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Wirtschaft: Tischbekenntnisse

Der Schreibtisch sagt viel über denjenigen aus, der an ihm arbeitet. Eine Studie von Kölner Design-Professoren hat Arbeitsplätze rund um den Globus analysiert.

Herzchenbox, Handcreme, eine Schale mit Bonbons, ein Stiftehalter, ein rosa Glücksschwein, davor eine Packung Kleenex, eine Tablettenverpackung, eine Flasche Cola, eine Yuccapalme. Hinter dem Computer-Bildschirm schaut der Kopf einer großen Pinocchio-Figur aus Holz hervor, an der Wand hängt ein Familienfoto. Dieses Stillleben spielt sich auf dem Schreibtisch einer Kölner Callcenter-Mitarbeiterin ab. Es wurde von Studenten des Designprofessors Michael Erlhoff von der Köln International School of Design (KISD) aufgenommen.

Zusammen mit seiner Kollegin Uta Brandes hat er die Studie „My Desk is my Castle – Exploring Personalization Cultures“ erstellt und dafür Schreibtische rund um den Globus fotografieren lassen. Seine Studenten gingen in Callcenter, öffentliche Verwaltungen und Banken und knipsten die Schreibtischoberflächen von Männern und Frauen, von Berufsanfängern und Führungskräften. Anschließend wertete Erlhoff mit seinem Team die Bilder aus.

„Wir gehen davon aus, dass sich Design erst aus dem Gebrauch heraus realisiert“, erklärt Erlhoff. Seine Studie habe ergeben, dass der Schreibtisch vielmehr sei als der Ort, an dem man seine Arbeit verrichte. Man wolle sich dort heimisch fühlen und nicht zuletzt sei er auch eine Bühne: Mit einem schlauen Buch auf dem Tisch suggeriere man seinem Gegenüber beispielsweise, dass man sich gerade mit einen wichtigen Thema auseinandersetze. „Familienfotos werden gerne so aufgestellt, dass die Menschen, die vorbeigehen, sie sehen“, sagt Erlhoff. Man könne den Schreibtisch mit Kleidung vergleichen.„Mit Jacke und Hose will sich der Träger einerseits gegen Wind und Wetter schützen, andererseits kommuniziert er damit auch und möchte sich ausdrücken“, sagt der Design-Experte.

Im Arbeitsalltag kann ein chaotischer Schreibtisch leicht zur Karrierebremse werden, weil er vermittelt, der Mitarbeiter habe seine Arbeit nicht im Griff, weiß Roswita Brauer-Scherf. Die Kauffrau aus Potsdam berät Unternehmen in den Bereichen Arbeits- und Büroorganisation, Selbst- und Stressmanagement und schult Mitarbeiter im Umgang mit dem Chaos auf dem Schreibtisch. „Wenn sie den Überblick haben über das, was sie wann und wie tun wollen, sind sie auch freier im Kopf und somit konzentrierter“, sagt sie.

Im Rahmen ihrer Beratung unterstützt sie die Teilnehmer auch bei der praktischen Umsetzung. „Da geht es um die Organisation der täglichen Informationsflut und der Termine, um das Setzen von Prioritäten oder um den persönlichen Umgang mit Herausforderungen“, sagt sie. Bei der Organisation von Papierunterlagen und elektronischen Dokumenten stellt sich ihrer Meinung nach die Frage: „Wie transparent ist die Ordnung für mich, aber auch für die Anderen im Vertretungsfall?“ Brauer-Scherf ist nicht generell gegen persönliche Dinge auf dem Schreibtisch: „Ein schönes Bild, das zum Innehalten einlädt, kann hilfreich sein in stressigen Zeiten“, sagt sie.

Bei Michael Hofer, Pressesprecher der Messe Berlin, zeigt dieses Bild den Start einer Ariane-5-Rakete. „Es symbolisiert für mich permanente Aufbruchstimmung und die immer neuen Aufgaben, denen ich mich in meinem Job gegenüber sehe“, sagt er. Ansonsten stapeln sich auf seinem Schreib- und Besprechungstisch Zeitungen und Zeitschriften, geordnet nach Themen. „Meist sieht es bei meinen Mitarbeitern, die sich in Zweier-Teams Büros teilen, ordentlicher aus“, gibt er zu. Vorgaben, wie die Schreibtische auszusehen haben, macht die Messe Berlin aber nicht.

Das hält der Kölner Design-Professor Erlhoff auch für unwirksam: „Im indischen Puna haben wir ein Designstudio besucht, wo der Chef überzeugt war, dass die Schreibtische seiner Mitarbeiter wie geleckt aussehen. Doch offenbar guckt der Mann nie hin: Wir fanden religiöse Figürchen und Fußballbilder, all das, was eigentlich nicht da sein durfte.“ Überhaupt waren Heiligenfigürchen in Asien, aber auch in Brasilien sehr verbreitetet. In Japan begegnete den Forschern immer wieder die Figur eines alten Mannes mit langem Bart, dem Gott der Fruchtbarkeit. Er wurde in einem Supermarkt verschenkt und fand so den Weg auf die Schreibtische. Das Kopfschütteln über kulturelle Eigenheiten sei gegenseitig, stellten Erlhoff und seine Kollegen fest. Als er Mitarbeitern aus einem Hongkonger Designstudio mit extrem chaotischen Tischen die Bilder eines aufgeräumten deutschen Büros zeigte, waren sie entsetzt. „Sie verstanden nicht, wie den deutschen Kollegen an ihren aufgeräumten Tischen überhaupt etwas einfallen konnte.“

Die Forscher interessierten sich auch für den Unterschied zwischen den Geschlechtern, und waren überrascht, dass sich Klischees bestätigten. „In 80 Prozent der Fälle konnten wir richtig tippen, ob ein Mann oder eine Frau an dem Platz arbeitet“, sagt Erlhoff. Bei Frauen waren die Farben pastellig, es gab viele Figuren, häufig lagen Handtasche, Essen oder Medikamente auf dem Schreibtisch. Männer drapierten lieber Statussymbole wie Autoschlüssel oder das neue Smartphone.

Die Büromöbel-Industrie zeigt bereits Interesse an Erlhoffs Studie. Von ihr erhofft sich der Professor modulare Systeme, die Mitarbeitern die Möglichkeit geben, sich individuell auszudrücken. Dass der Schreibtisch irgendwann überflüssig wird, glaubt Erlhoff nicht: „Selbst unsere Studenten wollen, wenn es auf den Abschluss zugeht, lieber einen Schreibtisch an der Uni haben als mit dem Laptop unter der Brücke zu sitzen.“

Uta Brandes, Michael Erlhoff: My Desk is my Castle: Exploring Personalization Cultures, Birkhäuser Verlag.

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