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Wirtschaft: Von Rabbis gesegnet

Brasilien steigt zum weltweiten Rindfleischexporteur auf - Israel gehört zu den Hauptkunden

Die Stadt Anastácio hatte schon immer ein eigenwilliges Publikum angelockt – von Cowboys bis zu Alligatorenjägern. Doch nur wenige hatten so viel Einfluss wie die dreizehn Rabbis, die seit kurzem hier wohnen und die Fleischproduktion im koscheren Schlachtbetrieb des Ortes überwachen. Angestellt hat sie der brasilianische Rindfleisch-Baron Antonio Russo. Sein Unternehmen, Independência Alimentos, exportiert bereits in mehr als 50 Länder – auch nach Israel. Als Russo 2001 nach Tel Aviv reiste, setzte er sich gegen einen argentinischen Mitkonkurrenten durch und zog einen Vertrag mit einem großen israelischen Fleisch-Großhandel an Land.

Das Werk deckt inzwischen 20 Prozent des israelischen Fleischkonsums und beschäftigt 760 Arbeiter. Der Ausflug in die koschere Küche ist typisch für den Geschäftssinn des 62-jährigen Russo, der inzwischen als inoffizieller Botschafter des brasilianischen Rindfleisches gilt. Das Land bringt die langjährige Vormachtstellung der USA im weltweiten Agrarhandel ins Wanken und verschafft sich damit auch immer größeren Einfluss auf politischer Ebene. Seit 1998 haben sich Brasiliens Rindfleischexporte verdreifacht. Noch in diesem Jahr wird man am bisherigen Topexporteur Australien vorbeiziehen, heißt es aus dem US-Landwirtschaftsministerium.

Der ehemalige Fleischer Russo setzt dabei auf die großen Vorteile des Landes: Riesige Weideflächen, billige Arbeitskräfte und findige Unternehmer vor Ort. Dies und der vereinfachte Zugang zu ausländischen Märkten machten es Russo bisher leicht, aus den allgemeinen Veränderungen auf dem globalen Fleischmarkt optimalen Nutzen zu ziehen. Zweifel gegenüber den herkömmlichen Lieferanten treiben die Verbraucher verstärkt zu natürlichen Produkten, zu denen auch die frei laufenden Rinder Brasiliens gehören. Dürren und der Ausbruch von Tierseuchen haben die Rinderherden überall auf der Welt dezimiert und den traditionellen Exporteuren wie Großbritannien, Kanada und den USA schwer zugesetzt. Europas Rindfleischindustrie kämpft noch immer mit den Folgen der Seuche BSE.

Auch auf US-Rindfleisch lastet in 70 Ländern ein Importverbot, nachdem dort im letzten Dezember ein Tier an BSE erkrankte. Brasilianisches Fleisch gilt dagegen als sauber und ökologisch. „Die Leute hören gern, dass sich die Rinder nur von Gras ernähren und dass das Endprodukt damit sehr fettarm ist“, sagt Mikael Olsson, Marketingchef des großen schwedischen Fleischhandels Annerstedt Flodin. Noch steht das brasilianische Rindfleisch vor Hindernissen: große Importländer wie die USA, Südkorea und Japan haben ein Einfuhrverbot verhängt – unter Berufung auf Gesundheitsgefahren. Tatsächlich blieb Brasilien zwar von BSE verschont, erlebte aber erst 2001 den Ausbruch der höchst ansteckenden Maul- und Klauenseuche. Beobachter rechnen jedoch auf längere Sicht mit der Aufhebung dieser Handelsschranken. Independência konnte seinen Exportumsatz in den letzten drei Jahren um 47 Prozent auf umgerechnet über 133 Millionen Euro steigern. Die frei weidenden Tiere Brasiliens kosten in der Fütterung nur halb soviel wie die Tiere, die mit Getreidefutter gefüttert werden.

Zudem verdient ein Arbeiter im Schlachthaus gerade einmal 200 Dollar im Monat, so dass Independência auch die arbeitsintensive Zerlegung und Verpackung für die Kunden übernehmen kann. Bereits 2800 verschiedene Fleischprodukte verkauft das Unternehmen ins Ausland, von Herzklappen für peruanische Shish-Kebab bis zum Zwerchfell-Fett, das nach Frankreich für Stroganoff-Rezepte geht.

Die Beschriftung und Auspreisung übernimmt Independência dabei gleich mit, und zwar in allen möglichen Sprachen – darunter in Russisch und Arabisch. „Hier können sie Verpackungen direkt nach Kundenwunsch produzieren, was bei unseren Lohnkosten nicht möglich wäre“, sagt Gary Kohake, stellvertretender Verkaufschef eines großen US-Fleischproduzenten, der das Werk im vergangenen Jahr besuchte.

Unternehmensboss Russo glaubt, dass Brasilien seine Rinderherden noch verdoppeln kann. Mit 170 Millionen Tieren sind sie bereits die weltgrößten. Investmentbanker von der Wall Street pilgerten zuletzt in der Hoffnung nach Brasilien, Russo werde sein Unternehmen an einen Fleisch-Multi verkaufen oder es an die Börse bringen. Doch Russo widerstand: „Unsere Geschichte fängt gerade erst an“, sagt er. Die Fleischindustrie und einige andere Agrargeschäfte waren die Rettung der brasilianischen Wirtschaft, als viele andere Branchen in die Krise stürzten. Heutzutage entstehen neue Jobs nicht mehr in den hektischen Metropolen São Paulo oder Rio De Janeiro, sondern auf dem Land.

Fleisch bleibt selbst in Krisenzeiten ein begehrtes Gut. Das zeigte zuletzt die Venezuelanische Regierung: Nach überstandenem Putschversuch legte sie ein Programm zur Verteilung von Lebensmitteln auf. Und wieder hatte Independência einen Großkunden mehr.

Weil Brasilien zunächst von den großen Importländern als Rindfleischproduzent ignoriert wurde, musste Russo sein Imperium über Nischenmärkte aufbauen. Um ins Geschäft mit islamischen Staaten wie Kuwait zu kommen, heuerte er brasilianische Moslems an. Diese halfen beim Aufbau von Halal-Schlachtanlagen, bei denen die Rinder mit dem Kopf in Richtung Mekka getötet werden.

Am schwierigsten war der Zugang zum israelischen Markt. Das Werk in Anastáco ging auf eine Arbeitswoche von Sonntag bis Freitag über, um den jüdischen Sabbath zu respektieren. Dann wurde die Produktion auf koschere Methoden umgestellt, einschließlich der Tötung der Tiere ohne vorherige Betäubung und der Schaffung eines besonderen Raumes, in dem die Rabbis das Fleisch salzen und das Blut entfernen. Rabbi Levy Israel HaCohen, der bereits in vielen Fleischereien in Lateinamerika und Europa gearbeitet hat, ist mit der Umstellung sehr zufrieden: „Das sind die besten Bedingungen, die ich je hatte.“

Matt Moffett

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