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Am Mittwoch begann der erste Cum-Ex-Prozess in Bonn. Die Angeklagten wurden auf Anordnung des Gerichts auf den Fotos gepixelt.

© dpa

Wirtschaftskriminalität: Wie KPMG vor Cum-Ex warnte - und dennoch einknickte

Der erste Cum-Ex-Prozess könnte die Doppelrolle der Wirtschaftsprüfer zeigen. Sie hätten sich gegen diejenigen stellen müssen, von denen sie bezahlt wurden.

In dieser Woche hat in Bonn der erste Strafprozess zur größten organisierten Steuerhinterziehung in Deutschland begonnen. Vor Gericht stehen zwei Aktienhändler, die den deutschen Staat zwischen 2006 und 2011 um 447 Millionen Euro gebracht haben sollen. Mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften sollen sie sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragssteuer auf Dividenden doppelt und dreifach vom Staat zurückerstattet haben lassen.

Insgesamt stahlen Investoren, Banken und ihre Helfershelfer dem deutschen Staat Schätzungen zufolge mehr als zehn Milliarden Euro durch Cum-Ex-Deals. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln gegen weitere Verdächtige. Sie werden durch zahlreiche Kronzeugen aus dem Cum-Ex-Milieu unterstützt. Auch die in Bonn angeklagten Aktienhändler sind Kronzeugen in anderen Ermittlungen.

Der Prozess in Bonn und folgende Prozesse könnten auch neue Erkenntnisse über die Dienstleister der Cum-Ex-Geschäfte zutage fördern, die über die Erkenntnisse aus dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestages hinausgehen. Laut Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, waren „nie zuvor so viele Akteure in einen Fall von Finanzkriminalität involviert: inländische und ausländische Banken, private und öffentliche Geldinstitute, Fondsverwalter, Aktienhändler, Wirtschaftsprüfer, Bankenverbände, Steuerberater, Rechtsanwälte, Professoren“. Schick saß bis Ende 2018 als grüner Finanzpolitiker im Bundestag und war in dieser Zeit Mitglied des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses.

Wirtschaftsprüfen wussten Bescheid, sagten aber nichts

Dieser Ausschuss ergab, dass Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer maßgeblich involviert waren. Sie dienten den Banken und Investoren, die Steuergelder hinterzogen, als Dienstleister: Anwaltskanzleien und Steuerberater entwickelten das Geschäftsmodell Cum-Ex mit. Rechtsanwälte schrieben Gutachten über die vermeintliche Legalität des Vorgehens.

Und Wirtschaftsprüfer wussten schon frühzeitig über die Risiken und die Machenschaften von Banken und Investoren Bescheid. Aufgrund von Interessenkonflikten informierten sie die zuständigen Aufsichtsbehörden jedoch nicht ausreichend.

Um das Cum-/Ex-System in Gang zu halten, musste es einen Anschein von Legalität erhalten. Investoren und Vorstände der beteiligten Banken einerseits und Wirtschaftsprüfer und staatliche Aufsichtsbehörden andererseits wurden mit Gutachten und Stellungnahmen zur vermeintlichen Legalität der Geschäfte beruhigt. Gerhard Schick schrieb im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestags: „Ohne die gewerbsmäßige Bereitstellung von steuerlichen Gutachten, insbesondere durch die großen Wirtschaftskanzleien wie Freshfields oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG, wären diese Geschäfte nicht möglich gewesen.“

Es handelte sich um ganze Serien von immer neuen Gutachten für immer neu gestaltete Cum-Ex-Geschäfte. Den Anwälten und beratenden Wirtschaftsprüfern müsse klar gewesen sein, dass es sich um Steuerumgehungen handelte, sagt Schick. Hier wird die Doppelrolle der Wirtschaftsprüfer deutlich. Einerseits sollen sie als neutrale Prüfer die Jahresabschlüsse von Banken überprüfen und eventuelle Risiken publik machen. Andererseits sind sie als steuerliche Berater derselben Banken aktiv und schreiben Gutachten über die Scheinlegalität von Cum-Ex-Geschäften.

KPMG nannte Cum-Ex schon 2010 rechtswidrig

Laut WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ wusste die große Wirtschaftsprüfergesellschaft KPMG schon 2010 von den Cum-Ex-Geschäften einer Bank. Die Bank hatte die Steuerberatungsabteilung von KPMG um ein Gutachten über die Risiken dieser Geschäfte gebeten. Und die Berater schrieben der Bank, die Geschäfte seien möglicherweise rechtswidrig. Die Bankmanager wollten davon nichts wissen. Sie beendeten die Zusammenarbeit mit der Steuerabteilung von KPMG umgehend.

Gleichzeitig war die Wirtschaftsprüferabteilung von KPMG beauftragt, den Jahresabschluss der Bank zu prüfen. Die Prüfer forderten die Bank auf, die steuerlichen Risiken durch Cum-Ex im Lagebericht zu veröffentlichen. Die Bank weigerte sich. Und KPMG lenkte ein. Der öffentlich zugängliche Abschlussbericht enthielt keine Informationen über die Risiken. Finanzexperten wie Gerhard Schick und Norbert Walter-Borjans, ehemaliger Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, sehen hier einen Systemfehler: Statt der Allgemeinheit zu dienen, knickte KPMG ein. Der Vorwurf: KPMG ordne sich den Klienten aus der Finanzbranche unter, um Prüf- und Berateraufträge nicht zu verlieren.

Den Behörden fehlte die Kompetenz

Laut Stellungnahme des Unternehmens im Abschlussbericht des Cum-Ex- Untersuchungsausschusses des Bundestages habe sich KPMG „bei der steuerlichen Beratung ihrer Mandanten stets am geltenden Recht“ orientiert. Und weiter: „Zu keinem Zeitpunkt hat KPMG Beratung zur Gestaltung von gesetzeswidrigen Umgehungsmodellen angeboten.“ Begünstigt wurde die zentrale Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auch durch Mängel bei der staatlichen Bankenaufsicht – der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).

Hochrangige Zeugen aus der Bafin gaben im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss an, die Bafin habe erst ab dem Jahr 2012 von den Geschäften erfahren. Zudem mangelte es der Behörde an steuerrechtlichen Kompetenzen, um die Geschäfte zu bewerten, so sagten Zeugen im Ausschuss. Dementsprechend habe man sich bei der Einschätzung von Cum-ExGeschäften größtenteils auf die Bewertung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verlassen. Diese Wirtschaftsprüfer wurden jedoch gleichzeitig von jenen Banken für Jahresabschlussprüfungen bezahlt, in denen die Profiteure der Cum-/Ex-Geschäfte saßen, die ein großes Interesse an der Verschleierung ihrer Geschäfte hatten.

Aufsichtsbehörden und Politik hätten frühzeitig von den Cum-Ex-Geschäften wissen können. Fehlendes Detailwissen und Ignoranz gegenüber Hinweisen aus der Finanzbranche trugen dazu bei, dass die Cum-Ex-Geschäfte jahrelang laufen konnten. Nun ist es an der Justiz, diesen Scherbenhaufen aufzukehren und Licht ins Dunkel der Cum-Ex-Geschäfte zu bringen.

Nico Beckert

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