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Wirtschaft: Tokio in Erklärungsnöten

Japanisches Strohfeuer: Konjunkturprogramm bleibt hinter den Erwartungen zurückVON ANDREAS GANDOW (HB) TOKIO.Beim heutigen Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G7-Staaten in Washington bildet Japans in eine Deflationskrise abgleitende Volkswirtschaft einen der vorrangigen Beratungspunkte.

Japanisches Strohfeuer: Konjunkturprogramm bleibt hinter den Erwartungen zurückVON ANDREAS GANDOW (HB) TOKIO.Beim heutigen Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G7-Staaten in Washington bildet Japans in eine Deflationskrise abgleitende Volkswirtschaft einen der vorrangigen Beratungspunkte.Aus dem japanischen Finanzministerium verlautete in der üblichen Selbstsicherheit, Tokio habe mit dem von Ministerpräsident Hashimoto am vergangenen Donnerstag angekündigten Konjunkturprogramm die Forderungen der übrigen G7-Partner "zum größten Teil" berücksichtigt. Tatsächlich bleibt Tokios neues, viel zu spät kommendes Konjunkturprogramm nicht nur weit hinter den Forderungen der USA, führender Ökonomen und der Wirtschaftsverbände zurück, sondern ist selbst in der Spitze der regierenden Liberaldemokratischen Partei heftig umstritten.Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann sogar von einem echten Konjunkturprogramm noch keine Rede sein, da Hashimoto lediglich grobe Eckdaten bekanntgab.Für deren politische Umsetzung müssen nun zuerst einmal die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden.Die japanische Regierung hat sich mit dem Ende vergangenen Jahres verabschiedeten Haushaltskonsolidierungsgesetz bei völliger Fehleinschätzung der Wirtschaftslage selbst die Hände gebunden. Die nach Bestechungsaffären in ihren jeweiligen Häusern erst kürzlich ins Amt gekommenen japanischen Spitzenvertreter bei dem G7-Treffen, Finanzminister Matsunaga und Notenbank-Gouverneur Hayami, stehen in Washington vor einer heiklen Aufgabe.Sie müssen darlegen, wann die von Hashimoto angekündigten weiteren Einkommensteuersenkungen wirksam werden sollen.Außerdem müssen sie erklären, mit welcher Art von Investitionen Tokio seine stagnierende Wirtschaft beleben will, um so den längst fälligen Beitrag zur Überwindung der Krise in Asien zu erbringen. Mit einem Steuerentlastungsvolumen von 4 Billionen Yen oder umgerechnet 56 Mrd.DM bleibt Japan weit hinter der Forderung der USA von 10 Billionen Yen zurück.Für das kommende Jahr zeichnet sich für die Konsumenten sogar eine Steuermehrbelastung ab.Darüber hinaus wird der Generalsekretär der Liberaldemokraten, Kato, nicht müde zu erklären, daß selbst von dieser Steuerentlastung von 4 Billionen Yen kaum ein wachstumsstimulierender Effekt, statt dessen aber ein weiterer Anstieg der Sparquote zu erwarten sei. Kato begründet seine Einschätzung mit dem durchaus ernstzunehmenden Argument, daß die wahren Ursachen der Konsumschwäche die Erschütterung des Vertrauens in die Solidität des Bankensystems und die Sorge hinsichtlich der finanziellen Absicherung im Alter seien.Er plädiert für eine noch größere Ausweitung der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, von denen ein erheblich größerer Multiplikatoreffekt zu erwarten sei.Die offene Distanzierung Katos von den Entscheidungen des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Hashimoto drei Monate vor den Oberhauswahlen dürfte vor allem das Ziel verfolgen, sich in der parteiinternen Auseinandersetzung um die Hashimoto-Nachfolge eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Bemerkenswert an den Erklärungen Katos vor der internationalen Presse in Tokio ist auch, daß er erstmals Gründe für das wirtschaftspolitische Mißmanagement der Regierung Hashimoto im Laufe des vergangenen Jahres nennt, die ebenfalls dem Ministerpräsidenten anzulasten sind: die beschleunigte Finanzliberalisierung und verschärften Anforderungen an das Bankmanagement aufgrund einer unzutreffenden Einschätzung der Verfassung der Finanzinstitute. Anzumerken bleibt, daß einerseits verschiedene japanische Regierungen seit Beginn der neunziger Jahre aus Unverstand, Scheu vor der öffentlichen Meinung und Hoffnung auf bessere Zeiten eine grundlegende Bewältigung der Probleme des Bankensystems vor sich hergeschoben haben.Andererseits hat die damals noch existierende oppositionelle Erneuerungspartei im Herbst 1996 mit der Forderung nach einer massiven Steuerentlastung für die Wirtschaft ihren Wahlkampf geführt.An zutreffenden Analysen bestand eigentlich kein Mangel. Welche Schwerpunkte bei den von Hashimoto angekündigten zusätzlichen Infrastrukturprojekten mit einem Volumen von rund 6 Billionen Yen gesetzt werden sollen, ist noch weitgehend unklar.Wie bei den bisherigen Ausgabenprogrammen besteht erneut die Gefahr, daß nach einem kurzfristigen strohfeuerartigen Effekt nur eine noch größere Aufblähung der Staatsverschuldung zurückbleibt.Gerade dies aber sollte mit dem Haushaltskonsolidierungsgesetz verhindert werden. Es ist außerordentlich fraglich, ob Finanzminister Matsunaga in Washington überzeugende Antworten geben kann.Hauptkritik an dem konjunkturpolitischen Konzept Hashimotos, das bis Ende diesen Monats rechtzeitig vor dem Weltwirtschaftsgipfel konkretisiert werden soll, ist, daß Tokio erneut kurzfristig taktiert.Erforderlich zur Durchbrechung der sich anbahnenden Deflationsspirale wäre aber ein mittel- und langfristiges Konzept zur Zurückdrängung der Rolle des Staates in der Wirtschaft und zur Konsolidierung der Staatsfinanzen.Nachhaltige Steuerentlastung, Straffung der Staatsfunktionen und Durchsetzung des Wettbewerbs müßten seine Kernelemente bilden.Aber Tokio erstickt langsam im Parteienfilz.Mit Japans Wirtschaft geht es noch bergab.Die Konjunkturimpulse der Regierung haben ihre Wirkung noch nicht entfaltet.

ANDREAS GANDOW (HB)

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