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Müll: Tonnen voller Geld

Jeder Deutsche wirft im Jahr mehr als 400 Kilo Müll weg. Der größte Teil kann wieder verwertet werden – ein gutes Geschäft.

Von Carla Neuhaus

Noch schnell einen Automatenkaffee und eine Zigarette, dann startet Rainer Stichert den Wagen. Es ist halb sechs in der Früh in Mahlsdorf am östlichen Rand von Berlin. Im Führerhaus des Müllwagens läuft leise Popmusik. Stichert und sein Kollege Michael Wagner sind auf dem Weg nach Hohenschönhausen, rund 200 Gelbe Tonnen werden sie dort an diesem Tag leeren.

Für die Industrie sind die Konservendosen, Milchtüten und Waschmittelkanister, die im Müllwagen von Stichert und Wagner landen, längst zu einem wichtigen Rohstoff geworden. Weil die natürlichen Ressourcen immer knapper werden, setzen Unternehmen zunehmend auf die sogenannten Sekundärrohstoffe. So wird das Weißblech der Konservendosen eingeschmolzen und zu Stahl verarbeitet. Die Waschmittelkanister aus dem Kunststoff Polyethylen werden aufbereitet und zum Beispiel von den Autoherstellern für die Innenverkleidung von Fahrzeugen verwendet.

Für Recycler wie das Berliner Unternehmen Alba ist das ein lohnendes Geschäft. So brachte eine Tonne Polyethylen nach Angaben des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung zuletzt zwischen 230 bis 270 Euro. Vor rund zwei Jahren lag der Preis noch bei maximal 70 Euro pro Tonne.

Müllwerker Rainer Stichert kennt seine Route auswendig. „Ich könnte die Strecke auch im Schlaf fahren“, sagt er. Im „Gebiet“ angekommen, hält er an und zieht einen kleinen roten Koffer unterm Sitz hervor. Er ist bis zum Rand mit Schlüsselbunden gefüllt. Stichert greift zur Lesebrille und kramt so lange im Koffer herum, bis er den richtigen Schlüsselbund gefunden hat. Die bunten Schlüssel sind nach Straßen sortiert.

Michael Wagner, der Stichert heute als Leiharbeiter begleitet, nimmt die Schlüssel entgegen und klettert aus dem Wagen. An einem Hochhaus schließt er die Durchgangstür auf, rollt einen gelben Müllcontainer zum Heck des Wagens. Auf Knopfdruck hebt ein Metallarm den Container hoch, rüttelt ihn hin und her. Im Inneren des Wagens verdichtet eine Presse den Müll. Müssen mehrere Tonnen an einer Stelle geleert werden, springt Stichert aus der Fahrertür und packt mit an. Bereits seit 26 Jahren arbeitet der 54-Jährige als Müllwerker. Schon zu DDR-Zeiten hat er Rohstoffe für das Kombinat Sekundärrohstofferfassung (Sero) eingesammelt. Nach der Wende kam er dann als Fahrer zur Entsorgungsfirma Alba, die heute in Berlin die Gelbe Tonne leert.

An einer Straßenecke hupt Stichert zwei Mal. Das ist für Wagner das Zeichen, dass er vorne einsteigen muss. Es geht über die Hauptstraße zum nächsten Häuserblock. „Auf dem Rückweg fährt der Wagen nicht mehr so spritzig wie jetzt“, sagt Stichert. Als er acht Stunden später den Müllwagen wieder aufs Gelände der Alba-Group in Mahlsdorf lenkt, ist das Fahrzeug zwischen fünf bis neun Tonnen schwerer – so viel wiegen die Abfälle, die die beiden Müllwerker in einer Schicht einsammeln.

In der Annahmehalle öffnet Stichert auf Knopfdruck die Klappe am Heck seines Wagens, der eingesammelte Müll purzelt auf einen hohen Berg von Abfällen. 500 Tonnen werden hier am Tag abgeladen – nicht nur von den Fahrern der Alba Group, die die Sortieranlage betreibt. Auch andere Entsorger liefern ihren Verpackungsmüll hier an, teilweise sogar aus Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Bagger graben ihre Schaufeln in das Wirrwarr aus gelben Säcken, Plastikbehältern und Schrott und werfen die Abfälle über zwei Metallkisten ab, den sogenannten Aufreißern. In ihnen werden die Säcke aufgerissen, bevor ein Förderband den Müll in die nächste Halle transportiert.

Nebenan brummen die Maschinen. Hier, in der Sortieranlage, werden die Abfälle in ihre Einzelteile zerlegt: Kunststoffe, Metalle, Papier, Getränkekartons, Holz. Es ist warm und stinkt leicht nach Müll. „Ich nehme den Geruch schon gar nicht mehr wahr“, sagt Alexander Gora und klettert eine Metalltreppe hoch. Der 31-Jährige trägt eine blaue Jacke mit dem Alba-Schriftzug. Die Sortieranlage ist sein Reich, seit 2007 ist er hier Betriebsleiter.

Vor einem orangefarbenen sechseckigen Kasten bleibt er stehen: „Das ist eine unserer Siebtrommeln“, sagt er und zeigt auf ein kleines Fenster an der Seite des Kastens. Eine Röhre dreht sich innen um die eigene Achse, in ihrer Mitte tanzen Folien und Plastikflaschen auf und ab. Die Wand der drehenden Röhre ist ein Gitter, das alle Kleinteile schluckt. „So werden die Wertstoffe nach der Größe sortiert“, sagt Gora.

Hinter den Trommeln hängt ein großer Magnet über dem Fließband, der alles Metallische wie Konservendosen oder Kronkorken anzieht. Dann fällt der restliche Müll in die Tiefe. Über dem Abgrund ragt ein Schacht in die Höhe, der wie ein Staubsauger alle leichten Materialien, in erster Linie Folien, absaugt. Der Rest wird zum sogenannten Titech transportiert. „Das ist das Herz der Anlage“, sagt Gora. Ein länglicher, orangefarbener Kasten hängt über dem Fließband und wirft grelles Licht auf den vorbeirauschenden Müll. Hier werden die unterschiedlichen Kunststoffarten voneinander getrennt: PET-Flaschen, Waschmittelkanister aus Polyethylen oder Joghurtbecher aus Polystyrol. Der Computer kann sie auseinanderhalten, da jeder Kunststoff das Licht auf eine andere Weise reflektiert. Das Gerät errechnet automatisch, wann welches Teilchen an einer Druckluftdüse vorbeikommt und pustet es auf ein anderes Förderband. „Das ist die modernste Technik, die wir in der Abfalltechnologie im Moment haben“, sagt Gora. Was die Maschine dennoch übersieht, wird von acht Mitarbeitern vom Band gefischt. Am Ende der Halle fallen die sortierten Abfälle in einen Schacht, werden zu quadratischen Ballen gepresst. Diese wiegen je nach Material 600 bis 1000 Kilogramm.

Draußen auf dem Hof stapeln sich die bunten Ballen meterhoch. Von hier werden sie an die Industrie verkauft. Aus dem Müll, den Stichert und Wagner am Morgen eingesammelt haben, ist ein Rohstoff geworden.

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