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Wirtschaft: „Weniger Kündigungsschutz bringt keine Arbeit“

Bundesarbeitsgerichtspräsidentin Schmidt über den Arbeitsmarkt, die Rolle der Gewerkschaften und Betriebsbündnisse

Frau Schmidt, wie viele der 4,8 Millionen Arbeitslosen gehen auf das Konto des deutschen Kündigungsschutzrechts?

Einige glauben gerne, dass Arbeitsmarkt minus Arbeitsrecht Vollbeschäftigung ergibt. Das dient der Ablenkung von den tatsächlichen Problemen des Arbeitsmarktes. Tatsächlich gibt es empirische Untersuchungen, die belegen, dass die Lockerung des Kündigungsschutzes seit 1984 nicht zu mehr Einstellungen geführt hat. Das Arbeitsrecht hat keinen signifikanten Einfluss auf die Zunahme oder den Rückgang der Arbeitslosenzahlen.

Kritiker sagen: Der deutsche Kündigungsschutz hält Arbeitgeber davon ab, Menschen einzustellen. Aber wäre denn nicht der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit der Druck, schnell einen neuen Job zu finden, wenn man seinen alten verliert?

Der deutsche Arbeitsmarkt ist ja nicht völlig unflexibel. Es gibt im Jahr immerhin rund sechs Millionen Kündigungen, davon kommen die meisten von den Arbeitnehmern.

Kämpfen Arbeitnehmer, die die Kündigung bekommen, heute stärker um ihren Job als früher?

Ob ein Arbeitnehmer klagt, hängt davon ab, wie er die Situation im Betrieb einschätzt. Wenn er glaubt, dass es dem Betrieb wirklich schlecht geht und er im Rahmen des Sozialplans auch noch eine Abfindung bekommt, ist die Klagebereitschaft eher niedrig. Hat der Beschäftigte aber das Gefühl, die Kündigung ist vorgeschoben oder dem Betrieb geht es wirtschaftlich gar nicht so schlecht, nimmt die Bereitschaft zu klagen tendenziell zu. Wenn geklagt wird, geht es zunehmend um den Erhalt des Arbeitsplatzes. Früher stand die Abfindung im Mittelpunkt.

Die Abfindung ist schnell aufgebraucht …

… und sie wird wohl auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Die Abfindung ist nicht mehr so viel wert wie in früheren Jahren und sie kann auch nur eine bestimmte Zeit der Arbeitslosigkeit überbrücken helfen. Wer alt ist oder nicht gut qualifiziert und daher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, wird umso mehr dafür kämpfen, seinen Arbeitsplatz zu behalten.

Viele Arbeitnehmer bekommen keinen richtigen Job mehr, sondern nur noch einen Werkvertrag und arbeiten als Freiberufler. Wird das Arbeitsrecht nicht immer häufiger unterwandert?

Es gibt immer mehr Freiberufler und Selbstständige, das ist für sich genommen keine negative Tendenz. Bedenklich wird es erst, wenn es sich nicht um Selbstständige, sondern um Scheinselbstständige handelt oder um schlichte Schwarzarbeit. Das kann unsere Rechtsordnung nicht hinnehmen. Allerdings haben viele dieser Selbstständigen keine besonders hohen Einkommen und drohen, im Alter ein Fall für die soziale Grundsicherung zu werden. Dieses sozialpolitische Problem muss der Gesetzgeber lösen.

Immer mehr Arbeitsplätze werden ins Ausland verlagert – angeblich auch wegen des deutschen Arbeitsrechts. Halten Sie das für vorgeschoben?

Das ist vordergründig gedacht. Wenn ein Unternehmer darüber nachdenkt, ob er Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, hat das betriebswirtschaftliche Gründe. Die auf das Arbeitsrecht rückführbaren Kosten würden die Risiken einer Standortverlagerung nicht rechtfertigen. Hinzu kommt: Die Risiken des Kündigungsschutzes lassen sich doch minimieren. Man kann befristete Verträge für zwei Jahre abschließen, ohne eine sachliche Rechtfertigung für die Befristung nennen zu müssen. Nach zwei Jahren können Arbeitgeber doch wohl abschätzen, ob sie den Arbeitnehmer brauchen oder nicht. Vorübergehende Engpässe lassen sich zudem mit Leiharbeitnehmern überbrücken.

Viele Arbeitnehmer arbeiten unbezahlt länger, bloß um ihren Arbeitsplatz zu retten. Warum bestehen Sie darauf, dass die Gewerkschaft diese Verträge aushandelt, warum darf das nicht der Betriebsrat, der die Lage vor Ort viel besser einschätzen kann?

Der Betriebsrat mag zwar die wirtschaftliche Situation des Betriebs gut einschätzen können, aber er hat kein gesetzliches Mitbestimmungsrecht – weder in Fragen der Arbeitszeit noch des Arbeitsentgelts. Das heißt, im Konfliktfall könnte er weder die Einigungsstelle anrufen noch dürfte er zum Streik aufrufen. Bei diesen betrieblichen Bündnissen für Arbeit steht der Betriebsrat daher mit dem Rücken zur Wand. Er hat so gut wie keinen Verhandlungsspielraum, weil er keine Verhandlungsmacht hat. Hinzu kommt: Ein Tarifvertrag, an den sich keiner hält, ist nichts mehr wert. Mit betrieblichen Bündnissen, die ohne jede Mitwirkung der Tarifvertragsparteien zustande kommen, würde der Tarifautonomie der Boden unter den Füßen weggezogen. Damit wäre die Regelungs- und Verhandlungsmacht, die das Grundgesetz ihnen zuweist, entwertet.

Wie verlässlich sind solche Standortverträge? Falls sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, wird das Unternehmen doch trotzdem abwandern oder rationalisieren.

Ja. Der Vertrag ist zwar rechtlich abgesichert, aber nur so lange, wie alles funktioniert. Die Opfer, die die Arbeitnehmer für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes bringen, sind auch nicht insolvenzgeschützt. Es ist rechtlich gesehen ihr Risiko, ob sie Lohnverzicht üben.

Immer mehr Menschen treten aus der Gewerkschaft aus. Das macht für die Gewerkschaften Verhandlungen nicht einfacher.

Die Gewerkschaften müssen wie die Arbeitgeberverbände die Tarifergebnisse vor ihren Mitgliedern verantworten. Wenn sie auf Dauer nichts Interessantes bieten, laufen ihnen die Mitglieder davon. Deshalb ist der Druck auf beide Seiten immens, das Tarifergebnis muss immer so sein, dass beide Seiten damit leben können.

Im Moment scheinen die Arbeitgeber aber in der stärkeren Position zu sein, oder?

Mit dem Ergebnis in der Stahlindustrie scheinen die Betroffenen doch gut leben zu können, das Verhandlungsgleichgewicht wird nicht infrage gestellt. Ansonsten kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Arbeitgeber stärker am Drücker sind. Aber man darf auch nicht unterschätzen, dass sie ihrerseits in einem globalisierten Wirtschaftsraum einem enormen internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Dass die Unternehmen versuchen, den Druck, der von außen an sie herangetragen wird, auf die Arbeitskosten abzuwälzen, ist doch klar. Darauf müssen sich die Gewerkschaften einstellen. Und nicht nur die Gewerkschaften. Unsere ganze Gesellschaft wird eine Antwort auf die Frage finden müssen, wie vor diesem Hintergrund künftig die Interessen von Arbeit und Kapital ausgeglichen werden.

Hat SPD-Chef Franz Müntefering mit seiner Kapitalismus-Kritik Recht?

Dazu kann ich mich aus richterlicher Sicht nicht äußern.

Dann eine Frage an die Rechtsexpertin: Reichen die bestehenden gesellschafts- und arbeitsrechtlichen Instrumente, um die Heuschrecken – die Finanzinvestoren, die deutsche Unternehmen ausschlachten – im Zaum zu halten?

Diese Antwort muss der Gesetzgeber geben. Er muss für ein geordnetes Miteinander sorgen. Man kann Unternehmen schlecht zum Vorwurf machen, dass sie geltende Gesetze nutzen. Genauso wenig wie man es Arbeitnehmern vorwerfen kann, wenn sie sich auf geltendes Recht berufen.

Das geltende Recht soll demnächst noch um ein Anti-Diskriminierungsgesetz erweitert werden. Würde ein solches Gesetz eine Prozesswelle vor den Arbeitsgerichten auslösen?

Nein. Es ist doch nicht so, dass im Arbeitsrecht flächendeckend diskriminiert wird. Paragraf 611a BGB verbietet schon seit langem bei bestimmten Maßnahmen eine Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts. Auch bei der Einführung dieser Vorschrift wurde das Schreckgespenst massenhafter Klagen an die Wand gemalt – zu Unrecht. Es gilt, die endgültige Fassung des Anti-Diskriminierungsgesetzes abzuwarten. Zu einer Klagewelle im Arbeitsrecht wird es sicher nicht kommen. Etwas mehr Sachlichkeit würde der Diskussion gut tun.

Vielleicht gibt es dann aber noch mehr Gerichts-Präsidentinnen?

Das glaube ich nicht. Ein bloßer Diskriminierungsschutz ist kein Ersatz für effektive Frauenförderung.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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