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Wirtschaft: Volle Kraft gegeneinander

Die Agenda 2010 hat den Streit innerhalb der Gewerkschaften offen gelegt/IG-Chemie-Chef Schmoldt wird an den Rand gedrängt

Berlin – Alles nicht so schlimm? Da schreiben sich zwei der wichtigsten Gewerkschaftsführer Briefe, in dem der eine dem anderen Realitätsverlust und Dauerblockade bescheinigt, umgekehrt ist von Anmaßung, unkollegialem Stil und gewerkschaftsfeindlichem Verhalten die Rede. HansJürgen Urban hält das für normal. Urban ist Leiter des Bereichs Gesellschaftspolitik der IG Metall und Reden- und Briefeschreiber von Metallerchef Jürgen Peters. „Es ist allgemein bekannt, dass es unterschiedliche Positionen gibt, es ist nicht gerechtfertigt, das zu dramatisieren“, sagt Urban über den Briefwechsel zwischen Peters und Hubertus Schmoldt, dem Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie. Schmoldt hatte Ende letzter Woche im Schreiben an Peters die Differenzen öffentlich gemacht: „Was uns unterscheidet sind Bewertungen der politischen Lage; unsere Einschätzungen zum Reformbedarf und der Reformpolitik differieren ebenso wie jene Rolle zum Kurs der Gewerkschaften in diesem Prozess.“

Auf Schmoldts Seite stehen die Gewerkschaften Nahrung, Genuss, Gaststätten NGG und die Eisenbahner von Transnet. Peters wiederum weiß Verdi-Chef Frank Bsirske auf seiner Linie. Verdi und die IG Metall haben zusammen rund fünf Millionen Mitglieder, die IG BCE 775000. Gegen die Elefanten kann sich Schmoldt, wenn überhaupt, nur unterm DGB-Dach behaupten. Aber wie? „Es fehlt im DGB an einer klaren politischen Linie“, beklagt der Chemiefunktionär. „Unser Gewerkschaftsbund schwankt in zentralen politischen Fragen hin und her.“ Und was macht DGB-Chef Michael Sommer? „Der hat sich auf die Seite der Hardliner Peters und Bsirske gestellt und kann deshalb nicht mehr moderieren“, sagt ein Gewerkschafter. Diese Einschätzung sei unfair, meint dagegen der Gewerkschaftskämpe Detlef Hensche, langjähriger Chef der IG Medien, die vor ein paar Jahren in Verdi aufgegangen ist. „Ich glaube nicht, dass Sommer bei dieser Kontroverse etwas machen konnte.“ In der Riege der DGB-Vorsitzenden hätte Hensche zufolge nur Ernst Breit „mit einem Machtwort die offene Feldschlacht verhindern können, weil der die nötige Autorität hatte“.

Wie schwer der Stand des DGB-Vorsitzenden zwischen den Bossen der Einzelgewerkschaften ist, hat kürzlich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt durchschimmern lassen. Er sei selbstverständlich zu Gesprächen mit dem DGB-Chef bereit – wenn der „die politische Kraft hat“. Anders gesagt: Hundt hält Sommer für ein politisches Fliegengewicht. Für Hans-Peter Müller von der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft „personifiziert Sommer den Zickzackkurs der Gewerkschaften in einer Mischung aus Scharfmacher und Schlaffi“.

In der Reaktion auf die Agenda 2010 ist die Kontroverse innerhalb der Gewerkschaften voll ausgebrochen, was für Hensche „in der Natur der Sache liegt“. Allerdings, das räumt er ein, nutzt die Spaltung im Arbeitnehmerlager der Regierung, weil es mit Hinweis auf die „moderne“ IG BCE möglich ist, die IG Metall und Verdi als Blockierer und Verweigerer zu etikettieren. Da „die SPD am Ende ist“, wie Hensche sagt, seien die Gewerkschaften gut beraten, sich „nicht mit nach unten ziehen zu lassen“. Also auf Distanz gehen. Hensche hat persönliche Konsequenzen gezogen: Nach mehr als 40 Jahren trat er aus der SPD aus.

„Haben sie die Regierung nun aufgegeben oder nicht?“, fragt sich Hans-Peter Müller von der Berliner Fachhochschule. Er erinnert an 2002, als die IG Metall monatelang gegen die Regierung gewettert habe und dann doch „beidrehte“, als der Wahltermin näher kam. Allerdings war damals noch Klaus Zwickel erster Vorsitzender, jetzt ist das Jürgen Peters. Dem unterstellt Müller, „mit klammheimlicher Freude“ zuzusehen, wie sich IG Metall-Funktionäre bei der Aufstellung einer Wahlalternative zur SPD engagieren. Im Übrigen gebärdeten sich Bsirske und Peters, wenn sie die Einlösung des Wahlprogramms der SPD forderten, „als wären sie eine Parteigliederung der SPD“. Das untergräbt Müller zufolge das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, die alle möglichen politischen Strömungen einbindet, und könnte in die Sackgasse der Richtungsgewerkschaft führen.

Die Krise der Arbeitnehmerorganisationen zeigt sich für Müller nicht allein im Verlust an Mitgliedern und politischem Einfluss. „Die tarifpolitische Avantgardefunktion der Exportindustrien lässt sich einfach nicht aufrechterhalten“, sagt der Wissenschaftler und weist hin auf die Vereinbarungen zur Kostensenkung und längerer Arbeitszeit bei Siemens und Daimler-Chrysler. Wo die IG Metall selbst handelt, zeigt sie also durchaus Pragmatismus und mutet den eigenen Leuten einiges zu. Im Umgang mit der gegenwärtigen Politik läuft das anders. „Wer jetzt von der Regierung einen Politikwechsel verlangt, der verlangt Unmögliches und strebt den Rücktritt von Schröder an“, sagt ein Gewerkschafter. Aber vielleicht wollen Peters und Bsirske genau das?

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