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Wirtschaft: Wie im Zweiten Weltkrieg die Kräfte vereinen

Der CIA kooperiert wieder stärker mit amerikanischen Forschungseinrichtungen

Von Daniel Golden

„Machen Sie mich unsichtbar!“, forderte CIA-Forschungschef John Phillips im vergangenen August von den Wissenschaftlern des Rochester Institute of Technology, kurz RIT. Für ihre Abschlussarbeiten wird mancher Forscher an dem Institut ein Projekt einreichen, das aus der Feder des Geheimdienst-Mannes stammt. Darunter etwa die Aufgabe, einen Terroristen anhand der Bewegung seines Skeletts wiederzuerkennen oder einen Agenten-Roboter perfekt zu tarnen. Phillips treibt dabei weniger ein akademisches Interesse als vielmehr die Suche nach neuen Geheimdienst-Technologien und kreativen Köpfen, die sich dem Schutz von Amerikas Einrichtungen verschreiben könnten. Bis vor kurzem noch versuchte das RIT, den CIA möglichst außer Sichtweite zu halten: Im Jahr 1991 war es zu einem Skandal um den damaligen Institutsleiter gekommen, der im Interesse des CIA das Forschungsprogramm der Schule diktierte.

Dass der Geheimdienst beim RIT nun wieder ein und aus geht, zeigt die neue Annäherung des CIA an die Bildungseinrichtungen der USA in den vergangenen Jahren und besonders nach dem 11. September 2001. Obwohl die akademische Welt dem CIA lange Zeit misstrauisch gegenüberstand, öffnet sie sich der Behörde nun zunehmend – teils aus patriotischen Gründen und teils aus Eigeninteresse. Und weil amerikanische Unternehmen ihre Forschungszuwendungen massiv zurückfahren, scheinen die US-Universitäten auch kaum eine andere Wahl zu haben, als sich an die staatlichen Geheimdienste zu wenden. „Es ist verblüffend, wie viele Universitäten plötzlich zu uns kommen und ihre Hilfe anbieten“, sagt Phillips.

Bereits fünf Monate vor den Terroranschlägen wurde Kenneth Levit, ehemaliger Berater des CIA-Chefs, Präsident an der Universität von Oklahoma. Seine CIA-Vergangenheit, so Levit, „war von großem Vorteil und eine sehr willkommene Eigenschaft, besonders unter dem Eindruck des 11. September“. Auch wurden Universitäts-Wissenschaftler in das von der US-Regierung gegründete Programm „Global Expertise Reserve“ einbezogen. Ihre Mitwirkung reicht von Beiträgen für Informationsunterlagen bis hin zu Vorträgen auf öffentlichen Seminaren. „Vor zehn Jahren wäre diese Mitarbeit wegen der Kluft zwischen den Gelehrten und der Regierung kaum denkbar gewesen", sagt der Programm-Koordinator Christopher Darlington. „Die Zeiten haben sich geändert.“

Jede Woche 2500 Bewerbungen

Seit der Gründung des CIA im Jahr 1947 war sein Verhältnis zur Wissenschaft zwiespältig. Die analytische Abteilung des Dienstes bestand einst komplett aus Universitäts-Personal. Doch spätestens seit Vietnam und den CIA-Verstrickungen in Lateirika war der Geheimdienst an den Hochschulen alles andere beliebt. In den achtziger Jahren versuchte es der CIA erneut und finanzierte jährlich bis zu 75 Forschungskonferenzen. Nachdem die Behörde mit Ende des Kalten Krieges sämtliche Förderungen einstellte, wurde der Geldhahn jetzt wieder geöffnet: Seit dem Jahr 2000 flossen jährlich umgerechnet zwei Millionen Euro in die universitäre Forschung. Man sucht nach einer langfristigen Beziehung zu den jungen Wissenschaftlern, heißt es. „Wir wollen sie nicht zu Agenten machen“, sagt Phillips. „Wir möchten ihre Fähigkeiten nutzen.“

Um die Neueinstellungen wie geplant um 85 Prozent zu steigern, sucht der CIA vor allem an den Hochschulen nach Personal. Robert Rebelo, Leiter der CIA-Personalwerbung, sagt, dass er wöchentlich 2500 Bewerbungen erhält – doppelt so viele wie vor den Terroranschlägen. Um an Talente mit besonderen sprachlichen oder technischen Fähigkeiten zu gelangen, schickt der CIA seine Offiziere zu Vorträgen an die Hochschulen. Bewerber mit ausgeprägten Sprach- oder Technikkenntnissen können Einstiegsgehälter von bis zu 48000 Euro erwarten. „Wir zielen auf die Schlüsselgebiete“, sagt Recruitment-Chef Rebelo. „Zu jeder Universität mit Nahost-Studien-Programmen müssen wir Beziehungen herstellen und dabei eine Reihe von Mythen überwinden.“

Mit seiner Ausrichtung auf Fototechnologie steht das RIT im Mittelpunkt des Geheimdienst-Interesses. Das Institut sorgt seit langem für die Ausbildung von Mitarbeitern des CIA, bei dem derzeit 75 Absolventen der Schule beschäftigt sind. In den achtziger Jahren unterschrieb der damalige Institutschef ein Geheimpapier, wonach man das Forschungsprogramm auf die Wünsche des CIA ausrichten werde. Der Geheimdienst finanzierte darauf 39 Projekte, unter anderem zur Aufdeckung von Urkundenfälschungen und zur Montage von Abhörtechnik in Holzteilen. Die Studenten ahnten nichts von den Geldquellen, und eine Veröffentlichung der Ergebnisse fand in den seltensten Fällen statt. Als eine Zeitung 1991 das Geheimpapier veröffentliche, kam es zum Eklat: Die Einrichtung wählte ihren Präsidenten ab und schuf Vorschriften zur Offenlegung sämtlicher Finanzierungen und Forschungsthemen. Die meisten CIA-Projekte wurden gestoppt. Erst im Juli 2001 ging CIA-Direktor George J. Tenet wieder auf Tuchfühlung zum RIT und hielt einen Vortrag vor der Kommission der Hochschule. Bei seinem Besuch im Sommer präsentierte Forschungschef Phillips den Forschungsleitern dann bereits eine ausführliche Wunschliste. Besonderes Interesse weckte das universitätseigene Institut für Hörgeschädigte, dessen Forschungen der CIA für die Entschlüsselung codierter Funkübertragungen nutzbar machen möchte. Auch die Fortschritte eines Ingenieurwissenschaftlers, der an der fototechnischen Durchleuchtung von Wänden arbeitet, ließen den CIA-Mann aufhorchen.

Die Versöhnung mit der Behörde kommt für das Institut zur rechten Zeit. Bei den Nöten seiner langjährigen Wirtschaftspartner Xerox Corp. und Eastman Kodak Co gibt das CIA-Engagement dem RIT Raum zur Ausweitung seines Forschungsspektrums. Der Institutschef Albert J. Simone träumt bereits von einer vollwertigen Partnerschaft, einschließlich CIA-finanzierter Lehrstühle, Ausbildungskurse für Geheimdienst-Offiziere, Mitarbeiter-Ausflüge zum CIA-Hauptquartier in Virginia und gemeinsame Forschungsgruppen. Nach seinen Vorstellungen arbeiten bald „zwei bis drei Dutzend Forscher“ an Aufträgen des CIA, dem er auch bei den Großprojekten und Doktoranden-Themen ein Mitspracherecht zugestehen will. Der RIT-Präsident sagt, dass Wissenschaft und Aufklärungsdienste wieder ihre Kräfte vereinen müssten, genau wie im Zweiten Weltkrieg.

Inmitten der nationalen Krise, so Simone, sollten Bedenken über wissenschaftliche und individuelle Freiheiten zurückgestellt werden. Die meisten Studenten und Mitarbeiter sehen dies ähnlich. „Durch den CIA erhalten wir einen einzigartigen Zugang zu Technologien", sagt Student Robert Inglis. „Außerdem steigen die Einstellungschancen." Seinen Kritikern war der Präsident zu schnell mit seinen Zugeständnissen. „Es ist unausweichlich, dass der Bildungsprozess auf der Strecke bleibt", sagt Monroe H. Freedman, der als Rechtswissenschaftler die früheren Kontroversen am RIT untersuchte. Auch Wade Robinson, RIT-Professor für angewandte Ethik, missfällt die Allianz: „Ich möchte nicht, dass den Leuten automatisch der CIA einfällt, wenn sie an das RIT denken."

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