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Verschiedene Denkmuster bringen uns weiter.

© Getty Images/iStockphoto

Konferenz Diversity 2018: Vielfalt beflügelt Innovation

Die fruchtbarsten Quellen für bahnbrechende Ideen sind die Schnittstellen zwischen verschiedenen Kulturen, Branchen und Disziplinen. Ein Gastbeitrag.

Als Karl Benz 1885 das erste benzinbetriebene Automobil erfand, konnte er nicht ahnen, dass noch nicht einmal 20 Jahre später zwei Brüder im Städtchen Kitty Hawk an der Ostküste der USA ihren ersten Flugversuch starten würden. Das Automobil ist eine der bedeutendsten Innovationen des Industriezeitalters, und dennoch hatte sie es noch nicht einmal bis zur Serienreife gebracht, als schon der nächste Durchbruch im Bereich der menschlichen Fortbewegung folgte: die Flugzeuge.

Dank dieser beiden Innovationen gelangten Menschen plötzlich an die entlegensten Ecken der Erde. Heute befahren über 1 Milliarde Autos die Straßen dieser Welt, und jeden Tag lassen 8 Millionen Menschen fliegend Ländergrenzen und Zeitzonen hinter sich. In dieser Entwicklung kollidierten Ideen und verbreiteten sich. Nach seinem ersten Caffè Latte in einem Mailänder Café machte Howard Schultz Starbucks zu dem, was wir heute kennen. Die Libanesin Aheda Zanetti musste erst nach Australien auswandern, um auf die Idee für den Burkini zu kommen, einen Badeanzug für muslimische Frauen, der den gesamten Körper bedeckt. Inzwischen hat er auch Anklang bei Menschen gefunden, die sich um Hautkrebs Sorgen machen.

Das alles sind Beispiele für das, was ich den Medici-Effekt nenne: Die fruchtbarsten Quellen für bahnbrechende Ideen sind die Schnittstellen zwischen verschiedenen Branchen, Disziplinen und Kulturen. Dieses Phänomen ist verwandt mit der kreativen Phase, welche die Medici im Florenz der Renaissance einläuteten. Anders gesagt: Vielfalt beflügelt Innovation.

Wo Innovation und Vielfalt zusammenkommen

Dass Florenz zu einem der wichtigsten Zentren der Renaissance wurde, war kein Zufall, liegt es doch am Kreuzungspunkt der damaligen Handelsrouten zwischen Ost und West. Die digitale Wirtschaft des 21. Jahrhunderts hat den Handel in grundlegender Weise verändert: Traditionelle Grenzen wurden aufgelöst und unsere Kontakt- und Kommunikationsformen im globalen Kontext runderneuert.

In diesem Klima treten zwei Trends klar zutage: Innovation und Vielfalt. In mehrerlei Hinsicht sind diese beiden Trends seit Jahrhunderten eng verflochten. Inzwischen machen sie jedoch global Schlagzeilen und beeinflussen die Agenden vieler Spitzenkräfte in Politik und Wirtschaft. Innovation wird immer wichtiger, um wettbewerbsfähig zu bleiben, unternehmerisch weiterzukommen und Wachstum zu fördern. Unterdessen hat die Debatte rund um die Vielfalt an Intensität zugenommen, von Themen wie Gender und sexueller Orientierung bis hin zu Begabung und Immigration; und alle diese Themen haben erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Geopolitik.

Weltweit wächst das Bewusstsein um den Facettenreichtum des Themas Vielfalt, und der Ruf nach Veränderung wird immer lauter. Deutlich sichtbar wird dieser Punkt an der #MeToo-Bewegung in Frankreich, Israel, Kenia und Südkorea, den USA und vielen anderen Ländern der Welt. Die Dringlichkeit, mehr Frauen und Mitglieder von Minderheiten in Führungspositionen zu sehen, wird in zahlreichen Branchen und Ländern immer deutlicher wahrgenommen. Neue Gesetze und Richtlinien ebnen den Weg für die LGBTQ-Gemeinde. Hier in Deutschland werden erste Schritte vollzogen, ein drittes Geschlecht anzuerkennen. Debatten um Einwanderung werden von ultrarechten Populisten in den Trumpschen USA bis hin zu anderen Ländern in Europa, Südamerika und Asien überall auf der Welt aktiv betrieben.

Der Trend zur Vielfalt wird an Fahrt aufnehmen, da immer mehr Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen auswandern – sei es die Hoffnung auf bessere Bildungschancen und wirtschaftliche Sicherheit oder die Flucht vor Gewalt und Verfolgung. Ich glaube nicht, dass diese Migrationsbewegungen aufhören werden, da sie ganz grundlegend mit Wachstum und Innovation zusammenhängen.

 Innovation oder Tod

Die Weisheit „Innovation oder Tod“ (oft englisch „innovate or die“) gilt in der Geschäftswelt schon seit Jahrzehnten, doch im digitalen Zeitalter hat sie noch einmal stark an Relevanz gewonnen. Als Indikator hierfür kann die Anzahl der Patentanmeldungen dienen. Weltweit betrachtet ist sie von weniger als einer halben Million im Jahr 1985 auf über zwei Millionen im Jahr 2016 gestiegen. Das ist ein Wachstum von 300 Prozent in 30 Jahren. Laut der Funding-Plattform Gust hat sich die Zahl der gestarteten Startup-Accelerator-Programme von 0 im Jahr 2015 auf 26 Programme im Jahr 2015 erhöht.

Sie meinen, Startups können unmöglich nennenswerte Auswirkungen haben? Tesla, Netflix, AirbnB und viele andere belegen das Gegenteil. Auch diese Unternehmen waren einmal Startups, haben ihre jeweilige Branche aber spürbar aufgewirbelt. Ihr Beispiel zeigt, dass Konkurrenz in einer grenzenlosen globalen Wirtschaft von überall her kommen kann. In einzelnen Fällen hat unerwartete Konkurrenz sogar zu mehr als reinem Verlust von Marktanteilen geführt. Nokias Abstieg hat die finnische Wirtschaft mit nach unten gezogen, mitten in eine Rezession, deren Folgen noch heute zu spüren sind. Innovation ist nicht nur nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben, sondern auch um als Unternehmen zu überleben und zu wachsen.

Dr. Thomas Funke, den ich vor ein paar Monaten in Frankfurt traf, äußerte sich besorgt über Deutschlands große Unternehmen. „Ihre Geschäftsmodelle funktionieren seit 200 Jahren. Neue Einnahmequellen können sie sich nur schwer vorstellen, aber sie müssen sich aus ihrem gewohnten Fahrwasser herausbewegen.“ Hilfe bei dieser Neuorientierung bietet Dr. Funke über TechQuartier, ein Dienstleistungsunternehmen, das er gemeinsam mit anderen gegründet hat, um Großbanken und andere globale Finanzdienstleister mit Deutschlands lebhafter FinTech-Startup-Landschaft zu vernetzen.

SAP, einer der zehn größten Softwarehersteller der Welt, hat zahlreiche Neulinge auf den Markt drängen sehen. „Wir sind ein 46 Jahre altes Unternehmen in einer schnelllebigen digitalen Welt, in der jeder ständig versucht, Störungen zu provozieren, um Aufmerksamkeit zu erregen“, so SAP-Vorstandsmitglied Jennifer Morgan im Interview mit mir. „Sowohl unser Sektor als auch die geopolitische Landschaft sind ständigem Wechsel unterworfen. Um in einem solchen Kontext zu florieren, müssen wir Innovationen schneller hervorbringen, und das bedeutet nicht selten, neue und sehr unterschiedliche Menschen ins Boot zu holen.“

 Vielfalt als Wachstumsmotor

SAP ist nicht das einzige Unternehmen, das seine facettenreiche Belegschaft zur Innovation nutzt. Auch wenn Innovationen sich heute oft um Naturwissenschaft und Technik drehen, sind letztlich Menschen die wahre Quelle der Innovation. Je bunter gemischt ein Team, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass unerwartete und wirkmächtige Verbindungen entstehen. Und es sind diese Verbindungen, und die unterschiedlichen Perspektiven, Netzwerke und Erfahrungen, die jeder Einzelne einbringt, durch die Neuland betreten werden kann. Eine 2017 durchgeführte Studie der TU München hat einen positiven Zusammenhang zwischen Vielfalt, Geschäftserfolg und Innovation festgestellt. Und das ist nur eine der vielen Studien, die sich seit 1980 weltweit diesem Thema angenommen haben.

Die Walt Disney Company hat Vielfalt zu einer Kerngeschäftsstrategie erkoren, von der sie sich massive Wachstumschancen erhofft. So war es kein Zufall, dass es Disneys Marvel Studios waren, die 2018 den ersten Großbudget-Superhelden-Film veröffentlichte, der sich durch Vielfalt vor wie hinter der Kamera auszeichnete. Black Panther untergrub kulturelle, Rassen- und Geschlechterstereotypen in einem Ausmaß, das es in Hollywood so noch nicht gegeben hatte. Bisher hat der Film mehr als 1,14 Milliarden Euro eingespielt (21 Millionen davon in Deutschland). Disney blickt in die Zukunft – die Gesellschaft ist bunt, facettenreich und multikulturell, und die Zuschauer wollen das in ihrer Unterhaltung reflektiert sehen. Disney ist einer der ersten großen Player, der so stark auf Vielfalt setzt und sich damit enorme Vorteile vor der Konkurrenz verschafft.

Vielfalt entlang der Kategorien von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Sexualität und körperlichen Fähigkeiten zu betrachten, ist einfach, doch ist das Phänomen ist deutlich multidimensionaler. In meinem Unternehmen, der Medici Group, sind wir der Auffassung, dass Vielfalt beschreibt, wer wir sind (siehe oben), was wir tun (Bildungsgrad, Branche, Position) und wie wir es tun (Denkmuster, Kommunikationsstile usw.). Disney, ein Unternehmen, mit dem wir seit zehn Jahren zusammenarbeiten, teilt dieses Verständnis von Vielfalt.

Unseren mehrdimensionalen Ansatz verfolgen wir mit Teams rund um die Welt, in kleinen wie in großen Unternehmen in Branchen von Technologie, Biopharmazie und Ingenieurwesen über Öffentliche Verwaltung bis hin zu Konsumartikeln. Die empirische Beweislage ist eindeutig. Vielfältige Teams 1) bringen ungewöhnlichere Ideen hervor, 2) entscheiden sich für bessere Ideen und 3) arbeiten schneller unter strengen Vorgaben. Vielfältige Teams, in denen jedes Mitglied gleichberechtigt gehört wird, können auf einen größeren Fundus an Beziehungen und Ressourcen zurückgreifen, wodurch sie mehr Alternativen ausloten können, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für einen Durchbruch erhöht.

Als Vorstandsmitglied und CEO of Healthcare bei der Darmstädter Merck KGaA sieht Belén Garijo das tagein, tagaus. Sie bestätigt: „Für den Erfolg einer Führungskraft ist ein vielfältiges Team essenziell. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Kommunikationsstile ihre eigenen Perspektiven einbringen, können wir effektiver daran arbeiten, weltweit führend in Wissenschaft und Technik zu bleiben.“

 Die Zukunft steht im Zeichen der Vielfalt

 Die Innovationen des Industrie- und des digitalen Zeitalters haben die Welt neu geschaffen. Mauern und Grenzen können weder Menschen, noch Ideen noch den Wettbewerb aufhalten. Wer in dieser neuen Weltordnung bestehen möchte, muss neue Perspektiven einbeziehen, selbst wenn sie nicht zu den eigenen passen. Aus dieser Inkongruenz erwächst das Potenzial für große Ideen und Innovationen. Das gilt für ganze Unternehmen, aber auch für Teams, Netzwerke und persönliche Ziele.

Schaffen Sie, wo immer möglich, mehr Vielfalt in Ihren Teams und in Ihrem Unternehmen. Denken Sie an sämtliche Dimensionen der Vielfalt, die mein Unternehmen anspricht. Manchmal bedeutet Vielfalt, einen Mitarbeiter aus einer gesellschaftlichen Minderheit dabei zu haben, manchmal, jemanden, der sein bisheriges Arbeitsleben in einer ganz anderen Branche verbracht hat. Bei so vielen relevanten Faktoren können Sie bei den Vielfaltskriterien in Ihrem Team wirklich kreativ werden.

Aber: Vorhandene Vielfalt allein ist nicht genug. Sie muss aktiviert werden, will sagen: Jeder Einzelne muss seine Sichtweise haben dürfen und sicher sein können, dass seine Beiträge willkommen sind und wertgeschätzt werden. Ähnlich wie beim „aktiven Zuhören“ braucht es auch bei der aktiven Inklusion eine bewusste Anstrengung, denn sonst ist es allzu leicht, in gewohnte Muster zurückzufallen. Selbst der einfühlsamste Mensch kann aus purer Gewohnheit abschätzig reagieren oder bestimmte Perspektiven ausblenden.

Und schließlich: Nutzen Sie die angesprochenen Schnittstellen, um neue Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle, Marketingstrategien usw. voranzubringen. Unternehmen, die das schaffen, sind in der Lage, Vielfalt und Inklusion als strategischen Vorteil zu nutzen – als Motor für die Zukunft. Halten Sie es wie Apples Vorstandsvorsitzender Tim Cook, der 2015 sagte: „Ich glaube, die vielfältigste Gruppe wird das beste Produkt erschaffen, davon bin ich überzeugt.“ Apples Website unterstreicht diesen Gedanken: „Das innovativste Unternehmen muss auch das vielfältigste sein.“

Die Welt ist vernetzt. Wer Innovationen schaffen will, muss diese Vernetzung fördern.

Frans Johansson ist Gründer und CEO der New-Yorker Medici Group. Sein Buch „Der Medici-Effekt“ hat Konzernchefs, Wissenschaftler, Jungunternehmer und Politiker auf der ganzen Welt beeinflusst.

Sein Text ist ein Beitrag zur Tagesspiegel-Konferenz Diversity 2018 über Vielfalt in der Arbeitswelt. Aus dem Englischen von Stephan Rothschuh.

Frans Johansson

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