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Wirtschaft: Weiche Landung für den Riesen

Chinas rasantes Wachstum hat der Weltwirtschaft den Aufschwung gebracht. Jetzt kühlt der Boom ab

Peking/Shanghai/Hongkong - Die rasante Entwicklung der chinesischen Wirtschaft verliert langsam an Fahrt, wie die am Donnerstag veröffentlichten Konjunkturdaten erkennen lassen. Damit steigt auch die Hoffnung, dass China nicht auf einen abrupten Absturz zusteuert, der auch der Weltwirtschaft schaden könnte.

Die Wachstumszahlen in der Stahlindustrie, dem Automobilbau und anderen Branchen wuchsen nicht mehr so schnell wie bisher. Hätten die von der Regierung verfügten Maßnahmen zur Drosselung des Wachstums nicht angeschlagen, wäre den Offiziellen nur der gefährliche Griff zur Notbremse geblieben. Chinas Regierende befürchteten, dass eine Überhitzung die ohnehin schon knappen Ressourcen weiter belasten sowie zu höherer Inflation und schmerzhaften Investitionsruinen führen könnten.

Schließlich legte die Leistung der Volkswirtschaft noch im ersten Quartal 2004 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um sensationelle 9,4 Prozent zu. In letzter Zeit hatte die Regierung von den Banken und den Regionalbehörden daher gefordert, Investition in besonders dynamischen Branchen einzudämmen.

Sollte der Regierungskurs über das Ziel hinausschießen und das Wachstum in China nicht allmählich, sondern schlagartig stoppen, wären Erschütterungen des Weltmarktes unvermeidbar. Denn Chinas Nachfrage nach Gütern aller Art ist für viele Nationen zu einer willkommenen Einnahmequelle geworden. Nach den offiziellen Zahlen fielen die Produktionssteigerungen der chinesischen Industrie auf das Jahr gerechnet seit April von 19,1 Prozent auf 17,5 Prozent.

Einige Fachleute warnen davor, die neuesten Zahlen als sicheres Zeichen einer so genannten weichen Landung der Volkswirtschaft zu werten. Gerade das Einfrieren von Firmenkrediten in vielen Bereichen kommt die Unternehmen derzeit so teuer zu stehen, dass die Gefahr eines Absturzes längst nicht gebannt ist. Doch je eher der Rückgang jetzt kommt, umso größer sind die Hoffnungen auf einen moderaten Abschwung. „Die Wahrscheinlichkeit einer weichen Landung steigt“, beruhigt Huang Yiping, ein Finanzexperte von der Citigroup in Hongkong.

Ausländische Finanzmärkte und Investoren hatten China schon lange unter verstärkter Beobachtung, auch wenn sein Anteil an der Weltwirtschaft nur drei Prozent beträgt. In bedeutenden Einzelsektoren, besonders im Warenverkehr, ist China bereits ein Hauptakteur und trägt auf diese Weise zu 15 Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum bei.

Um seine Fahrzeuge und Kraftwerke anzutreiben, importiert China so viel Öl wie nie zuvor, was den Ölpreisen zuletzt zu neuen Höhen verhalf. Die neuen Wolkenkratzer und Luxusappartements verschlangen im letzten Jahr 27 Prozent der weltweiten Eisenproduktion und 40 Prozent des weltweit erzeugten Betons.

Warenverkäufe durch ausländische Unternehmen an die Chinesen summierten sich 2003 auf 222 Milliarden Dollar, verglichen mit 42 Milliarden im Jahr 1994, sagt Nicholas Lardy, Dozent am Institute for International Economics in Washington. „Der globalen Wirtschaft käme es sehr zu Gute, wenn China das Wachstumstempo drosselt und auf einen Weg der Nachhaltigkeit einschwenkt.“

Ein plötzlicher Absturz würde alle Märkte treffen, besonders die asiatischen, wo die Exporte nach China im vergangenen Jahr im Schnitt um 40 Prozent gewachsen sind. Eine neuere Studie von JP Morgan Securities geht davon aus, dass ein Einbruch in China die japanische Wirtschaft, die in diesem Jahr um 3,7 Prozent wachsen soll, bis 2006 auf ein Wachstum von nur noch 0,6 Prozent zurückwerfen würde.

Die chinesische Führung will von den Konjunkturzahlen für Mai weitere Schritte einschließlich möglicher Zinssteigerungen abhängig machen. Bislang hatte man sich mit Zinsschritten zurückgehalten und stattdessen auf Maßnahmen zur Eindämmung weiterer Kredite gesetzt. Sollte die Inflation auf fünf Prozent ansteigen, könnte dies die erste Zinserhöhung seit neun Jahren nach sich ziehen, deutete die Zentralbank an. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Hersteller angesichts von Kreditzinsen ab 5,3 Prozent Teile und Rohstoffe auf Halde legen und damit Nachfrage und Inflation weiter anheizen. Im April lag die Inflationsrate bei 3,8 Prozent und dürfte im Mai noch einmal gestiegen sein.

Die neuen Zahlen scheinen die Nachrichten aus der chinesischen Geschäftswelt zu bestätigen, wonach die Regierung den Kreditfluss an die Unternehmen weitaus aggressiver als bislang zugegeben eingedämmt hat. Einige Bauunternehmer sagen, dass sie ihre Liquidität nur noch mit der Hilfe von Pfandleihern aufrecht erhalten können. Und Privatunternehmen berichten von Kreditzinsen von 40 Prozent und höher. Chen Zhiquang, Manager eines Stahlunternehmens in der nördlichen Stadt Tangshan, wo zirka 300 Hersteller von Stahl und Roheisen ansässig sind, sagt, dass es mit dem etwa zweijährigen Aufstieg praktisch über Nacht vorbei war. „Es gab plötzlich keine Bank mehr, die uns noch einen Kredit geben wollte“, sagt er. Ebenso wie viele seiner Konkurrenzbetriebe musste Chen das Werk inzwischen einmotten. Laut einem Spitzenmanager des Aluminiumherstellers Yuantai Aluminium in der zentralen Provinz Hubei „sitzen die Banken seit Ende April auf dem Geld“.

Nicht alle Industriezweige sind von der Kreditflaute betroffen. Die große Nachfrage nach Autos in den chinesischen Städten gibt der Automobilbranche weiterhin starken Auftrieb. Und auch die ausländischen Gesellschaften und Joint Ventures sind von dem Geldmangel nicht betroffen. Für Liu Shuzhao, Vizechef der staatlichen Speditionsgesellschaft Shanghai ALS international Transportation, hat sich nicht viel geändert: „Wenn wir gerade eine Abschwächung durchmachen, habe ich sie jedenfalls noch nicht bemerkt.“

Andrew Browne[Matt Pottinger], Peter Wonacott

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