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Wirtschaft: Thoms Törring

(Geb. 1933)||Er war Prof. Dr., für die Kollegen von der Theorie jedoch nur ein „Messknecht“.

Er war Prof. Dr., für die Kollegen von der Theorie jedoch nur ein „Messknecht“. Da gibt es die mit den spitzen Bleistiften und die, die den ganzen Tag im Labor stehen und an komplizierten Messanlagen basteln. Er selbst rechnete sich zur zweiten Kategorie. Nicht, dass Prof. Dr. Thoms Törring die Arbeit seiner Kollegen nicht interessiert hätte, aber die eigentliche Physik, das war für ihn die experimentelle und nicht die theoretische.

Das Aufstellen von Gleichungen und kosmologischen Theorien überließ er anderen, er versenkte sich in die phantastische Welt der Moleküle. Die Arbeit an der Materie, messtechnisches Aufspüren verborgener Teilcheneigenschaften – wenn es ihm nach mühevoller Detailarbeit und mithilfe einer komplexen, selbst entwickelten Apparatur gelang, nie zuvor beobachtete Spektren ultrahoch erhitzter Moleküle aufzuzeichnen und zu interpretieren, dann war er begeistert. Mikrowellen-Rotationsspektroskopie hieß sein Fachgebiet.

Dass selbst unter Kollegen nur ein kleinerer Teil seinen Forschungsergebnissen folgen konnte, war ihm bewusst. Es hielt ihn nicht davon ab, immer weiter ins Unentdeckte vorzudringen. Schritt für Schritt einem aussagekräftigen, eindeutigen Ergebnis näher kommen, nicht einfach drauflospreschen – in diesem Selbstverständnis forschte er.

Seine Entdeckungen und die anderer gab er an die Jüngeren weiter. Die Studenten mochten seine immer wieder auf den neuesten Stand gebrachten Vorlesungen. „Älterer Herr mit feinem Humor“, schrieb ein Student einmal in den Bewertungsbogen. Das gefiel Thoms Törring. Er war kein Mensch, der sich gern in den Vordergrund spielte. „Der beste Lehrer ist der, der sich am schnellsten überflüssig macht“, fand er.

In seiner Jugend schraubte er elektrische Geräte auseinander und setzte sie wieder zusammen. Es sprach sich herum, dass er hervorragend reparieren konnte. Für seine Reparaturdienste erhielt er dann Kartoffeln und andere Nahrungsmittel, die er stolz seiner Mutter übergab. „Manchmal musste ich einfach nur gegen ein Gerät klopfen, dann funktionierte es wieder“, erzählte er seinen vier Kindern später. Den einen oder anderen Hausbesucher hat er damals mit einer an ein Feldtelefon angeschlossenen Türklingel begrüßt. Eine kleine Kurbelbewegung am Telefon und der Gast spürte es sanft prickeln in der Handfläche.

Nach dem Physik-Studium in Göttingen kam er 1958 nach Berlin. 1961 Promotion. Von 1968 bis 1995 Professor an der Freien Universität. Wie viele Messanlagen er in seinem Labor auf- und wieder abgebaut hat, kann niemand sagen – eine Arbeit, die nicht nur den analytischen Kopf forderte, sondern auch handwerkliches Geschick und Kraft. Unentwegtes Tüfteln, ständig begleitet von apparativen Rückschlägen. Nicht umsonst nennen die theoretischen Physiker ihre Labor-Kollegen „Messknechte“.

Leidenschaftlich gern spielte Thoms Törring Viola da Gamba, zu Hause und in einer Barock-Musikgruppe. Zehn Gamben zieren die Wände der Wohnung in Friedenau, angefangen von kleinen geigenförmigen bis cellogroßen Instrumenten. Über Jahrzehnte versuchte er, mit ungewöhnlichen elektronischen Schaltanordnungen den Klang der alten Instrumente so unverfälscht wie möglich aufzunehmen. Ein schwieriges Unterfangen. Anfangs benutzte er wegen der besseren Bandqualität einen Videorekorder als Aufzeichnungsgerät. Die eigenwillige Apparatur, die er zu den Konzerten seiner Musiker-Freunde im Saal aufbaute, fiel vor allem dadurch auf, dass sie kein Gerät zum Abmischen oder Aussteuern enthielt.

Als er an Krebs erkrankte, machte er sich in aller Genauigkeit über Krankheit und Therapiemöglichkeiten sachkundig und kam zu der nüchternen Feststellung: „Ich habe ganz schlechte Karten.“ Es blieben ihm drei Jahre.

„Wenn ich einmal tot bin, werden die Physiker sagen, ich war ein guter Musiker, und die Musiker werden sagen, ich war ein guter Physiker!“ Eines sagen alle: Er war unglaublich bescheiden.

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