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Wirtschaft: Wall Street Journal: Cisco hat sich verrechnet

Als Cisco Systems, dem Hersteller von Computernetzwerken, im vergangenen Sommer bei prall gefüllten Auftragsbüchern die Bauteile ausgingen, versuchte das Unternehmen, seinen Einkauf zu verbessern. Durch langfristige Verträge mit den Zulieferern wurden Komponenten für Monate im voraus bestellt.

Als Cisco Systems, dem Hersteller von Computernetzwerken, im vergangenen Sommer bei prall gefüllten Auftragsbüchern die Bauteile ausgingen, versuchte das Unternehmen, seinen Einkauf zu verbessern. Durch langfristige Verträge mit den Zulieferern wurden Komponenten für Monate im voraus bestellt. Und den Vertragsherstellern, die große Teile von Ciscos Internet-Technik produzieren, gewährte das Unternehmen Kredite in Höhe von 600 Millionen Dollar, damit auch diese sich mit Bauteilen eindecken konnten. Wie es scheint, hat Cisco auf das falsche Pferd gesetzt. Jetzt musste das Unternehmen angesichts sinkender Verkaufszahlen bekannt geben, dass es für die fallenden Werte seines Lagerbestandes eine Summe von 2,5 Milliarden Dollar abschreiben muss. Laut Vorstandschef John Chambers sei Cisco ein Opfer der plötzlichen, nicht voraussehbaren Abkühlung des Wirtschaftsklimas geworden.

Zum Thema Online Spezial: New Economy Noch bis zum vergangenen November stiegen Ciscos Aufträge jährlich um 70 Prozent; heute bewegen sie sich unter dem Vorjahresniveau. "Ich kenne niemanden, der sich hierauf einstellen konnte", sagt Chambers. Doch einige der Probleme sind hausgemacht: Warnzeichen, dass sich die selbst gesteckten Verkaufsziele als zu ehrgeizig erweisen könnten, wurden von der Unternehmensführung beharrlich ignoriert. Die aggressive Expansion wurde auch dann nicht gestoppt, als das Geschäft sich verlangsamte. Nachdem noch 5000 Neueinstellungen zwischen November und März vorgenommen wurden, muss der Vorreiter der New Economy jetzt 8500 Voll- und Teilzeitstellen streichen. "Cisco hatte schon immer Schwierigkeiten, die Bremse zu finden", sagt Alex Mendez, ein ehemaliger Cisco-Manager.

Die Old Economy hat schnell reagiert

Wesentlich schneller reagierten dagegen viele Vertreter der Old Economy. So reduzierten die großen Autohersteller prompt ihren Einkauf, als die Umsätze im vergangenen Herbst sanken. Natürlich stand Cisco vor härteren Einbrüchen als die Autoindustrie, die das vierte Quartal mit einem Umsatzrückgang von sieben Prozent abschloss. Allein im laufenden Quartal werden Ciscos Verkäufe um 30 Prozent oder 4,75 Milliarden Dollar nachgeben. Für eine kurze Zeit im Frühjahr 2000 war Cisco das teuerste Unternehmen der Welt. Seither ist die Aktie um 70 Prozent gefallen, hunderte von Milliarden Dollar an Marktwert vernichtet. Das bringt langsam zwei tragende Säulen des Firmenerfolgs in Gefahr: die attraktiven Aktienoptionen, mit denen talentierte Fachkräfte angezogen wurden, und die Möglichkeit, die begehrten Aktien für den Einstieg bei Start-ups zu verwenden.

Noch im vergangenen Mai hatte Chambers auf der jährlichen Unternehmenskonferenz für das bevorstehende Geschäftsjahr eine Umsatzsteigerung von 60 Prozent vorausgesagt. Kurz zuvor konnte Cisco das elfte Quartal in Folge mit steigendem Umsatzwachstum abschließen. Allerdings zeigten sich bereits die ersten Wolken am Himmel: Kurze Zeit später gingen dem Unternehmen wichtige Zubehörteile für die Herstellung von Firmennetzwerken aus. Die Kunden mussten auf ihre Bestellungen statt der üblichen drei Wochen nun bis zu fünfzehn Wochen warten und wanderten teilweise zu anderen Herstellern ab. Cisco deckte sich mit enormen Mengen an Material ein. Zwischenzeitlich drehte die Stimmung an den Finanzmärkten. Sie wandte sich vor allem gegen den Telekommunikationssektor, dem Cisco einen überproportionalen Teil seiner Gewinne verdankte.

Doch selbst als die Aktien von Konkurrenten wie Nortel Networks wegen schwächerer Umsatzprognosen innerhalb von zwei Tagen um 33 Prozent einbrachen, hielt man sich bei Cisco für immun. Heute sagt Chambers, dass die Umsatzwarnungen kein Grund für ihn waren, in Panik zu verfallen. Schließlich rechnete auch Nortel noch mit einem Umsatzwachstum von 30 bis 35 Prozent - und Cisco entwickelte sich stets bis zu 20 Prozentpunkte besser als Nortel. Die Anforderungen der Wall Street hätten also auch bei langsamerem Wachstum noch erfüllt werden können.

In der Tat hatte jedoch die Talfahrt auch bei Cisco bereits begonnen. Bis zum November, so Chambers, gab es noch "berunruhigende" 70 Prozent mehr Bestellungen als im Vorjahr. In der Hoffnung, die Konkurrenz hinter sich zu lassen, drückte Cisco auf das Gaspedal. Finanzvorstand Larry Carter sprach noch im November von Umsatzsteigerungen von 60 Prozent und drängte die Analysten der Wall Street, ihre Umsatz- und Gewinnprognosen für Cisco heraufzusetzen.

Der Einbruch kam schneller als erwartet

Auch Chambers setzte seine aggressive Welle von Neueinstellungen fort und sorgte sich erst, als die Umsatzeinbußen offensichtlich wurden. Als ihm die Vorstände seiner größten Kunden erklärten, dass sie wegen eigener Umsatzverluste die Ausgaben kürzen müssten, versammelte er am 15. Dezember die Unternehmensführung, um über geeignete Maßnahmen zu beraten. Doch die Expansionsmaschine anzuhalten, erwies sich als schwer: Obwohl man beschloss, die Neueinstellungen zu bremsen, gab Cisco im Dezember mehr Stellenangebote als in jedem anderen Monat des Jahres heraus.

Aus dem kühlen Dezember wurde für Cisco ein frostiger Januar: Verkäufe an neue Telekommunikations-Unternehmen fielen im ersten Quartal um 40 Prozent auf 300 Millionen Dollar. Die gesamte Wirtschaft hielt sich mit Ausgaben für High-Tech-Ausrüstung zurück. Anstatt der geplanten Verdoppelung bei Verkäufen an Internetfirmen, gingen diese Umsätze auf die Hälfte zurück. Wenig gebrauchte Cisco-Technik war überall von gescheiterten Internetunternehmen zu haben. Die Geschwindigkeit des Einbruchs überraschte die Unternehmensführung. Offenbar wurde sie vor allem vom firmeneigenen Informationssystem in die Irre geleitet, das die Auftragslage nicht richtig erkannt hatte.

Denn die Wartezeiten, inzwischen von zwei bis drei Monaten, versuchten viele Kunden zu verkürzen, indem sie mehrfach bestellten - einerseits bei Cisco und außerdem bei anderen Lieferanten. Als das Produkt dann geliefert wurde, strichen sie die überflüssigen Bestellungen. "Wir wussten, dass es mehrfache Aufträge gab. Doch wir ahnten nicht das Ausmaß", sagt Cisco-Stratege Michelangelo Volpi.

Erst im März änderte Cisco den Kurs und kündigte an, 5000 Stellen und bis zu 3000 weitere Teilzeitstellen zu streichen. Ferner soll das Unternehmen neu strukturiert werden. Mit einem Einstellungsstopp im vergangenen Herbst wären die jetzigen Stellenkürzungen sicher vermieden worden. Doch der Schritt hätte Umsatz und wichtige Marktanteile gekostet, sagt Vorstand Chambers. Letztlich, so meint er, wäre Cisco nie so groß geworden, wenn man bei jedem Stottern die Notbremse gezogen hätte.

Scott Thurm

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