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Wirtschaft: Technologie-Trends 2002: Branchen sterben, Ideen leben

Stratton Sclavos hat einen festen Glauben. "Das Jahr 2002", sagt der Chef der kalifornischen Internetfirma VeriSign, "ist das Jahr, in dem das Internet zu neuem Leben erwacht.

Stratton Sclavos hat einen festen Glauben. "Das Jahr 2002", sagt der Chef der kalifornischen Internetfirma VeriSign, "ist das Jahr, in dem das Internet zu neuem Leben erwacht." Viele würden den Mann vielleicht für ein bisschen skurril halten. Ist nicht die gesamte Dot.com-Branche gerade zu Grabe getragen worden? Doch über das Stadium des überdrehten Visionärs ist Sclavos längst hinaus. Seine Firma ist spezialisiert auf Erkennungssysteme im Internet. Sclavos glaubt, dass die Wiedergeburt des Internets durch digitale Identitäts-Dienste vorangetrieben wird, die personalisierte Transaktionen wie den Online-Handel vereinfachen und sicherer machen. Der Meinung ist auch die amerikanische Beratungsfirma Gartner Group: Sie geht davon aus, dass bis Ende 2003 mehr als 40 Millionen Amerikaner digitale Erkennungs-Dienste nutzen werden. Das Beispiel VeriSign zeigt vor allem eines: Branchen sterben selten. Aber sie sind in ständigem Fluss. Sie verändern, entwickeln und verzweigen sich, wenn Forscher Entdeckungen machen und sie zu neuen Technologien weiterentwickeln. Zu den vielversprechendsten Zukunftstechnologien zählen neben dem Internet vor allem die Biotechnologie, die in der Medizin als dem derzeit wichtigsten Anwendungsgebiet das Ziel hat, neue Arzneimittel und Diagnostika zu entwickeln, und die Nanotechnologie, die durch Miniaturisierung Werkstoffen zu völlig neuen Eigenschaften verhelfen will. Sie wird als Querschnittstechnologie alle Bereiche von der Elektronik bis zur Biotechnologie durchziehen. pet

Nanotechnologie: Zwerg mit Riesenchancen

Wenn ein Graffitisprayer eines Tages verzweifelt, weil sich die sorgfältig an Wände und U-Bahn-Waggons gesprühten Kunstwerke mit einem Wasserstrahl problemlos wieder entfernen lassen, dann hat das mit einer neuen Technologie zu tun: Nanotechnologie. Nanos ist das griechische Wort für Zwerg, und zwergenhaft ist das, womit sich die Nanotechnologie beschäftigt: Bekannte Materialien werden zu millionstel Millimeter (Nanometer) kleinen Nanoteilchen geformt und zeigen plötzlich neue Eigenschaften. So wird Glas zum hitzefesten Klebstoff, Werkstoff wird härter als Stahl und gleichzeitig leichter als Kunststoff, Keramik wird elektrisch leitfähig oder schmutzabweisend. Trägt man eine solche schmutzabweisende Nanobeschichtung auf die Außenwand eines U-Bahn-Waggons auf, kann Sprayern die Freude am Sprayen schnell vergehen: An der teflonartigen Mixtur perlt die Farbe einfach ab. Auf der Wunschliste der Nanoforscher stehen aber auch kratzfeste Beschichtungen für Möbel und bruchsicheres Porzellan, universell verwendbare superschnelle Computer mit hochdichten Datenspeichern und hoch selektiv wirkende Arzneimittel. Die Nanotechnologie hat das Potenzial, fast alle Bereiche unseres Lebens - von der Medizin bis zum Automobilbau - zu verändern und einer der großen technologischen Trends dieses Jahrhunderts zu werden. Die Investoren sind fasziniert. "Das Marktpotenzial für alle möglichen Anwendungen der Nanotechnologie ist riesig", sagt Burkhard Brinkmann, Direktor beim Wagniskapitalgeber 3i. Allein der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) schätzt das Potenzial auf 100 Milliarden Euro pro Jahr, andere gehen sogar von 200 bis 300 Milliarden Euro jährlich aus. Dass die Schätzungen so stark variieren, liegt daran, dass die Technik noch sehr jung ist. "Wir stehen relativ am Anfang", sagt der 3i-Experte Brinkmann. Wie er warnt auch Rainer Bierhals vom Fraunhofer-Institut "easy" vor zu großen Erwartungen. "Nano wird heute hochgepuscht", sagt der Innovationsforscher. "Aber ob daraus tatsächlich etwas werden kann, wissen wir erst in zehn Jahren." pet

Biotechnologie: Gene intelligent sortieren

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Juni 2000 kam viel früher, als erwartet. Der Grund waren riesige Computer, die der amerikanische Gen-Unternehmer Craig Venter mit Erfolg einsetzte, um die Suche nach den Bausteinen des Lebens zu beschleunigen. Inzwischen wissen wir, dass Venters Suche erst der Anfang war. Um die genetische Ursache für bislang unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs zu finden, muss die Flut von Daten aus der Entschlüsselung des Genoms nun intelligent und schnell sortiert und analysiert werden. Bei der Lösung dieser kniffligen Aufgabe werden auch in Zukunft leistungsfähige Computer wieder eine wichtige Rolle spielen: Mit Hilfe der Bioinformatik - der Verbindung von Informatik und Biotechnologie - wollen Forscher insbesondere herausfinden, welche Gene bei der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind und wie verschiedene Gene und Proteine dabei zusammenwirken. Dieses Wissen könnte die Entwicklung neuer Arzneimittel revolutionieren, weil auf diese Weise neue Ansatzpunkte für Medikamente gefunden werden können. Die Boston Consulting Group hat ausgerechnet, dass die Entwicklung eines einzigen Medikaments heute bis zu 880 Millionen Dollar kostet und bis zu 15 Jahre dauert. Mit Hilfe der Bioinformatik könnten die Kosten um 300 Millionen Dollar gesenkt und die Entwicklungszeit um zwei Jahre verkürzt werden, schätzen die Experten. Unter den neuen Technologien spielen Biochips eine wichtige Rolle: Anhand einer winzigen Blutprobe hoffen Forscher, einmal einen genetischen Fingerabdruck erstellen und herausfinden zu können, welche Gene an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind oder mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Krankheit bei einem Patienten tatsächlich auftritt. Ob es dann allerdings auch schon eine Heilung für diese Krankheit gibt, ist eine andere Frage. "Die Biotechnologie ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhundert", sagt Analyst Markus Krämer von Oppenheim Research. Aber die genetische Revolution steht noch ganz am Anfang. pet

Hardware: Mobilität ist Trumpf

Der Markt für Computer-Hardware im Jahr 2002 steht ganz im Zeichen der Mobilität. Kabel sind out, "Mobile Business" heißt das Zauberwort. Hinter diesem Begriff verbergen sich eine Reihe von Erfindungen, die die Beweglichkeit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz erhöhen sollen. So ermöglichen etwa lokale drahtlose Netzwerke (Wireless LAN) den mobilen Zugang zum firmeninternen Netzwerk per Laptop. Mit der Funktechnik Bluetooth können Zusatz-Geräte wie beispielsweise Drucker gesteuert werden. Allerdings haben beide Systeme nur eine begrenzte Reichweite, ihr Einsatzgebiet ist daher beschränkt. Hersteller wie Fujitsu Siemens und Compaq erwarten, dass die Techniken in diesem Jahr den Durchbruch auf dem Markt schaffen werden. "Die Mobilität wird immer wichtiger für die Menschen. Sie wollen flexibel auf ihre Daten zugreifen", sagt Barbara Schädler von Fujitsu-Siemens.

Voraussetzung dafür: ein Notebook. "Der Trend führt eindeutig hin zum mobilen Computer - und weg vom Desktop-PC", sagt Herbert Wenk vom Hardware-Hersteller Compaq. Der Laptop-Verkauf, der derzeit ein gutes Drittel des Marktes ausmacht, war dem Branchenverbandes Bitkom zufolge bereits im vergangenen Jahr die Lokomotive des ansonsten schwachen Computer-Geschäfts und wird auch 2002 weiter wachsen. Auch mit dem Gesamtgeschäft soll es bergauf gehen. Da das Boomjahr 2000 jetzt schon eine Weile zurückliegt, rechnet Wenk damit, dass dieses Jahr wieder verstärkt neue Computer gekauft werden: "Der technische Fortschritt bleibt ja nicht stehen."

Davon werden auch die Hersteller von Computer-Prozessoren profitieren. Der Wettlauf der US-Konkurrenten AMD und Intel um neue Geschwindigkeitsrekorde wird sich im neuen Jahr fortsetzen. Marktführer Intel wird an diesem Montag seinen neuen Pentium-4-Prozessor mit einer Frequenz von 2,2 Gigahertz vorstellen. Im Laufe des Jahres wird nach Einschätzung von Brian Gammage, Analyst beim Marktforschungsunternehmen Gartner, die Marke von drei Gigahertz durchbrochen werden. opp

Software: Speicher für die Datenflut

Die Softwarebranche legt in diesem Jahr eine Atempause ein. Nach dem Boom zur Jahrtausendwende und der Einführung der neuen Betriebssysteme Windows XP von Microsoft und MacOS X von Apple im vergangenen Jahr werden 2002 keine wirklich bahnbrechenden Neuentwicklungen der Branchenführer erwartet. Dennoch rechnet der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) in diesem Jahr mit einer Umsatzsteigerung von 9,1 Prozent auf 18 Milliarden Euro. Als Konjunkturmotor gilt aber nicht der Verkauf von anwenderbezogenen Entwicklungen, sondern die Betreuung neuer Systeme. Vor allem dem Internet- und Onlinemarkt sowie dem Application Service Providing (ASP) werden überdurchschnittliche Wachstumsraten vorhergesagt. ASP ermöglicht das Speichern von Anwendungen samt Daten auf Fremdservern und galt schon in den Vorjahren als Konjunkturmotor. Durchgesetzt hat sich der Service allerdings noch nicht. Der Computerkonzern Apple, der mit sinkenden Marktanteilen zu kämpfen hat, hat die wichtigsten Software-Innovationen "im Vorjahr getätigt", wie Sprecher Georg Albrecht bemerkt. 2002 werde sich Apple hauptsächlich mit der Weiterentwicklung beschäftigen. Interessant werde die Macworld Expo vom 8. bis 11. Januar in San Francisco, bei der das Unternehmen bekannt geben will, welche Wettbewerber in den Apple-Softwaremarkt einsteigen werden. Von Microsoft wird neben den jährlichen Updates der Internet-Providersoftware die Premiere eines Teils der DOT-Net-Strategie erwartet. An Stelle des Komplettpaketes auf CD sollen dann Dienste treten, die bei Bedarf über das Internet abgerufen und zu einer Anwendung kombiniert werden. Das Internet umspannende Benutzerplattformen dienen auch als wichtiges Element zur Bekämpfung von Softwarepiraterie. Der Handel mit kopierter und illegaler Software kostete die Branche im Jahr 2000 nach einer Studie der Business Software Alliance weltweit 11,8 Milliarden Dollar. Der Anteil illegaler Software sank jedoch seit 1994 auf 28 Prozent. jab

Telekommunikation: UMTS vor dem Start

Im Jahr 2002 werden die Weichen gestellt, wer beim künftigen Multimedia-Mobilfunk UMTS die Nase vorn haben wird. Zwar rechnen Experten nicht vor Ende des Jahres mit einem signifikanten kommerziellen Start. "Die erste Offensive wird es im kommenden Weihnachtsgeschäft geben - allerdings in deutlich geringerem Umfang als ursprünglich erwartet", sagt Roman Friedrich, Partner bei der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Dennoch erwartet er 2002 eine "Explosion von Produktinnovationen" im Mobilfunk. "Die künftigen UMTS-Anbieter versuchen herauszufinden, welche Angebote im Markt fliegen", sagt Friedrich.

Getestet werden die neuen Anwendungen mit bereits vorhandenen Techniken. Deutlich mehr Nutzer erwartet Josef Mago, Geschäftsführer Mobilfunk bei der Unternehmensberatung Accenture, etwa bei der schnellen mobilen Datenübertragung via GPRS. Skeptisch ist Mago jedoch, ob der in Japan so erfolgreiche mobile Internetdienst I-Mode auch hier zu Lande ein Renner wird. E-Plus plant die Einführung von I-Mode im Frühjahr. "Wenn E-Plus ansprechende Geräte, benutzerfreundliche Bedienung und interessante Inhalte kombinieren kann, hat I-Mode durchaus eine Chance", sagt Mago.

Breitbandtechnologien, die eine schnelle Übertragung von Daten ermöglichen, sind für Mago der Megatrend im Jahr 2002 - nicht nur im Mobilfunk. Im Festnetz hat die Deutsche Telekom den Markt für den breitbandigen Zugang (DSL) allerdings noch fest im Griff. "Hier entscheidet die Regulierungsbehörde, ob auch andere Anbieter eine Chance bekommen", sagt Friedrich. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation prüft gerade das DSL-Angebot der Telekom und die Preise, die das Unternehmen von Wettbewerbern verlangen kann, die Telekom-Leitungen nutzen wollen.

Friedrich erwartet, dass sich bei den Preisen für Telefongespräche im Festnetz in diesem Jahr wenig tun wird. "Die Luft ist aus dem Geschäft weitgehend raus", sagt auch Mago. Beide Experten rechnen damit, dass weitere Call-by-Call-Anbieter vom Markt verschwinden werden. vis

Werkstoffe: Leichter, fester, flexibler

Leichter, fester, flexibler, das sind die wichtigsten Anforderungen an neue Werkstoffe. Neuerdings wird sogar Intelligenz erwartet. "Smart" nennt man die pfiffigen Nanomaterialien, die wahre Wunder an Anpassung vollbringen, wie Helmut Schmidt, Direktor des Forschungszentrums Neue Materialien in Saarbrücken, erklärt. Doch auch herkömmliche Werkstoffe verblüffen mit ganz neuen Eigenschaften. Zwar bilden Eisen, Leichtmetall, Kunststoff und Keramik nach wie vor die Basis. Die intelligente Kombination der Materialien bringt den entscheidenden Vorteil.

Verminderter Treibstoffverbrauch, geringere Emissionswerte sowie leistungsfähigere Katalysatoren sind auch verbesserten und vor allem leichteren Stahl- und Aluminiumsorten zu verdanken. Verbesserungen bringen unterschiedliche Beimischungen von Graphit oder Eisencarbid. Der Effekt zeigt sich im Gewicht. Motoren wiegen heute nur halb so viel wie vor dreißig Jahren, sagt Franz-Josel Brenner vom Forschungszentrum Jülich. Was Stahl beim "Diesel" ist, ist Aluminium bei "Benzinern". Aus hochfestem Aluminium lassen sich komplette Blöcke vom Kurbelgehäuse bis zum Zylinderkopf herstellen. Als besonders aufregend bezeichnet der Jülicher Physiker die Entwicklung bei Magnesium, das nur halb so schwer ist wie Aluminium.

Vom Metall weg bewegen sich die Flugzeugbauer. Für den Rumpf, der heute noch völlig aus Aluminium besteht, ziehen sie zunehmend Kunststoff in Betracht. Dabei handelt es sich um Kohlenstoff-Faser-verstärkten Kunststoff (CFK). Superharte Werkzeuge lassen sich aus ähnlichen Verbundwerkstoffen herstellen, die zudem Metall enthalten. Keramiken im Verbund mit Fasern aus Kohlenstoff, Siliciumcarbid oder Aluminiumoxid sind besonders verschleißfest und temperaturbeständig, was sich beispielsweise beim Hitzeschutz der Spaceshuttles und der Bremsscheiben bei der Concorde zeigt. Faserverstärkte Keramiken helfen immer mehr auch bei Autos beim Bremsen und schützen Industriemotoren vor dem Verschleiß. pja

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