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Wirtschaft: „Wir brauchen eine Kindergartenpflicht für alle“

Handwerkspräsident Otto Kentzler über bessere Bildung, die Folgen der Mehrwertsteuererhöhung und die psychologischen Effekte des Kündigungsschutzes

Herr Kentzler, hat Handwerk heute noch goldenen Boden?

Der sprichwörtliche „goldene Boden“ ist und bleibt die qualifizierte Ausbildung eines Handwerkers. Aber Sie zielen sicher auf die Geschäfte ab: Ja, die laufen seit gut sechs Monaten besser. Aber wir haben fünf Jahre Rezession hinter uns, und die Betriebe zweifeln, ob das nachhaltig ist.

Der Aufschwung ist stabil – warum sollte man Angst vor einem Abschwung haben?

So rosig ist das Bild noch nicht. 2006 werden wir erneut bis zu 20 000 Stellen verlieren. Und 2007 sind wir froh, wenn die Beschäftigung stabil bleibt. Der Exportboom erreicht nur hoch spezialisierte Betriebe, dort wird bereits über einen Facharbeitermangel geklagt. Wer auf den heimischen Märkten sein Geld verdient, hat gerade die Talsohle verlassen, dem Aufschwung traut er noch nicht. Schließlich stehen wir vor der größten Steuererhöhung in der Geschichte des Landes.

Das Wachstum ist stark wie seit Jahren nicht, und trotzdem klagen Sie. Was macht Ihre Branche falsch?

Wer im Geschäft geblieben ist, hat es meist richtig gemacht: Rationalisiert, spezialisiert, Aufträge bei den boomenden europäischen Nachbarn gesucht. Aber vor Neueinstellungen schrecken unsere Betriebe zurück. Da ist viel Psychologie im Spiel. Wer einmal einen Kündigungsschutzprozess mitgemacht hat, setzt bei besseren Geschäften erst einmal auf Leiharbeiter oder Subunternehmer.

Die Stimmung steigt doch überall.

Es gab auch Dämpfer. Nehmen Sie das überzogene Gleichbehandlungsgesetz: Welcher Handwerksunternehmer hat schon das Wissen und die Zeit, penibel auf die gesetzlichen Fallstricke zu achten. Und schon gibt es Geschäftemacher, spezielle Abmahnfirmen, die mit Abfindungen oder Klagen drohen. Solche Regelungen haben mit dazu geführt, dass wir den unflexibelsten Arbeitsmarkt haben.

Wie viele neue Jobs versprechen Sie für eine Lockerung des Kündigungsschutzes?

Versprechen können wir nichts, und Zahlen können wir nicht seriös vorhersagen. Sicher ist: Wenn die psychologische Hürde Kündigungsschutz für kleine Unternehmen fällt, wird es mehr sozialversicherungspflichtige Jobs geben. Der Kündigungsschutz sollte nur in Betrieben über 20, besser noch über 50 Beschäftigten gelten.

Die Regierung hindert das Handwerk also, anständig zu verdienen?

Vor allem der knallharte Wettbewerb drückt die Preise und damit die Gewinnmargen. Ihre Polemik passt also nicht. Der Regierung sind wir für das Wachstumspaket mit Steuerbonus und Sanierungsprogramm zur Energieeinsparung dankbar, das bringt Aufträge und rettet viele Jobs. Und die Reformen von Unternehmen- und Erbschaftsteuer werden unsere Betriebe stärken, auch wenn noch dringend nachgebessert werden muss. Aber uns fehlen weitere Reformperspektiven. Den unflexiblen Arbeitsmarkt habe ich angesprochen, die Gesundheitsreform beschert erst einmal steigende Beiträge, der Rentenumbau ist noch Stückwerk, der Bürokratieabbau beginnt in sehr kleinen Schritten.

Immerhin bekommen Sie neue Subventionen – Verbraucher können jetzt Handwerkerleistungen von der Steuer absetzen.

Was Sie Subvention nennen, bringt drei Gewinner. Der Betrieb bekommt Aufträge, kann Jobs halten, der Kunde bekommt Qualitätsarbeit und spart doch mehr als die Mehrwertsteuer, die Finanzämter und die Sozialversicherungen freuen sich über steigende Einnahmen. Verlierer ist allein die Schwarzarbeit.

Die Lohnstückkosten sinken seit Jahren – reicht das nicht für Neueinstellungen?

Handwerk und Industrie können Sie nicht über einen Kamm scheren. Bei einem Autohersteller etwa machen die Personalkosten höchstens 15 Prozent aus, im Handwerk sind es 70 bis 90 Prozent. Wir stehen unter immensem Preisdruck. Von jeder Verrechnungsstunde fließt aber nur ein Drittel auf das Konto des Mitarbeiters, davon muss er noch Steuern und seinen Anteil an den Sozialkosten zahlen. Ein weiteres Drittel geht für die betrieblichen Lohnzusatzkosten drauf, der Rest für die Betriebskosten, etwa Energie.

In ein paar Tagen steigt die Mehrwertsteuer. War die Angst davor übertrieben?

Keineswegs. Die Delle wird kommen. Das ist ein Kardinalfehler der Regierung, es gab Alternativen. Ein Kaufhaus kann die höhere Steuer im Endpreis verstecken – wir Handwerker müssen die Nettopreise in unsere Rechnungen schreiben und schlagen dann die Mehrwertsteuer drauf. Das ist für viele Kunden ein Schock.

Im Gegenzug wird die Arbeitslosenversicherung billiger – das entlastet Sie auch.

Das reicht nicht, der Preis unserer Netto-Verrechnungsstunde sinkt zwar, aber die Mehrwertsteuer treibt den Endpreis am Ende doch in die Höhe.

Die Koalition plant einen Investivlohn. Werden gut verdienende Handwerksmeister bald ihre Gesellen am Erfolg beteiligen?

Die Idee der Mitarbeiterbeteiligung ist gut, aber im Mittelstand wohl nicht zu realisieren. In meinem Familienunternehmen diskutieren wir darüber schon Jahrzehnte. Gerade die Topbetriebe würden ja gerne gute Fachkräfte stärker an die Firma binden.

Wenn die Idee so gut ist – warum gibt es den Investivlohn dann nicht längst?

Handwerksbetriebe sind keine Aktiengesellschaften. Gehalt plus Leistungsbonus plus Gesellschaftsanteil mit Insolvenzschutz – Vollkasko also und das alles ohne Verantwortung für das Ganze? Wer das will, ist schief gewickelt. Da gibt es auch kein Interesse von Seiten unserer Arbeitnehmer. Wir sehen in verbesserten Betriebsrenten eine Alternative, die vor allem ohne komplizierte neue Bürokratie bewerkstelligt werden kann.

Der Arbeitgeberverband BDA, dem auch das Handwerk angehört, und der Industrieverband BDI wollen enger zusammenarbeiten. Ist das eine gute Idee?

Die vier Spitzenverbände arbeiten bereits lange gut zusammen. Punktuell engere Zusammenarbeit ist richtig und im Interesse der Mitglieder. Wenn aber die BDA eines Tages zu sehr die Interessen der Industrie vertreten würde, wenn sie enger mit dem BDI zusammenarbeitet, wäre das der falsche Weg.

Die Wahlperiode dauert bis 2009. Was muss die Regierung noch erledigen?

Für das Handwerk ist die Bildung ein großes Thema. Hier wird viel geredet und wenig getan. Eliteunis sind zu wenig, wir brauchen auch engagierte und interessierte Schulabgänger, die das Zeug dazu haben, zur Elite im Handwerk zu wachsen. Schon heute gibt es Fachkräftemangel bei Betrieben mit hohen Ansprüchen.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen eine nationale Bildungsinitiative mit einem ganzheitlichen Ansatz. Familien, Kindergärten, Schulen, Universitäten – hier hängt alles mit allem zusammen. Es muss zum Beispiel eine Kindergartenpflicht im Sinne einer Vorschule geben, weil die Kleinen nie so rasch lernen wie im Alter zwischen drei und sechs.

Wer soll das bezahlen?

Zehn Euro Kindergeld weniger tun kaum einer Familie weh. Wenn mit diesem Geld kostenlose Kitaplätze für alle geschaffen würden, hätten wir bereits eine bessere Grundlage für die späteren Jahre.

Die Koalition muss generell mehr Geld in die Hand nehmen für Bildung. Bei Schulen und Universitäten gibt es einen enormen Investitionsstau. Aber es geht nicht nur um Geld: Die Verbindung der Schulen zur Wirtschaft etwa ist noch zu dünn. Am besten wäre ein verpflichtendes Praktikum für alle Schüler ab der achten Klasse, damit Jugendliche früh einen Eindruck vom Berufsleben bekommen.

Was tut das Handwerk?

Wir bilden in diesem Jahr drei Prozent mehr Lehrlinge aus. Mit zehn Prozent Ausbildungsquote sind wir weiter der größte Ausbilder im Land.

Das Gespräch führten Carsten Brönstrup, Stephan-Andreas Casdorff und Moritz Döbler.

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