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Wirtschaft: Teure Konsumgewohnheiten beflügeln Pharmabranche

Die reichen westlichen Gesellschaften haben ein neues Arzneimittelproblem.Eine Revolution in der pharmazeutischen Forschung, Werbung für mehrere Milliarden Dollar und der gierige Hunger nach Viagra, Claritin und andere kostspielige Pillen treiben die Ausgaben für Arzneimittel in schwindelerregende Höhen.

Die reichen westlichen Gesellschaften haben ein neues Arzneimittelproblem.Eine Revolution in der pharmazeutischen Forschung, Werbung für mehrere Milliarden Dollar und der gierige Hunger nach Viagra, Claritin und andere kostspielige Pillen treiben die Ausgaben für Arzneimittel in schwindelerregende Höhen.

Apotheken im Einzelhandel werden dieses Jahr 102,5 Mrd.Dollar mit dem Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente verdienen - eine Zunahme von 85 Prozent in einem Jahrzehnt.Arzneimittelverkäufe haben in diesem Jahr in den USA um 16,6 Prozent zugenommen.Und die Preise für bestimmte Medikamente sind um 20 Prozent und mehr im vergangenen Jahr gestiegen.Das Wachstum in Europa beträgt dagegen nur sechs Prozent: Regierungskontrollen unterbinden aggressive Preissteigerungen, wie sie in den USA zu beobachten sind.

Für Pharmaunternehmen und ihre Aktionäre könnten die Neuigkeiten kaum besser sein: Es wird ein Gewinnwachstum der US-Arzneimittelhersteller von jährlich 16 bis 18 Prozent in den nächsten vier Jahren erwartet.Das Gewinnwachstum der europäischen Giganten bis zum Jahr 2003 wird mit zwölf Prozent ein bißchen moderater eingestuft.Aber des einen Freud ist des anderen Leid: US-Unternehmen müssen die zunehmenden Verschreibungskosten ihrer Arbeitnehmer bewältigen.Beim Autohersteller Chrysler haben die Ausgaben für verschreibungspflichtige Medikamente um 86 Prozent in den vergangenen fünf Jahren zugenommen.

Die europäischen Länder kämpfen mit einem Defizit im öffentlichen Gesundheitswesen, obwohl der Anteil der Ausgaben für die Gesundheitsversorgung am Bruttoinlandsprodukt in der Europäischen Union wesentlich geringer ausfällt als in den USA.Frankreich versuchte jüngst sein Loch von 2,38 Mrd.Dollar im nationalen Gesundheitssystem zu stopfen, indem es den Pharmaunternehmen eine Steuer auf den Produktionsprozeß aufbrummte."Europa kann es sich nicht leisten, für diese Medikamente zu zahlen.Wir stellen fest, daß sich die Situation auf dem Kontinent verschlechtert", sagt Mark Becker, ein Analyst von J.P.Morgan.Die Gründe für das Ausufern sind zahlreich.Enorme Fortschritte in der Forschung haben es den Arzneimittelherstellern ermöglicht, eine Menge von neuen - und kostspieligen - Pharmazeutika auf den Markt zu bringen, die Krankheiten behandeln, die einst unheilbar waren wie Aids, Arthrithis und Brustkrebs.Aber mit den neuen Arzneien schossen auch die Entwicklungskosten in die Höhe, besonders für die klinischen Tests.Im allgemeinen kostete eine Pille vor einigen Jahren noch zwei Dollar.Die Preise liegen heute bei vier, elf, sogar zuweilen bei 15 Dollar das Stück.Zudem hat gerade in Amerika die Nachfrage nach Markenmedikamenten zugenommen.Amerika steht allerdings alleine da, was die Preisfindung bei Arzneimitteln betrifft.Die Regierung hat es dem Markt überlassen, die Preise zu setzen.

Die USA sind marktführend in der Arzneimittelentwicklung.US-amerikanische Firmen produzierten rund die Hälfte aller Medikamente, die zwischen 1974 und 1995 auf den Markt kamen, weitaus mehr als England mit einem Anteil von 14 Prozent.Und die Entwicklung beschleunigt sich: Zwischen 1995 und 1997 führte die Pharmaindustrie 120 neue Produkte auf dem Markt ein, und es wird noch mit 30 weiteren bis Anfang kommenden Jahres gerechnet."Amerika ist die Wachstumslokomotive nicht nur für unser Unternehmen, sondern für die gesamte Industrie", sagt Fred Hassan, Vorstandsvorsitzender der Pharmacia & Upjohn Inc.Es sei der beste Markt für neue Produkte und Innovationen.Die europäischen Rivalen entwickeln derzeit Strategien, um die Gewinne ihrer amerikanischen Kollegen nachzuahmen: Wenn wir nur annähernd an die Gewinne unserer reichen amerikanischen Konkurrenten herankommen wollen, müssen wir unsere Aktivitäten auf dem US-amerikanischen Markt ausweiten", sagt Giuseppe Vita, Vorstandsvorsitzender der Schering AG.Die Testverfahren der Medikamente an den Patienten sind oft langwierig und kosten ein Unternehmen 150 Mill.Dollar oder mehr, und meist wird nur ein winziger Anteil letztlich auf den Markt gebracht.

"Arzneimittelpreise haben oft nicht viel mit den tatsächlichen Kosten der Entwicklung zu tun.Die gesamten Inhaltsstoffe eines Produktes sind nur einer von vielen Faktoren, die in die Preissetzung eingehen", sagt David Anstice von Merck.Weitere Faktoren, die betrachtet werden, sind die Konkurrenz, die Effektivität des Medikaments, die Kosten für zusätzliche klinische Versuche.Der wichtigste Faktor ist und bleibt natürlich der Gewinn.Die Gewinnmargen im Arzneimittelhandel wecken den Neid anderer Branchen.Bei Viagra wird eine Bruttogewinnspanne von 98 Prozent angesetzt.

Die Pharmagiganten leiten einen erheblichen Teil ihrer Gewinne in das Unternehmen zurück.Ihre Forschung verschlingt 20 Prozent der Einnahmen, die US-Pharmaindustrie wird in diesem Jahr rund 17 Mrd.Dollar in die Forschung stecken.Für weitere 11 Mrd.Dollar wird die Werbetrommel gerührt, um den Konsumenten und Mediziner die Produkte schmackhaft zu machen.Doch gerade diese Vermarktungsstrategien erregen den Zorn öffentlicher Institutionen."In vielen Fällen wird viel Geld für Pharmazeutika ausgegeben, die nur marginal die Lebensqualität des Patienten verbessern.Sollten so öffentliche Gelder verschwendet werden?", fragt Bruce Bullen, von der Massachusetts Krankenversicherung und Gesundheitsfürsorge für Einkommensschwache.Noch bis vor fünf Jahren gab sein Verein dreimal so viel für Krankenhausaufenthalte aus wie für Arzneimittel.Die Kosten für Arzneimittel nehmen jedoch rapide zu.Bereits vor fünf Jahren wurden in den USA Pharmaunternehmen dazu angehalten, den Preissteigerungen Einhalt zu gebieten.Die Firmen handelten kurzfristig und setzten sich nicht mit den Problemen auseinander, sagt Woodrow Meyers von Ford."Ich hoffe, die Unternehmen denken nicht, daß der Topf endlos ausgeschöpft werden kann."

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Weltwirtschaft), Michelle Schmitz (US-Pharmamarkt, Hurrikan) und Svenja Rothley (EU-Steuerharmonisierung).

ELYSE TANOUYE

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