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Wirtschaft: Unternehmen Terror

Die Finanzströme aus Nahost werden schärfer kontrolliert. Extremisten versuchen, andere Geldquellen aufzutun

Von G. R. Simpson,

D. Crawford und K. Johnson

Terroristen, die in Europa operieren, erschließen sich immer neue Finanzquellen. Nachdem die Geldströme aus dem Nahen Osten ins Visier der Fahnder geraten sind, sichern sich die Terror-Gruppen ihr Einkommen zunehmend durch Flüchtlingsschmuggel und das Fälschen von Ausweispapieren.

In diesem Verdacht steht auch die Terror-Gruppe Ansar al-Islam, die nach Angaben der spanischen Polizei hinter den Madrider Terroranschlägen vom 11. März steht. Nach Erkenntnissen der europäischen Geheimdienste betrieb die Gruppe ein lukratives Geschäft, indem sie Flüchtlinge über Nordafrika zwischen Europa und dem Nahen Osten verschob und sie mit gefälschten Papieren versorgte.

Das Netzwerk profitierte dabei doppelt: Zum einen kassierte es für den Schmuggel von Wirtschaftsflüchtlingen ab. Außerdem wurden die eigenen Gefolgsleute illegal in Zielländer wie Spanien oder den Irak eingeschleust. Italienische Fahnder, die den Terrorzellen von Ansar al-Islam auf der Spur sind, kamen zum Ergebnis, dass die Strukturen „für die Rekrutierung von Freiwilligen für irakische Ausbildungslager“ genutzt wurden. Gleichzeitig gelangte die Gruppe durch die „illegalen Flüchtlinge, die über Griechenland und die Türkei in Richtung Italien geschmuggelt wurden, an die materiellen und finanziellen Mittel zur Ausführung von Terrorakten“, heißt es in einem Polizeibericht vom 25. November 2003.

Dass Terroristen in den Handel mit gefälschten Ausweispapieren verwickelt sind, ist nicht neu. Das Besondere ist jedoch, dass sich eigenständige Fälscher-Einheiten entwickeln, die geschäftsmäßig organisiert sind und Gewinne machen wollen. Viele sehen in der Neuausrichtung der Terror-Finanzierung einen Zusammenhang mit der verstärkten Kontrolle von Geldströmen aus dem Nahen Osten. „Die Terroristen haben wohl einen Ersatz gefunden, nachdem ihre traditionellen Geldquellen wie etwa islamische Spendenorganisationen weggebrochen sind“, sagt die Terrorismusexpertin Rita Katz vom regierungsunabhängigen Forschungsinstitut SITE in Washington.

Ansar al-Islam galt lange als relativ harmloser Ableger der Terrororganisation Al-Qaida, dessen Macht auf eine Gegend im Nordirak, die nicht unter Kontrolle der Koalitionstruppen steht, begrenzt zu sein schien. Jüngste Ermittlungen zeigen, dass Ansar-Zellen über ganz Europa verstreut sind und bis nach Singapur und Malaysia reichen. Ein Grund für die rasche Ausbreitung ist der Zusammenschluss mit einer Vereinigung namens Al Tawhid, die von dem Jordanier Abu Musab Zarqawi kontrolliert wird. Die europaweiten Ermittlungen zeigen immer deutlicher, dass die hinter den Madrid-Anschlägen vom 11. März vermuteten Marokkaner enge Verbindungen zu dem Schleuser-Netzwerk der Ansar-Tawhid-Gruppe unterhielten. Dieses Netz fährt zweigleisig: Flüchtlinge und potenzielle Terroristen werden nach Europa gebracht, gleichzeitig gelangen Kämpfer aus Europa und Syrien in den Irak.

Der italienische Ermittlungsbericht nennt fünf Marokkaner, die mit der Hilfe von Ansar über Italien in den Irak kamen und sich dort bei Selbstmordanschlägen opferten. Als die italienische Polizei im letzten Oktober das Haus eines mutmaßlichen Terroristen in Padua durchsuchte, stieß sie auf eine blendend laufende Fälscherwerkstatt und 200 000 Euro Bargeld. Deutsche Fahnder fanden Beweise dafür, dass die Ansar-Gruppe nicht nur ihre eigenen Anhänger mit gefälschten Dokumenten versorgt, sondern jeden, der den geforderten Preis bezahlt. Laut den Gerichtsakten kostet ein Pass für einen Wirtschaftsflüchtling 700 Dollar und für die eigenen Leute 350 Dollar.

Bereits zwischen 1995 und 2001 war eine spanische Al-Qaida-Zelle in großem Stil in den Handel mit gefälschten Ausweispapieren verstrickt, belegen Akten. Hunderte mitgeschnittener Telefongespräche verraten, wie die Akteure jeden Bezug zu den Dokumenten verschleierten und dafür von Jacken, Schuhen, Decken oder Antibiotika sprachen. So bestellte ein Anrufer „Damenschuhe der Größe 38 und Schuhe für einen 42-jährigen Mann“. In den Verhören bestätigte sich, dass sich solche Anfragen auf gefälschte Papiere bezogen. Und auch, dass mit der Bezeichnung „Händler“ ein Mujaheddin-Kämpfer gemeint war. Dieser Beruf fand sich in den meisten der gefälschten Pässe.

Die ersten Fälscher-Pässe sahen eher stümperhaft aus und wurden dazu genutzt, Kämpfer über die Grenzen in den Bosnienkrieg zu schicken. Einer der Mujaheddin-Kommandeure in einem bosnischen Trainingscamp beschwerte sich bei den Drahtziehern in Madrid telefonisch über die schlechte Ausbildung der Rekruten und ihre schäbigen Reisepässe. Sobald die Kämpfer in den Lagern angekommen waren, nahm man ihre Papiere in Verwahrung. Die Ausweise der Gefallenen wurden recycelt, indem sie einfach mit einem neuen Passfoto versehen wurden. Als den Kriegern 1996 nach Ende der Bosnienkrieges die Ausbildungslager fehlten, wurden gestohlene Pässe mit pakistanischen Einreisevisa präpariert, um die Kämpfer nach Afghanistan einzuschleusen. Zur Zeit der Terroranschläge vom 11. September 2001 blühte das Geschäft. Die Werkstätten werden eher als Lizenznehmer denn als Tochter-Betriebe von Al-Qaida tätig. Jede Zelle ist ein eigenständiges Geschäft. Wer nicht bezahlen konnte, wurde zurückgewiesen.

Dies bekam auch Ramzi Binalshibh zu spüren, ein maßgeblicher Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September. Einer der Ansar-Leute berichtete der deutschen Polizei, dass er dem in Pakistan festsitzenden Binalshibh einen Ausweis verweigerte, obwohl er ihn noch aus pakistanischen Al-Qaida-Camps kannte. Binalshibh konnte niemanden in Europa erreichen, der bereit war, ihm das Geld vorzustrecken. In einem von der Polizei aufgezeichneten Telefonat aus dem Januar 2002 diskutierten zwei Ansar-Mitglieder, ob man Binalshibh nicht aus den Gewinnen der Fälschergeschäfts einen Pass verschaffen könnte. Doch das Geld war bereits für das Herausschleusen der eigenen Kämpfer aus Pakistan vorgesehen. Binalshibh ging leer aus. Er wurde später von der US-Armee in Pakistan festgenommen.

G. R. Simpson[D. Crawford], K. Johnson

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