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Wirtschaft: Wer im Geschäft bleiben will, muß wachsen

LONDON .David Rowe zerbrach sich lange den Kopf, wie er sein kleines Internetdienst-Unternehmen am Leben erhalten könnte - in einer Online-Welt, die zunehmend von großen Telekommunikationsunternehmen beherrscht wird.

LONDON .David Rowe zerbrach sich lange den Kopf, wie er sein kleines Internetdienst-Unternehmen am Leben erhalten könnte - in einer Online-Welt, die zunehmend von großen Telekommunikationsunternehmen beherrscht wird.Dann bekam er eine Idee: Er könnte selbst ein großes Telekommunikationsunternehmen werden.Im Juni hat Easynet sein erstes offizielles Gespräch über eine eigene Telefonleitung vermittelt, und das Londoner Unternehmen verdient nun "zusätzlich zu seiner pauschalen Monatsgebühr von 11,99 Pfund (etwa 34,60 DM) in jeder Minute Geld, in der Abonnenten online sind." Bis zum Jahresende will Easynet einen internationalen Telefon- und Faxdienst einrichten.Und das Unternehmen ist dabei, in ein transatlantisches Kabel zu investieren, so daß es seine eigenen Ferngespräche in die USA umleiten kann.

Die Risiken sind hoch und das Ergebnis ungewiß.Doch Rowe, der Gründer, Präsident und Vorstandsvorsitzende von Easy-net, hatte keine Wahl: Er wußte, daß sein Unternehmen groß werden oder ausscheiden mußte."Nein, ich habe niemals daran gedacht, ein Telekomunternehmen zu werden," sagt Rowe lachend, ein 39jähriger Mann mit Mähne in einem grellen pinken Hemd, der in seine Bemerkungen über traditionelle Telekomunternehmen Kraftausdrücke fließen läßt."Aber wenn man im Geschäft bleiben will, hat man keine Wahl: Man muß ständig wachsen."

Der Grund ist klar: Ein massiver Schrumpfungsprozeß hat die europäische Internet-Szene erfaßt.Obwohl zunächst nur langsam, beginnen Telekomgiganten wie die Deutsche Telekom AG und große amerikanische Online-Unternehmen wie America Online, die westeuropäische Online-Branche in Westeuropa zu dominieren.Mit niedrigen Preisen, speziellen Angeboten und Massenabsatz haben die großen Unternehmen hunderte von kleinen und mittelgroßen Anbietern gezwungen, ihr Unternehmen zu schließen oder zu verkaufen.

Übriggeblieben ist eine Handvoll mittelgroßer unabhängiger Provider, die nun darum kämpfen, im Spiel zu bleiben.Indem sie expandieren, in Marktnischen ein Monopol errichten und kühne neue Strategien verfolgen, schaffen es Unternehmen wie Easynet, die deutsche Cybernet AG oder die britische Virgin Net, im europäischen Markt für Internetzugang zu bleiben.Das Volumen dieses Marktes wird auf vier Mrd.Dollar (6,7 Mrd.DM) geschätzt, und man erwartet, daß es sich bis zur Jahrtausendwende verdoppelt.

Auch wenn die Chancen der kleinen Unternehmen gering sind, könnten nach Ansicht von Analysten Internetservice-Provider mit geschickten Schachzügen und ein bißchen Glück im Blutbad überleben und mittelfristigselbst bedeutende Internetfirmen werden.

Die meisten unabhängigen Anbieter von Internetdiensten haben den Geist schon aufgegeben.Das verbleibende Dutzend großer westeuropäischer Internetservice-Provider wird in den nächsten zwei Jahren viel Geld, Kreativität und Glück brauchen.Telekommunikationsunternehmen können schließlich ihren Geschäfts- und Privatkunden besseren Service und Kosteneinsparungen anbieten: Sie können einmal ihre Telefonleitungen und Internetdienste in einem Paket verkaufen.Und da sie mit jeder Nutzung des Internet verdienen, können sie es sich auch leisten, Online-Abonnenten zu subventionieren.Schon allein ihr Markenname verhilft großen Internetservice-Providern wie American Online und Compuserve zu vielen Kunden.Und die Größe ist in diesem Spiel von Bedeutung: Die großen Unternehmen vertrauen ihre Mammutgeschäfte lieber Telekomunternehmen an, weil sie hier ein sicheres Gefühl haben.

Dennoch wollen einige kämpferische kleine Unternehmen wie Easynet selbständig bleiben.Und ein Weg, die erforderliche Größe zu bekommen, um mit den großen Jungen zu spielen, ist die Erschließung öffentlicher Märkte.

Das vielleicht agressivste Unternehmen in diesem Bereich war die deutsche Cybernet.Mit einer Gruppe deutscher Pioniere des Internet im Rücken, ist Cybernet sowohl in den USA als auch in Deutschland an die Börse gegangen und hat in jüngster Zeit 12,6 Mill.Dollar (rund 21,2 Mill.DM) im privaten Kapitalmarkt aufgebracht.Mit diesem Geld konnte Cybernet auf Großeinkaufstour gehen.Innerhalb von zwei Jahren hat sich das Unternehmen mit Sitz in München in einen der größten deutschen Onlineservice-Provider verwandelt."In Zukunft hängt der Erfolg davon ab, ob man investieren kann, und als AG können wir dies," sagt Andreas Eder, der Präsident von Cybernet.

Andere Unternehmen haben sich nicht einfach nur auf die Größe, sondern auf eine Nische konzentriert.Virgin Internet, die zur Richard Bransons Virgin Group gehört, meidet Unternehmen völlig und hat sich ganz auf Privatkunden und die jüngere Generation konzentriert, indem es billigen Service anbietet, einen Sieben-Tage-Dienst, spezielle Abmachungen mit Banken und anderen Dienstleistern, und indem es ein hippes Images aufgebaut hat durch Live-Rockkonzerte und -Sportereignisse im Internet.

Doch es ist nicht einfach, zu expandieren, sogar für ein Unternehmen, das Easynet heißt.Sein Gründer, Rowe, verkündet gern, sein Unternehmen werde eines Tages größer als British Telecommunications und WorldCom zusammen sein.Und die Büroräume von Easynet strahlen mit dem Team junger Technikbegeisterter und der leuchtend weißen Einrichtung Optimismus aus.Doch der Serviceprovider hat einen langen Weg vor sich.Wie hunderte anderer Internetservice-Provider, die in britischen Garagen angefangen haben, wurde Easynet 1994 in den Tagen der Internet-Begeisterung gegründet.Mit seinen anfänglichen Ausgaben für Hard- und Software in Höhe von 25 000 Pfund (rund 72 500 DM), hatte Easynet wie jeder andere auch gute Chancen von der erwarteten Welle von Internet-Nutzern zu profitieren.

Doch die Situation hat sich innerhalb eines Jahres verändert.Telekommunikationsunternehmen begannen, Geld zu riechen, und große amerikanische Online-Unternehmen machten sich nach Europa auf."Von einer Nacht zur anderen durchliefen wir eine große Änderung; nachdem wir dachten, wir beherrschten die Welt, mußten wir uns auf einmal fragen, ob wir nicht schon erledigt waren," sagt Rowe und schüttelt erbittert den Kopf.

Rowe, der in der Internetszene dafür bekannt ist, seine Meinung zu sagen und Chancen wahrzunehmen, stellte damals fest, daß sich die Spielregeln dramatisch verändert hatten.Die Größe spielte nun eine Rolle.Obwohl dies niemals zuvor in Großbritannien getan worden war, beschloß er, an die Börse zugehen.Der neue "Alternative Investment Market" in London war reif für kleine Technologieunternerhmen.So hat Easynet im März 1996 etwa 2,6 Mill.Pfund (rund 7,5 Mill.DM) durch den Börsengang beschafft.Easynet nutzte die erste Konsolidierungsphase in der Branche und kaufte für 215 000 Pfund (rund 623 500 DM) Pavilion Internet, einen winzigen Provider mit acht Mitarbeitern an der britischen Südküste.Dann folgte der 730 000-Pfund-Kauf (2,1 Mill.DM) der UK Online Ltd.mit 30 Angestellten und 4000 Abonnenten.Und Easynet hat einen ersten Schritt gemacht, um international zu werden und eine Tochtergesellschaft in Frankreich gegründet.

Mitten in der Phase des Wachstums und dem Aufbau von Nischen kam Rowe die Idee einer Telekommunikationslizenz.Er hatte immer die Vorstellung gehaßt, Telefonunternehmen könnten auf seine Kosten Geld machen; wenn er sie nicht schlagen konnte, dachte er sich, könnte er sich ihnen anschließen.Mehr als ein Jahr dauerte es, die Telekommunikationsstrategie zu realisieren.

KIMBERLEY A.STRASSEL

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