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Frühlingserwachen: Tonnenweise Wohlgefühl

Gartencenter verkaufen immer weniger. Doch der neue Trend zur "Mehrwert-Pflanze" könnte nun die Wende bringen.

Der Frühling duftet. Im Gartencenter Deutscher in Berlin-Britz riecht er besonders intensiv. Drinnen, unterm Glasdach, nach schwülem Dschungel, draußen, in der Sonne, nach warmer Erde. Vögel zwitschern, es blüht und sprießt auf den Tischen und in den Regalen. Primeln, Stiefmütterchen und viele weitere Pflanzenarten stehen hier zu Hunderten in Reih und Glied. Eine junge Frau mit Wollmütze steuert durch die Reihen, aus ihrem Einkaufswagen strahlt es blau, gelb, weiß und rosa. „Die Blumen sind für meinen Balkon, die Farben machen mich glücklich“, freut sie sich. Eine samtgrüne Teepflanze kommt ebenfalls mit. „Zum Angucken, nicht zum Trinken“, lächelt sie.

Frühlingszeit, Pflanzenzeit. Die Umsätze im Einzelhandel mit Pflanzen, Dünger und Zoobedarf steigen jedes Jahr im April rasant an, hat das Statistische Bundesamt kürzlich berechnet. Von 2005 bis 2011 lagen die Einnahmen im Schnitt um knapp 21 Prozent über denen im März. „Die Gartencenter machen 70 Prozent ihrer Umsätze zwischen März und Juni“, sagt Ralf Goldmann, Betriebsleiter von Olerum, einem Onlineshop des Verbandes der Deutschen Gartencenter.

Aber nicht jeden Frühling kaufen die Menschen dasselbe Grünzeug, auch im Pflanzenhandel gibt es Trends. Klassiker wie Geranien, Rosen und Stiefmütterchen verkaufen sich immer. „Das ist wie bei einer Pizzeria“, sagt Goldmann. „Man braucht halt immer eine Pizza Salami im Angebot, auch wenn die nicht spannend ist.“ Jedes Jahr gibt es aber auch ausgefallene Neuschöpfungen. So wie im vergangen Jahr eine gelb-schwarze Petunie, die besonders bei Fans des gleichfarbigen Fußball-Vereins und Bundesliga-Meisters Borussia Dortmund sehr beliebt sei. Doch vor allem einen Trend hat Goldmann beobachtet: Kräuter.

Damit liegt die junge Frau aus dem Britzer Gartencenter mit ihrer Topf-Teepflanze voll im Trend. „Die Leute kaufen immer mehr Pflanzen, von denen sie naschen können“, sagt Karen Krohn. Die blonde Frau im gartentauglichen Schlabberlook verkauft seit 13 Jahren Beet- und Balkonpflanzen im Gartencenter Deutscher. Vor allem jüngere Hobbygärtner seien an südländischen Aromabomben wie Rosmarin, Salbei und Lavendel interessiert. „Die kaufen auch gerne kleine, süße Tomaten, Paprika und Peperoni. Und Samen, um Sprossen zu züchten, für den Salat.“

Die ältere Kundschaft hingegen bevorzuge Schnittlauch und Petersilie. „Die sind auch nicht so an Bio interessiert“, berichtet Krohn. Beispielsweise griffen die Älteren bei der Schädlingsbekämpfung und beim Düngen eher zur chemischen Keule. Dafür kennen sie sich besser aus: „Die ältere Generation weiß, dass man sich um die Pflanzen kümmern muss. Die jüngere kauft lieber Pflegeleichtes“, sagt Krohn. Auch bei den Gartengeräten beobachtet sie Unterschiede: Die einen kaufen dunkelgrüne Gießkannen und terrakottafarbene Blumenkübel, die anderen pflanzen ihre Lieblinge in quietschbunte Plastikkästen und gießen mit neonfarbenen Kannen.

Ob Jung oder Alt: Trotz allzeit verlässlichem Frühlingshoch tut sich der deutsche Einzelhandel mit Blumen, Pflanzen, Samen und Düngemittel immer schwerer. Das Statistische Bundesamt weist aus: Der Gesamtumsatz sinkt seit 2004 von Jahr zu Jahr. Müssen sich die Gartencenter also um ihre Kundschaft sorgen? Hat überhaupt noch jemand Lust auf die oft dreckige Gartenarbeit?

Ein graubärtiger Kunde, der Rosenerde kauft, erklärt, warum das Werkeln im eigenen Grün gerade in unserer hektischen Zeit so wichtig ist: „Viele Leute haben das Leben nicht verstanden. Die wollen mit ihren Aufgaben immer ganz fertig werden.“ Im Garten allerdings gebe es immer etwas zu tun. Und das sei gut so, denn: „Der Mensch ist ein Bewegungstier.“ Vielleicht kommen mittlerweile immer mehr Hobbygärtner zu dieser Erkenntnis – vergangenes Jahr gab es mit dem geschätzten Minus von 0,1 Prozent immerhin den bislang geringsten Umsatzrückgang der vergangenen Jahre.

Wenn der Frühling kommt, wird jedenfalls bei Deutscher ordentlich verkauft. „20 bis 30 Lkw-Container kommen dann am Tag bei uns rein“, sagt Harald Jahn, der für den Einkauf zuständig ist. In einen Container passen etwa 20 Tonnen.

Auch in anderen Berliner Gartenmärkten der Stadt läuft es gut. „Die Leute kaufen Kräuter wie verrückt“, berichtet Godfried Seelen, dem die beiden Pflanzencenter „Der Holländer“ am Olympiastadion und am Treptower Park gehören. „Früher haben wir 80 Prozent Geranien und 20 Prozent Kräuter verkauft. Das ist heute umgekehrt.“ Seit 28 Jahren ist der Niederländer mit dem netten Rudi-Carrell-Akzent in Berlin im Geschäft.

Seelen glaubt an den Trend zur Selbstversorgung: „Wenn alle ,Krise‘ rufen, wollen die Leute es sich zu Hause mit Blumen und Pflanzen schön machen.“ Am liebsten mit solchen, die man auch essen kann – hier sei natürlich Bio gefragt. Sogar Saatkartoffeln verkauft er seit kurzem wieder. Zudem kommen immer mehr junge Leute. „Die wollen vor allem Kräuter“, sagt Seelen. Zu denen zählt er auch Tabak-, Kaffee- und Teepflanzen. Die Top drei blieben allerdings Basilikum, Petersilie und Schnittlauch.

Britta Biegler von der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft bestätigt den Kräutertrend. „Die Verbraucher kaufen immer mehr Pflanzen, die ihnen ein gutes Gefühl geben.“ Also kein Grünzeug, das hübsch aussieht und sonst nichts kann. Sondern solches mit Mehrwert. „Das sind zum Beispiel Gewächse aus der Region, essbare Pflanzen und Heilkräuter.“ Zwar gebe es noch keine konkreten Zahlen, eine Umfrage bei 6000 Produzenten laufe noch bis Ende Mai. Doch mehr als 500 haben schon geantwortet. „Die Entwicklung ist auf jeden Fall da“, sagt Biegler. „In zwei, drei Jahren wird sich das so richtig zeigen.“ Gartencenter werden also weiter Kunden haben. Den Frühlingssonnenschein genießen viele immer noch am liebsten inmitten ihre eigenen Pflanzen. Wer kein Grün sein Eigen nennt, muss mit dem Park vorlieb nehmen – Löwenzahn gibt es da auf jeden Fall.

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