zum Hauptinhalt
291498_0_e5b0a611.jpg

© Kai-Uwe Heinrich

Interview: Utz Claassen: "Politik bekämpft Schulden mit Schulden"

Der frühere EnBW-Chef Utz Claassen über die Fehler in der Krisenbewältigung und die Belohnung schlechter Manager.

Herr Claassen, was läuft falsch bei der Bewältigung der Krise?

Ich befürchte, dass der Karren immer tiefer in den Dreck gefahren wird. Obwohl die Politik zu Recht beklagt, dass die Banken versäumt haben, Geschäfte und Risiken hinreichend zu hinterfragen, macht sie es mit ihrer Bankenstützung selbst keinen Deut besser. Staatliche Hilfen, Garantien und Bürgschaften von Hunderten von Milliarden Euro werden mit einer angeblichen Systemrelevanz begründet, ohne dass diese überhaupt eindeutig definiert ist. Das ist ein Skandal unvorstellbaren Ausmaßes.

Übertreiben Sie nicht?

Nein. Was derzeit geschieht, ist ungeheuerlich. Wir kritisieren Banken und Banker für das Entstehen der gewaltigen Schuldenblase, die zur Krise geführt hat. Aber genau dasselbe macht jetzt die Politik – sie häuft gigantische Schuldenberge an und bekämpft Schulden mit noch mehr Schulden. Wir kritisieren zu Recht, Banken und Banker hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Aber genau dasselbe macht jetzt die Politik – sie geht ohne Rücksicht auf kommende Generationen Verpflichtungen unvorstellbarer Größenordnungen ein und verbraucht damit Ressourcen von Menschen, die noch gar nicht geboren sind.

Und das alles ist die Schuld der Banken.

Auch, aber nicht nur. Richtig ist: Risikomanagement ist das Kerngeschäft der Banken. Das war schon bei den Medici so. Ausgerechnet in diesem ihrem innersten Kerngeschäft haben Banken und Banker teilweise kläglich versagt. Aber sie waren nicht allein. Nicht nur Vorstände und Management, sondern auch Aufsichtsräte, Aufsichtsbehörden, Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen, Regulierer und Politik haben zum Teil eklatant versagt. Die ganze Prozesskette des Risikomanagements hat letztlich versagt. Es wird jetzt gesagt, der Engpassfaktor sei die Liquidität. Das stimmt. Aber wenn wir zum Ursprung der Krise zurückgehen, war der Engpassfaktor Wissen und Kompetenz – und zwar auf allen Ebenen.

Wie können wir verhindern, dass sich diese Krise wiederholt?

Das ist die falsche Frage. Ich habe noch nie gehört, dass jemand zwei Mal den gleichen Verkehrsunfall mit demselben Auto an derselben Straßenkreuzung gehabt hat. Wir müssen also fragen, wie wir die nächste Krise verhindern können, und die wird anders sein als die jetzige. Aber eines wird sie mit der aktuellen Krise gemeinsam haben: Der Engpassfaktor wird wieder Wissen und Kompetenz sein. Daraus folgt: Bildung und Wissensmanagement sind die einzigen nachhaltigen Wege aus der Krise. Verblüffend finde ich, dass alle Parteien in Deutschland behaupten, mehr für die Bildung tun zu wollen, gleichzeitig aber unvorstellbare Beträge für Staatshilfen an die Wirtschaft ausgegeben werden. Uns muss klar sein, dass jeder Euro, den wir für die Subventionierung gescheiterter Banken oder maroder Industrieunternehmen verwenden, den Themen Bildung und Innovation irreversibel entzogen wird.

Was hätte der Staat in der aktuellen Krise anders machen sollen?

Der Staat darf und kann Unternehmen in Not natürlich helfen, so wie er auch Menschen helfen darf und soll, die in Not geraten sind. Nur: Die Kriterien staatlicher Hilfen müssen klar, eindeutig, transparent und nachvollziehbar definiert sein, bevor über die einzelnen Fälle entschieden wird. Das war hier bisher nicht der Fall. Hinzu kommt, dass sich die Bundesregierung bei der Bankenhilfe ausgerechnet von jenen hat beraten lassen, die naturgemäß ein großes Interesse an einer staatlichen Unterstützung haben müssen, nämlich den Banken selbst.

Ist es bei den Hilfen für die Realwirtschaft besser gelaufen?

Nein. Die Bundesregierung hat das größte Programm aller Zeiten zur Belohnung von Missmanagement aufgelegt. Nichts anderes ist letztlich der Deutschlandfonds mit seinen in Summe über 100 Milliarden Euro. Für etliche der Firmen, die damit gestützt werden, würde nämlich auch privates Geld bereitstehen. Aber ein privater Investor würde sich sofort von Vorständen und Aufsichtsräten trennen, die den Laden gegen die Wand gefahren haben und deren Strategien und Pläne gescheitert sind. Das müssen Vorstände und Aufsichtsräte nicht befürchten, wenn sie stattdessen den Deutschlandfonds in Anspruch nehmen.

Aber werden so nicht viele Arbeitsplätze gerettet?

Nein, nur einige wenige – und zwar an der Spitze. Der Deutschlandfonds ist ein Instrument zur Beschäftigungssicherung für gescheiterte Manager. Die Arbeitsplätze an der Basis werden doch nicht auf Dauer gerettet, nur weil vorübergehend Staatshilfe fließt. Das Unternehmen muss sanierungs- und zukunftsfähig sein, seine Kapazität muss werthaltig sein und industriell gebraucht werden. Ist das der Fall, findet man immer privates Geld. Ist das nicht der Fall, nutzen Staatshilfen allein gar nichts.

Also hatte Wirtschaftsminister Guttenberg im Fall Opel recht, als er auch eine Insolvenz nicht ausschließen wollte?

Ordnungspolitisch hatte er natürlich recht. Aber ich will es mal zuspitzen: Jeden Tag mutig der ordnungspolitischen Vernunft folgen, aber alle zwei Tage überstimmt werden, um dann darauf hinzuweisen, man habe seine Bedenken vorgebracht, ist kein Geschäftsmodell für die Ewigkeit.

Warum sind Sie allein mit Ihrer Haltung?

Mit meiner Haltung bin ich keineswegs allein, nur mit der Bereitschaft, sie auch öffentlich zu artikulieren. Ich glaube, die Politik hat jegliche Hoffnung aufgegeben, die Schulden, die sie macht, jemals zurückzahlen zu können. Das spüren die Menschen, und sogar einige Spitzenpolitiker räumen es hinter verschlossenen Türen mittlerweile unumwunden ein. Alle Dämme sind gebrochen. Man sollte mal überlegen, ob nicht eine Politikerhaftung für unhaltbare Wahlversprechen eingeführt werden sollte, wenn man schon die Managerhaftung verschärfen will.

Sie kritisieren nicht nur die Politik scharf, sondern auch Entscheidungsträger der Wirtschaft. Wann übernehmen Sie selbst wieder Verantwortung im Management?

Wenn sich eine interessante Situation ergibt, in der das Ausmaß sachfremder Einflüsse begrenzt ist und die anderweitigen vertraglichen Verpflichtungen sowie familiären Pflichten nicht entgegensteht. Es gab ja bekanntermaßen für mich das Angebot, Chef eines französisch-amerikanischen Konzerns zu werden. Aber wenn Sie eine kleine Tochter haben, ist der Dauerflugbetrieb zwischen Los Angeles, Paris und Hannover nicht das, was Sie Ihrer Familie zumuten können.

Sehen Sie sich eigentlich als Neoliberalen?

Ich denke immer freiheitlich, marktwirtschaftlich und sozial. Neoliberal hieße im Übrigen keineswegs unsozial. Ich habe mein neues Buch ja auch als Sohn eines Mannes geschrieben, der fast 50 Jahre lang in der SPD war, unterstützt von einer exzellenten Politikwissenschaftlerin, die ebenfalls der SPD angehört. Derzeit geht es doch gar nicht darum, wie liberal oder ökologisch, wie links oder konservativ man ist, sondern wie man mit der Wahrheit umgeht. Die Politik glaubt mitunter immer noch, die Menschen wollten belogen und getäuscht werden, zumindest bis nach der Wahl. Doch das ist eindeutig nicht der Fall. Die Menschen wollen die Wahrheit wissen. Opel ist nicht die Oderflut des Jahres 2009.

Wollen die Menschen vielleicht eine gerechtere Vermögensverteilung?

Das mag durchaus der Fall sein. Aber wir vermengen im Moment drei Fragen. Erstens: Markt oder Plan - was ist die effizientere Organisation von Wirtschaft? Zweitens: Was ist die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen? Drittens: Was ist ethisches Verhalten? Diese Fragen werden tagtäglich durcheinandergeworfen, und so führt Verteilungskritik zu Marktkritik. Dabei ist die erste Frage in Wirklichkeit klar beantwortet, theoretisch, empirisch und historisch – und in keinem Land der Welt klarer als in Deutschland. Die dezentrale Organisation durch den Markt ist der zentralen Organisation durch den Staat überlegen. Das zeigt auch die Krise: So wie Vorstände oder Aufsichtsräte von Banken - staatlich entsandte Mitglieder eingeschlossen – nicht einmal die Risiken eines einzigen Instituts beherrschen konnten, wird der Staat doch niemals die Komplexität einer ganzen Volkswirtschaft durchdringen können. Der Markt ist ganz einfach effizienter. Aber das heißt bezogen auf die zweite Frage nicht zwangsläufig, dass Marktergebnisse immer zu einer als gerecht empfundenen Vermögensverteilung führen.

Und wie kriegt man die hin?

Das ist Aufgabe der Fiskalpolitik. Dabei kann man über die verschiedensten Ansätze streiten und muss das auch. Das ist aber genauso wenig eine Systemfrage, wie es die dritte Frage, die nach dem ethischen Verhalten ist. Amoralisches Verhalten hat es in Planwirtschaften mindestens ebenso häufig gegeben wie im Kontext der Finanzmarktkrise.

Könnten Sie sich mit einer Vermögensteuer anfreunden?

Ich bin kein Anhänger hoher oder gar neuer Steuern. Aber eine freie und freiheitliche Wirtschaftsordnung mit Vermögensteuer ist eindeutig besser als eine unfreie und zunehmend staatlich gelenkte Wirtschaft mit Steuersenkungen. Denn im ersten Fall ist der Kuchen, der unter allen Bürgern zu verteilen ist, größer, da die Marktkräfte sich positiv entfalten können. Das Ausmaß der Freiheit ist wichtiger als die Höhe des Steuersatzes, sofern letzterer nicht selbst zur Einschränkung der Freiheit führt. Die Kernfrage ist nicht, wie der Kuchen verteilt wird, sondern wie groß er ist. Wir müssen den Kuchen vergrößern, statt die Krümel zu verwalten. Dann haben wir mehr für alle.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Moritz Döbler.

DER MANAGER

Utz Claassen (46) war rund 20 Jahre als Manager tätig, zuletzt als Vorstandschef des Stuttgarter Energieversorgers EnBW. Weil er Politiker zur Fußball-Weltmeisterschaft eingeladen hatte, wurde er angeklagt, aber freigesprochen. Trotz seines geringen Alters hat er bis zur Rente Anspruch auf ein Übergangsgeld der EnBW, das 400 000 Euro pro Jahr ausmachen soll. Claassen

berät inzwischen Unternehmen und hat die Syntellix AG gegründet, die Materialien für die Medizintechnik entwickelt.

DER AKADEMIKER

Claassen hat mit 17 Jahren ein Einser-Abitur abgelegt und in Hannover und Oxford studiert. Der promovierte Ökonom lehrt in Hannover an der Universität und an der Gisma Business School. Er hat zwei Bücher geschrieben: „Mut zur Wahrheit“ und das gerade erschienene „Wir Geisterfahrer“ über die Wirtschaftskrise. Mit Frau und Tochter lebt er in seiner Geburtsstadt Hannover. Tsp

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false