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Wirtschaft: „Wir brauchen ein neues Männerbild“

Von Rabenmüttern und Ernährervätern

Herr Bertram, ist man in Deutschland immer noch eine Rabenmutter, wenn man arbeiten geht?

Nein, so denken junge Mütter heute nicht mehr. Die Mehrheit der jungen, hoch qualifizierten Frauen will Beruf und Familie vereinbaren und diskutiert nicht mehr über Rabenmütter. Unsere Gesellschaft hat inzwischen akzeptiert, dass es unterschiedliche Lebensmuster gibt.

Unterstützt die deutsche Familienpolitik diesen gesellschaftlichen Wandel?

Noch nicht. Wir haben in Deutschland sehr lange an dem traditionellen Modell festgehalten und nicht begriffen, dass wir durch die enormen Investitionen in das Humankapital junger Frauen eine Revolution auch des Familienmodells losgetreten haben. Man kann nicht sagen, wir bilden euch gut aus, aber bleibt danach bitte zu Hause bei den Kindern.

Was hindert die deutschen Frauen denn daran, Kinder zu bekommen?

Grundsätzlich ist unsere Familienpolitik nicht so gestaltet, dass die Lebenswünsche von jungen Leuten nach Beruf und Familie erfüllt werden könnten. Wir haben zum Beispiel extrem lange Ausbildungszeiten. In anderen Ländern ist die ökonomische Unabhängigkeit viel früher erreicht. Und dort kann man, wenn man Kinder bekommen hat, auch wieder beruflich einsteigen. Außerdem haben die deutschen Paare im Alltag weniger Zeit. Die meisten arbeiten Vollzeit, über 40 Prozent arbeiten mehr als 80 Stunden pro Woche. In Schweden oder den Niederlanden sind das nur 16 Prozent. Wir müssten ein Lebensarbeitszeitkonto entwickeln, mit dem man auch mal die Arbeit unterbrechen kann, für die weitere Ausbildung oder eben für Fürsorge. Davon sind wir noch weit entfernt.

Brauchen die Eltern auch mehr Geld für die Kinder?

Man muss nicht den Eltern mehr Geld geben, sondern in Infrastruktur investieren. Eltern brauchen mehr Zeit und eine bessere Infrastruktur für die Kinderbetreuung. Wenn wir in Deutschland das Modell der Doppelverdienerfamilie hätten, würden finanzielle Transfers auch keine so große Rolle spielen. Frankreich kann als Vorbild dienen. Dort gibt es kein Wort für Ganztagsschule, Schule von 8.30 bis 16.30 Uhr ist der Normalfall. Da sind wir in der vorindustriellen Welt stehen geblieben. Die Halbtagsschule war das Ergebnis preußischer Reformen, nachmittags mussten die Kinder auf dem Feld helfen. In Frankreich hat der Staat 2002 für die Finanzierung allein von Tagesmüttern für Kinder unter drei Jahren 2,2 Milliarden Euro ausgegeben.

Die Koalition will bei uns die Kinderbetreuung mit 460 Millionen Euro fördern. Zusätzlich wird das Elterngeld eingeführt. Reicht das?

Im Ansatz sind diese Maßnahmen richtig, sie kommen aber zu spät und gehen nicht weit genug. Das Elterngeld ist richtig, weil sich die Frauen bisher in die ökonomische Abhängigkeit des Mannes begeben mussten, wenn sie eine Zeit lang zu Hause bleiben wollten. Auch die steuerliche Absetzbarkeit der Betreuungskosten ist gut, sie ist allerdings nur ein Einstieg. Die Länder und Kommunen sind jetzt bei der Kinderbetreuung gefordert. Vor allem in den vorschulischen Bereich müsste in Deutschland mehr investiert werden. Wir geben dafür 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts aus, die OECD rechnet als Durchschnitt in Europa etwa ein Prozent.

Was für eine Rolle spielen die Männer?

Die geringe Geburtenrate ist kein Frauenproblem. Die Männer werden nicht nur für die Zeugung gebraucht, sondern auch als Väter. Kernproblem ist, dass wir uns nur auf die Frauen konzentrieren. Auch hier hinken wir im Vergleich zu anderen Ländern hinterher, weil wir immer noch davon ausgehen, dass die Männerrolle die Ernährerrolle ist. Wir brauchen ein anderes Männerbild, in dem Fürsorglichkeit auch Teil des männlichen Lebensentwurfs ist. Da müssen aber auch die Firmenchefs mitspielen. Deshalb bin ich dafür, dass beim Elterngeld die zwei Monate Väterzeit auf jeden Fall kommen.

Das Gespräch führte Flora Wisdorff.

Hans Bertram ist Professor für Mikrosoziologie an der Berliner Humboldt-Universität. Als Vorsitzender einer Expertenkommission des Bundestages erstellte er 2005 den 7. Familienbericht.

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