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Volle Maschine. Wer seinen Sitzplatz im Flugzeug abgibt, sollte nicht jedes Kompensationsangebot annehmen.

© imago/Frank Sorge

Überbuchte Flugzeuge: Kein Platz mehr

Überbuchte Flüge sind auch bei deutschen Airlines an der Tagesordnung. Passagiere haben einen Anspruch auf Entschädigung.

Verglichen mit den USA geht es in Deutschland deutlich zivilisierter zu. Während die US-Airline United kürzlich Schlagzeilen machte, als sie einen Passagier trotz gültigen Tickets gewaltsam aus dem überbuchten Flieger entfernen ließ, kam Rolf Schäfer (Name geändert) auf seinem Rückflug von Teneriffa nach Berlin ohne gebrochene Nase und ausgeschlagene Zähne davon. Im Gegenteil: Weil die Maschine der Air-Berlin-Tochter Fly Niki überbucht war, boten die Mitarbeiter dem Urlauber Geld an. 400 Euro sollte Schäfer bekommen, wenn er statt der Berlin- die spätere Düsseldorf-Maschine nehmen würde. Auch ein Hotelzimmer und am Folgetag den Flug von Düsseldorf nach Berlin wollte man dem Kunden spendieren. Schäfer lehnte aus Termingründen diesmal zwar ab. Er kann sich aber vorstellen, ein ähnliches Angebot beim nächsten Mal zu akzeptieren. „Das ist schon attraktiv“, sagt er.

Überbuchungen sind in der Branche keine Seltenheit

Dass mehr Menschen mit einer Maschine fliegen wollen, als Plätze vorhanden sind, kommt immer wieder vor. Die Überbuchung von Sitzplätzen ist laut einer Lufthansa-Sprecherin ein marktübliches Instrument. Meist würden Reiseanbieter, über die Airlines ihre Flüge vertreiben, ihr Platzkontingent nicht voll beanspruchen, erklärt ein Sprecher der Condor. „Ein nicht voll besetztes Flugzeug ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, daher überbuchen wir auf Flügen, von denen wir wissen, dass hier das Kontingent nicht aufgebraucht wird“, sagt er. Ein weiterer Grund für Überbuchungen sind die sogenannten No-Shows. Hinter dem Begriff verbergen sich Leute, die nicht zu ihrem gebuchten Flug erscheinen. Die Lufthansa zählt auch Passagiere dazu, die ihren Anschlussflug nicht antreten können. Anhand von historischen Daten und Erfahrungswerten wissen die Fluggesellschaften, wie hoch die No-Show-Rate bei jedem Flug ist. Die Lufthansa hat nach eigenen Angaben etwa drei Millionen No-Shows pro Jahr.

Vor allem die Flüge von Geschäftsreisenden sind häufig überbucht

Die Fluggesellschaften überbuchten gewisse Flüge, von denen sie wüssten, dass die No-Show-Rate besonders hoch sei, heißt es bei Air Berlin. Aber auch der Flughafen, die Reisesaison, die Uhrzeit und das Ziel seien entscheidend, sagt Stefanie Müller, PR-Managerin der Fluggastrechte-Plattform Flightright. Hauptsächlich würden Flüge überbucht, die als typische Strecke für Geschäftsreisende gelten: „Auf einem Flug um sieben Uhr morgens von Berlin nach Düsseldorf, auf dem 90 Prozent Geschäftsreisende fliegen, hat man natürlich eine wesentlich höhere No-Show-Rate, weil sich Geschäftstermine häufig verschieben“, erklärt ein Sprecher von Air Berlin. In der Feriensaison oder an Feiertagen dagegen wisse man, dass Fluggäste in der Regel ihren Flug wahrnehmen und gehe in dieser Zeit sehr vorsichtig mit Überbuchungen um. So sei es beispielsweise an Heiligabend eher unwahrscheinlich, jemanden zu finden, der seinen Platz im Flugzeug freiwillig aufgibt, wenn die Maschine überbucht ist.

Flugzeuge von Condor und Tuifly sind selten überfüllt

Aus diesem Grund seien Überbuchungen insbesondere für die Ferienflieger Condor und Tuifly kaum ein Thema. „Man kann davon ausgehen, dass unsere Fluggäste ihren Urlaub auch wirklich antreten wollen“, sagt Jan Hillrichs, Leiter der Tuifly-Unternehmenskommunikation. Sollte es bei Ferienfliegern doch tatsächlich einmal zur Überbuchung kommen, dann liege das an einer Überschneidung in den Flugkontingenten über die verschiedenen Vertriebswege oder an Problemen mit der Buchungssoftware. Ist das Flugzeug dann aber doch einmal überbucht, können nicht alle Passagiere mitfliegen. In diesem Fall bieten die Fluggesellschaften ihren Kunden zunächst einen Alternativflug und eine individuell verhandelbare Kompensationszahlung an, falls sie freiwillig von ihren Plätzen zurücktreten. Wenn Passagiere ihren Platz aber nicht freiwillig aufgeben und nicht befördert werden können, steht ihnen eine in der europäischen Fluggastrechte-Verordnung festgeschriebene Entschädigung zu: je nach Entfernung des Fluges sind das 250, 400 oder 600 Euro sowie Versorgungsleistungen wie Essen und wenn nötig eine Hotelübernachtung inklusive Transfer.

Betroffene sollten sich nicht von den Airlines abspeisen lassen

Alle befragten Fluggesellschaften betonen, sich an diese Regelungen zu halten. „Fluggäste sollten keine Angebote annehmen, die deutlich unter diesen Leistungen liegen“, warnt Stefanie Müller von Flightright. Wie die deutschen Fluggesellschaften aber berichten, finden sich fast immer Freiwillige. Wie hoch die individuelle Entschädigung für Freiwillige ausfällt, dazu wollten die Fluggesellschaften gegenüber dem Tagesspiegel keine pauschale Angabe machen. Zu unterschiedlich seien die Zahlungen und Rahmenbedingungen. Die Höchstgrenze liege jedoch bei dem festgeschriebenen europäischen Standard, sagt ein Condor-Sprecher. „Die pauschalisierten Ausgleichszahlungen der Fluggastrechteverordnung haben aber bereits dazu geführt, dass die Airlines das Überbuchen nicht so ausreizen wie früher“, sagt Müller. Nichtsdestotrotz habe Flightright alleine tausende Überbuchungsfälle im Jahr 2016 bearbeitet und den Kunden geholfen, ihre Ansprüche bei der Fluggesellschaft geltend zu machen.

In der Regel werden Fluggäste schon beim Check-in auf die Überbelegung hingewiesen

Zu einem öffentlichkeitswirksamen Fall wie jüngst bei United kommt es tatsächlich aber sehr selten. Die Flugunternehmen würden die nicht beförderbaren Gäste rechtzeitig vor Betreten des Flugzeuges am Check-In darauf hinweisen, betont auch der Condor-Sprecher. Das Vorgehen obliege letztlich dem Ermessen der Fluggesellschaften, heißt es bei Flightright. Aus dem Vorfall von United Airlines hätten manche Fluggesellschaften bereits gelernt. So will Delta bei Überbuchungen zukünftig ihren betroffenen Kunden bis zu 10 000 Dollar bieten, wie das Manager Magazin berichtete. Diese Zahlungen sind in Deutschland aufgrund der festgelegten europäischen Standards jedoch nicht realistisch. Knapp zwei Wochen nach dem gewaltsamen Rauswurf eines Passagiers bei United Airlines sorgt ein Vorfall bei einer anderen großen US-Fluggesellschaft für Aufsehen. In einem im Internet verbreiteten Video ist zu sehen, wie ein Steward in einer American-Airlines-Maschine heftig mit einem Passagier streitet, der einer weinenden Mutter mit zwei kleinen Kindern helfen will. Nach Zeugenaussagen hatte der Flugbegleiter der Frau zuvor einen Buggy entrissen.

Empörung über neuen Vorfall an Bord eines Flugzeuges

Unterdessen sorgt derzeit ein Vorfall bei einer anderen großen US-Fluggesellschaft für Aufsehen. In einem im Internet verbreiteten Video ist zu sehen, wie ein Steward in einer American-Airlines-Maschine heftig mit einem Passagier streitet, der einer weinenden Mutter mit zwei kleinen Kindern helfen will. Nach Zeugenaussagen hatte der Flugbegleiter der Frau zuvor einen Buggy entrissen. In dem Video, das eine andere Passagierin des AA-Flugs von San Francisco nach Dallas-Fort Worth aufgenommen hatte, ist zu sehen, wie die Mutter mit einem kleinen Kind auf dem Arm weint, während ein Steward und ein Pilot schweigend daneben stehen. "Sie können keine Gewalt gegen ein Kind anwenden", schluchzt die Frau. "Geben Sie mir den Buggy zurück." Daraufhin steht ein anderer Passagier auf und sagt: "Ich werde nicht hier sitzen bleiben und mir das angucken." Er droht dem Flugbegleiter: "Wenn Sie das mit mir machen, haue ich Sie um." Die beiden Männer streiten, während die Frau immer unkontrollierter weint. Als der Steward einwendet, der Passagier kenne "die Geschichte" nicht, erwidert dieser: "Das ist mir egal, was die Geschichte ist. Sie haben fast ein Baby verletzt." Mitarbeit: Heike Jahberg

Solveig Gode

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