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Auf einigen Konten in Deutschland liegen Vermögen, von denen niemand etwas weiß.

© picture alliance / Oliver Berg/d

Verwaiste Konten: Deutschlands Banken horten bis zu neun Milliarden Euro von Toten

Was tun mit Geld, dessen Besitzer verstorben oder nicht mehr auffindbar sind? Hierzulande eine intransparente Angelegenheit. Im Ausland sieht es anders aus.

Von Carla Neuhaus

Als Frank Bergmann kürzlich Post von einer kleinen Sparkasse im Emsland bekam, war er überrascht. Seit 30 Jahren, erfuhr er da, habe er bei dem Institut ein Sparbuch. Nun änderte die Sparkasse ihr Kleingedrucktes, deshalb das Schreiben. Hätte Bergmann keine Post bekommen, er wüsste bis heute nicht, dass jemand für ihn als Kind dort ein Konto eröffnet hat. „Und das passiert ausgerechnet mir“, sagt Bergmann. Als Erbenermittler erforscht er, wem das Vermögen gehört, das Menschen nach ihrem Tod hinterlassen. Oft muss Bergmann dabei erst einmal herausfinden, wie viel es überhaupt zu vererben gibt. Und allein das ist bereits eine Herausforderung.

Erben wissen häufig nicht, bei welchen Banken die Verstorbenen Guthaben besaßen. Da gehen Sparbücher verloren, da fehlen Unterlagen zu Girokonten. Jahrzehntelang liegt so Geld auf der Bank, das den Erben gehört – die davon aber nichts ahnen. Die Institute sprechen dann von „nachrichtenlosen Guthaben“, weil sie keine Nachricht darüber haben, wem es zusteht. Oft haben die Verstorbenen Jahre vor ihrem Tod Namen oder Anschrift geändert, wodurch der Kontakt abgerissen ist.

Was speziell klingt, kommt in der Praxis offenbar häufig vor. Zwischen zwei bis neun Milliarden Euro liegen Schätzungen zufolge in Deutschland auf verwaisten Konten. Eine enorm hohe Summe – die allerdings keiner genauer beziffern kann. Weder die Bankenverbände noch das Bundesfinanzministerium haben darüber nach eigenen Angaben Zahlen. Auch die Banken selbst sind schweigsam. Angefragte Geldhäuser, ob Großbank oder regionale Institute, wollen oder können keine Daten nennen. Einzige Ausnahme ist die Sparkasse Dortmund: Allein bei ihr liegen 4,7 Millionen Euro auf nachrichtenlosen Konten.

Selbst die Schweiz ist transparenter

Erbenermittler gehen davon aus, dass diese Summen in den nächsten Jahren noch steigen werden. Wenn Erben die Unterlagen der Verstorbenen durchsuchen, stoßen sie bislang noch oft auf alte Sparbücher. Werden die Konten jedoch rein digital geführt, werden solche Zufallstreffer seltener. Und anders als im Ausland gibt es in Deutschland kein zentrales Register für diese Konten.

Selbst Liechtenstein und die Schweiz sind in diesem Punkt transparenter. In der Schweiz etwa können Erbenermittler wie Bergmann eine Anfrage beim Ombudsmann stellen. Dem müssen die Banken regelmäßig ihre nachrichtenlosen Konten melden. Der Ombudsmann informiert dann die Erben über den Fund und das selbst Jahre nach der Anfrage. „Es ist schon absurd, dass ein Land, das als Steueroase gilt, im Umgang mit nachrichtenlosen Konten transparenter ist als Deutschland“, sagt Bergmann, der auch für den Verband Deutscher Erbenermittler (VDEE) spricht. Er würde sich daher ein solches Zentralregister auch für Deutschland wünschen.

Die Grünen fordern ebenfalls mehr Transparenz. „Es wird Zeit, dass auch die Bundesregierung einmal konkret prüft, wie eine sinnvolle und datenschutzrechtlich konforme Ausgestaltung aussehen könnte“, sagt die finanzpolitische Sprecherin Lisa Paus. Erkannt hat die Bundesregierung das Thema. Sowohl das Finanz- als auch das Justizministerium befassen sich damit. „Wir haben das Thema nachrichtenlose Konten eng im Blick“, heißt es etwa aus dem Haus von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Noch sei es aber zu früh, um konkreter zu werden: „Es handelt es sich um ein komplexes Thema, bei dem unterschiedliche Rechtspositionen zu berücksichtigen sind.“

Viel Aufwand für potentielle Erben

Die Bankenverbände haben da bereits eine klarere Meinung: „Wir halten die Einrichtung eines zentralen Registers für nicht erforderlich“, heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft. Es gebe ein eingespieltes Verfahren, mit dem Erben hierzulande nach Konten suchen könnten. Gemeint sind damit die Anlaufstellen bei den einzelnen Bankenverbänden. Das Problem ist aber: Wer als Erbe keinen Anhaltspunkt hat, ob der Verstorbene ein Konto bei einer Sparkasse, einer Volksbank oder einer Privatbank hatte, muss alle drei Verbände separat anschreiben. Der Bankenverband, der unter anderem Großinstitute wie die Deutsche Bank und die Commerzbank vertritt, bekommt nach eigenen Angaben im Jahr rund 1000 solcher Suchanfragen. Beim Sparkassenverband melden sich ebenfalls jährlich 900 bis 1000 Verbraucher, die nach Konten suchen – Tendenz „leicht steigend“.

Neben einem zentralen Register wird derzeit darüber diskutiert, was eigentlich mit dem Geld passieren sollte, auf das auch nach Jahren keiner einen Anspruch erhebt. Bislang führen die Banken die nachrichtenlosen Konten einfach weiter. „Auch wenn auf Tagesgeld- und Sparkonten über Jahre hinweg keine Kontobewegung stattfindet und wir keinen Kontakt zu den Kunden, deren Erben oder anderen Berechtigten haben, lassen wir die Guthaben grundsätzlich ruhen“, heißt es bei der Berliner Sparkasse.

Auf diese Weise wollen die Banken sicherstellen, dass Erben auch später noch an ihr Geld kommen. Gleichzeitig verdienen die Institute daran – so werden weiterhin Kontoführungsgebühren abgebucht. Und das im Zweifel 30 Jahre lang. Sind die rum, muss die Bank das übrig gebliebene Guthaben „ausbuchen“ und als Gewinn versteuern, so verlangt es das Steuerrecht. Tauchen nach Ablauf dieser 30 Jahre doch noch Erben auf, müssen die Banken sie ausbezahlen.

Das Geld könnte sozialen Zwecken zukommen

Aber ist es gerecht, dass die Milliarden auf die keiner einen Anspruch erhebt, am Ende den Geldinstituten zufallen? „Es gibt keinen Grund, warum einzig die Banken von den nachrichtenlosen Guthaben profitieren sollten“, sagt Markus Sauerhammer vom Social Entrepreneurship Netzwerk, einem Verband, der die Interessen von Sozialunternehmern vertritt. Er schlägt vor, einen Sozialfonds einzurichten, an den die Banken nachrichtenlose Guthaben überweisen sollten.

Ganz abwägig ist diese Idee nicht. In anderen Ländern gibt es einen solchen Fonds bereits. Zum Beispiel in Großbritannien. Meldet sich dort 15 Jahre lang niemand, dem das Guthaben auf einem verwaisten Konto gehört, überweist die Bank es an den „Reclaim Fund“. Seit der Gründung vor acht Jahren hat dieser Sozialfonds bereits 600 Millionen Pfund (690 Millionen Euro) eingesammelt. Ein Teil dieser Summe (40 Prozent) legt er sicher an – für den Fall, dass sich später noch Erben melden. Die übrige Summe überweist der Fonds weiter an den Big Lottery Fund, von wo aus das Vermögen nach einem regionalen Schlüssel an gemeinnützige Projekte verteilt wird. England zum Beispiel verwendet einen Großteil dieser Mittel, um Sozialunternehmer zu fördern – also Firmen, die statt einer hohen Rendite einen sozialen oder ökologischen Zweck verfolgen.

Eine solche Lösung schwebt Sauerhammer auch für Deutschland vor. „Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien sich darauf verständigt, Sozialunternehmer und soziale Innovationen stärker zu fördern“, sagt er. Aus einem Fonds, in den die nachrichtenlosen Guthaben fließen, könne man das realisieren. GrünenPolitiker Paus sieht das ähnlich. „Gesellschaftlich relevante Projekte im Bereich Bildung, Klimaschutz oder Integration fehlt häufig die passende Finanzierung“, sagt sie. „Hier könnte man eine sinnvolle Ergänzung schaffen und das ohne den Bundeshaushalt zu belasten.“

Die Banken halten von dem Vorschlag derweil wenig. „Eine Verfügung über solche Guthaben zu Gunsten Dritter wäre ein Eingriff in das Rechtsverhältnis zwischen Kunde und Institut“, schreiben sie. Sauerhammer hält dagegen, dass in Großbritannien Erben auch dann noch ausbezahlt werden, wenn das Geld bereits an den Fonds geflossen ist. Auch für sie könnte das von Vorteil sein, meint Erbenermittler Bergmann. „Erben hätten mit dem Fonds einen zentralen Ansprechpartner und müssten nicht mehr jede Bank einzeln anfragen.“

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