastet. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte die Senkung ab. „Diese Maßnahmen sollen den Arbeitgebern offensichtlich zusätzliche Einnahmen zu Lasten der Auszubildenden bringen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock dem Tagesspiegel.

Nur bis zu einem Lehrgeld von 325 Euro müssen Unternehmer künftig die kompletten Sozialabgaben ihrer Auszubildenden übernehmen. In den Monaten von April bis August galt diese Ausnahme für alle Lehrlinge, die weniger als 400 Euro verdienten. Nun senkte die Bundesregierung nach nur vier Monaten die so genannte Geringverdienergrenze wieder auf das alte Niveau. Der Grund: Vor allem in den neuen Bundesländern verdienen zahlreiche Azubis zumindest im ersten Lehrjahr zwischen 325 und 400 Euro – nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung gehören etwa Elektroinstallateure, Fachkräfte im Gastgewerbe und Bürokaufleute dazu. Die Arbeitgeber, die Nachwuchs ausbildeten, würden durch die Sozialabgaben zu stark belastet, erläuterte ein Sprecher der Bundesknappschaft.

Azubis, die vorübergehend von der Neuregelung profitiert haben, werden also wieder stärker zur Kasse gebeten: Ab einer Ausbildungsvergütung in Höhe von 325 Euro zahlen sie seit August die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge selbst. Bei einem Einkommen von 400 Euro wäre das eine durchschnittliche Mehrbelastung für Krankenkassenbeiträge und Rentenversicherung von etwa 68 Euro. „Das ist sehr ärgerlich und konzeptlos“, sagte Verdi-Vorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber dem Tagesspiegel. Azubis würden im Vergleich zu Minijobbern schlechter gestellt. Wer einen Minijob bis 400 Euro annimmt, ist von der Sozialversicherungspflicht befreit. Der Arbeitgeber zahlt in der Regel eine Pauschale in Höhe von 25 Prozent.

Kunkel-Weber, die auch Mitglied der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform war, übte heftige Kritik: Es sei unfassbar, dass die Politik nach so kurzer Zeit auf den Druck der Arbeitgeber eingehe. Im Gegenzug solle die Bundesregierung nun auch von den Arbeitgebern einfordern, dass diese tatsächlich genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellten.

DGB-Vorstandsmitglied Sehrbrock bezweifelt, dass die Arbeitgeber nun mehr Lehrstellen anbieten. „Die Bundesregierung hofft irrtümlich auf das Entgegenkommen der Arbeitgeber“, sagte Sehrbrock. „Aber warum sollten die das tun? Was die Arbeitgeber kriegen können, nehmen sie mit“. Sehrbrock bezeichnet die Umstellung für die Azubis als „ungerecht“. Die Neuregelung treffe eine Gruppe, deren Ausbildungsvergütungen ohnehin nicht üppig seien.

Die Arbeitgeber begrüßten die Maßnahme. „Damit wird ein handwerklicher Fehler behoben“, sagte Günter Lambertz, Ausbildungsexperte vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem Tagesspiegel. Als die Grenze im April im Zuge der Einführung der Minijobs erhöht worden sei, habe man diese „unbeabsichtigte Nebenwirkung“ auf die Azubis schlicht übersehen, so Lambertz. Wäre die Grenze bei 400 Euro geblieben, hätte das die Bereitschaft der Betriebe, auszubilden, erheblich belastet. Wieviel zusätzliche Lehrstellen die Wirtschaft jetzt ohne die Belastung schaffen werde, vermochte Lambertz jedoch nicht zu sagen.

Experten kritisierten die komplizierte Art und Weise, wie die Regierung hier den Unternehmern ermöglicht, Sozialabgaben auf die Gehälter der Lehrlinge umzuwälzen. „Dem Markt traut man nicht – aber die Regierung möchte den Unternehmen trotzdem entgegenkommen“, sagte Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Tagesspiegel. Anstatt den Arbeitgebern von vornherein die Möglichkeit zu geben, die Gehälter zu senken, würden mit der Senkung der Geringverdienergrenze „Ausnahmeregeln geschaffen, die undurchschaubar und ökonomisch nicht sinnvoll sind“.

Erst am Mittwoch hatte die Bundesanstalt für Arbeit bekannt gegeben, dass die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt „weiterhin wesentlich schlechter als vor einem Jahr“ sei. Ende September müsse mit bis zu 60 000 weniger gemeldeten Lehrstellen gerechnet werden als im Vorjahr,

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