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Wirtschaft: „Wenn die Industrie anruft, springen alle gleich“

Deutschlands oberste Verbraucherschützerin, Edda Müller, kritisiert den Einfluss der Wirtschaft auf den Vermittlungsausschuss

Berlin (hej). Die Politik überfordert die Verbraucher. Die Bürger empfangen „widersprüchliche Signale“, kritisierte die Chefin des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv), Edda Müller, in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Zum einen wolle die Regierung die Steuern senken, damit die Kunden wieder mehr konsumieren und die Wirtschaft in Schwung bringen, zum anderen sollen die Bürger aber Geld auf die hohe Kante legen und private Vorsorge betreiben. „Jeden Tag werden wir mit neuen Reformideen konfrontiert, die den endgültigen Durchbruch bringen sollen“, sagte Deutschlands oberste Verbraucherschützerin. Es sei daher psychologisch verständlich, dass die Leute keine Risiken eingehen wollten.

Wenn der BDI anruft

Müller warnte vor einem zu starken Einfluss der Wirtschaft im laufenden Vermittlungsverfahren. Der Vermittlungsausschuss soll am kommenden Mittwoch Kompromissvorschläge zu den anstehenden Arbeitsmarkt- und Steuerreformen machen. Dieses Verfahren laufe außerhalb der Öffentlichkeit ab, sagte die Verbandsvorsitzende, und berge die Gefahr, dass vor allem die plakativen Argumente der Wirtschaft wie die Drohung mit dem Verlust von Arbeit oder einem Standortwechsel ins Ausland berücksichtigt würden. „Schwache Interessen gemeinnütziger Art oder längerfristige Erwägungen werden vernachlässigt“, sagte Müller, die früher Umweltministerin in Schleswig-Holstein war. Anders als die Verbraucherschützer habe die Industrie einen direkten Draht zu den Vertretern im Vermittlungsausschuss. „Wenn der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Rogowski, anruft, dann springen alle gleich“, kritisierte die vzbv-Chefin. Im Vermittlungsausschuss frage dann niemand mehr, was wohl die Verbraucherschützer zu dem Vorschlag sagen.

Müller hofft, dass sich das in Zukunft ändern wird. Wenn die Verbraucherpolitik weiter an Gewicht gewinne, hätten eines Tages hoffentlich auch die Verbraucherpolitiker der Fraktionen eine Chance, für den einflussreichen Vermittlungsausschuss nominiert zu werden. „Dann hätten wir Chancengleichheit beim direkten Draht zu dem Gremium“, betonte Müller.

Die Reformen, die im kommenden Jahr in Kraft treten, gehen nach Meinung der Verbraucherschützerin nicht weit genug. An wirkliche strukturelle Veränderungen traue man sich nicht heran. So habe man sich im Gesundheitswesen nur auf kurzfristige Schritte wie die Streichung von Kassenleistungen, die Erhebung von Praxisgebühren und die Einführung von Bonus- oder privaten Zusatzversicherungen beschränkt, statt über einen Systemwechsel hin zu einer Bürgerversicherung oder der Erhebung von Kopfpauschalen zu diskutieren. „Der Zwang zum Konsens verhindert grundlegende Reformen“, glaubt die vzbv-Vorsitzende.

Das gelte auch für die Steuerreform. „Eine umfassende Reform wird es nicht geben“, vermutet Müller. Dabei gibt es nach Meinung der Verbraucherschützerin durchaus Handlungsbedarf – vor allem bei den Subventionen. „Die Subventionen nutzen nur den Investoren“, kritisierte Müller, „ein großer Teil der Steuererleichterungen wird zu Lasten der Verbraucher auf den Preis aufgeschlagen.“ So sei der Bauboom in den neuen Ländern zu einem erheblichen Teil über die Eigenheim- und die Investitionszulage finanziert worden.

Die Orientierung fällt schwer

Der Reformprozess stellt die Bürger vor große Anforderungen. „Es wird immer schwieriger, den besten Anbieter zu finden“, sagte Müller. Ob auf dem Strommarkt, bei der privaten Altersvorsorge, der Geldanlage oder bei der Entscheidung für die richtige Krankenkasse – „der Bedarf an Beratung explodiert förmlich“, sagt Müller. Die Informationen müssten aber die Anbieter liefern. „Die Verbraucher haben ein Recht auf Information, aber keine Pflicht zur Information“, sagte Müller. Die Verbraucherschützerin fordert standardisierte Informationen von Versicherungen, Banken, Energieversorgern und Krankenkassen, die den Kunden den Vergleich der Angebote möglich machen.

Für die private Riester-Rente haben der Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest bereits Vorschläge erarbeitet, wie solche Standardinformationen aussehen sollten. Den am Mittwoch vom Kabinett verabschiedeten Riester-Reformentwurf hält Müller seinerseits für reformbedürftig. Statt wie bisher die Abschluss- und Vertriebskosten auf zehn Jahre zu verteilen, sollen Vertreter künftig schon innerhalb von fünf Jahren in den Genuss ihrer Provisionen zu kommen. Für die Verbraucher sei das ein Rückschritt, kritisierte die Verbandschefin, denn der Wechsel des Anbieters werde durch die neue Kostenregelung erschwert. „Viele Seiten haben Vorschläge für eine Reform der Riester-Rente gemacht, aber nur die Versicherungswirtschaft hat sich durchgesetzt“, sagte Müller.

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