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EZB-Präsident Trichet

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Schuldenkrise: Trichet riskiert den Ruf der EZB

Wer in diesen Tagen mit früheren deutschen Notenbankern spricht, dem schlägt das blanke Entsetzen entgegen. Ursache sind die Ankäufe italienischer und spanischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) seit dem 8. August.

Frankfurt am Main - Wer in diesen Tagen mit früheren deutschen Notenbankern spricht, dem schlägt das blanke Entsetzen entgegen. Ursache sind die Ankäufe italienischer und spanischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) seit dem 8. August. „Ich habe mir manches vorstellen können, aber das nicht“, sagt ein hochrangiger Ex-Bundesbanker. „Dass man vergangenes Frühjahr den Sündenfall begangen und Staatsanleihen gekauft hat, war schon schlimm genug. Dass man ihn jetzt in dieser Form fortsetzt, ist unglaublich.“

Zu Beginn der Staatsschuldenkrise Anfang Mai vorigen Jahres hatte die EZB angekündigt, Staatsanleihen zu kaufen, „weil die Übertragung der zinspolitischen Impulse gestört“ sei. Sie hatte für rund 74 Milliarden Euro Anleihen aus Griechenland, Irland und Portugal erworben, sich dann aber seit März 18 Wochen lang in Abstinenz geübt. Bei der geldpolitischen Sitzung des EZB-Rats am 4. August stimmten vier Mitglieder gegen die Wiederaufnahme des Programms: Bundesbankpräsident Jens Weidmann, EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark und die Chefs der niederländischen und der luxemburgischen Notenbank; die beiden letzten kippten später um.

„Ich habe Angst, dass die Grundlagen eines stabilen Euros verloren gehen“, sagt Manfred Neumann, Wirtschaftsprofessor aus Bonn. „Zu denen gehört, dass nicht dauerhaft Staatsschulden in großem Stil gekauft werden.“ Zumindest verstößt der Ankauf von Staatsanleihen gegen den Geist von Maastricht. „Aber die EZB driftet seit langem gen Westen – weg von einer grundsatztreuen Bundesbank hin zu einer politiknahen angelsächsischen Zentralbank“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Die treibende Kraft hinter dem Kurswechsel ist der Präsident. „Er ist erfüllt von der Mission, dass er im Alleingang die Probleme der Schuldenkrise löst“, sagt ein früherer Notenbanker. „Der Rat zählt da gar nicht mehr.“ Trichet scheint auch nicht mehr zu bemerken, wie er in der Außenwelt ankommt, etwa in Italien. „Wenn die EZB die Märkte stabilisiert, dann können wir uns ja Zeit lassen“, sagt ein italienischer Wissenschaftler. Krämer pflichtet ihm bei: „Dadurch, dass die EZB italienische Staatsanleihen kauft, nimmt sie den Druck von den Politikern, die Staatsschuldenkrise rasch zu lösen.“

Und warum schweigt zu all dem der EZB-Rat, dem neben Trichet immerhin 22 erwachsene Männer angehören? Sicher ist, dass sie zum Teil zu Hause unter massivem politischem Druck stehen. Die meisten kommen aus Ländern, die eventuell morgen auch als Bittsteller dastehen. Es reiche eben nicht, dass die Unabhängigkeit der Ratsmitglieder rechtlich garantiert sei, erklärt ein Notenbanker. „Das muss auch praktiziert werden, dazu gehören auch Leute, die das machen.“ Und die fehlen im EZB-Rat. „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind das alles politisch verseuchte Leute.“

Der designierte EZB-Präsident Mario Draghi, der Trichet Ende Oktober ablöst, ist geldpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Er ist zwar seit 2006 Chef der italienischen Notenbank, aber sein Herz schlägt für Fragen der Bankenaufsicht. Er hatte lange den Vorsitz des Financial Stability Board in Basel. Draghi gilt als integer, und er ist Diplomat. „Ich hoffe, dass er diese Linie durchhält“, sagt ein Exkollege. Die Frage ist nur, ob Draghi wieder kitten kann, was Trichet zerstört hat.

Noch ist offen, auf welche Größenordnungen die Anleihekäufe der EZB hinauslaufen werden. Die Regierungen haben in ihrer Erklärung vom 21. Juli nichts darüber gesagt, ob sie der EZB die von ihr gekauften Staatsanleihen wieder abnehmen wollen. Es gibt Zweifel, dass die Beträge je abgelöst werden. Die Verluste der EZB trägt jedenfalls der Steuerzahler, der deutsche anteilig mit knapp 20 Prozent. Marietta Kurm-Engels (HB)

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