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Wirtschaft: Wirtschaftspolitik: "Im vierten Quartal wird das Wachstum anziehen"

Werner Müller (55) ist seit 1998 Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Der ehemalige Manager bei RWE und Veba gehört keiner Partei an.

Werner Müller (55) ist seit 1998 Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Der ehemalige Manager bei RWE und Veba gehört keiner Partei an. Müller ist in Essen geboren, in Mannhein hat er Volkswirtschaft studiert und in Bremen wurde er in Sprachwissenschaften promoviert. Er nimmt sich das Recht, zu grundsätzlichen Ordnungsfragen der Wirtschaft Stellung zu nehmen - auch über die Grenzen des Ressorts hinweg.

Herr Müller, es gibt Zeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten in einer Rezession stecken. Müssen wir ähnliches für Deutschland erwarten?

Eine Rezession in Deutschland ist nicht zu befürchten. Das genaue deutsche Wachstumsergebnis für dieses Jahr wird das Statistische Bundesamt im kommenden Frühjahr veröffentlichen.

Um zwei Prozent, wie Sie noch im Frühsommer gehofft haben, wird die deutsche Wirtschaft ja wohl nicht wachsen.

In der Tat verläuft die US-Konjunktur im Augenblick schleppender als erwartet. Und ich zweifle, dass es in Amerika rasch wieder aufwärts geht. Dennoch glaube ich unverändert, dass sich das Wachstum in Deutschland wieder beschleunigen wird.

Wann?

Im dritten Quartal erwarte ich eine anspringende Konjunktur. Im vierten Quartal wird das Wachstum spürbar zunehmen. Das habe ich im Frühsommer gesagt. Und dazu stehe ich auch jetzt.

Das widerspricht allen Meldungen aus den deutschen Unternehmen. Kapazitätsabbau und Jobverluste bestimmen die Gegenwart und nahe Zukunft der deutschen Industrie.

Nehmen Sie nur zwei Beispiele. Die am Neuen Markt notierten Unternehmen haben trotz ihrer deutlichen Kurskrise ab Mitte 2000 bis heute einen deutlichen Beschäftigungszuwachs verzeichnet. Oder die Bauwirtschaft. Jahrelang litt das Gewerbe unter dem massiven Abbau von Überkapazitäten, die in den neunziger Jahren aufgebaut wurden. Jetzt erhalte ich Signale, dass es langsam wieder aufwärts gehen wird.

Irren alle Wirtschaftsexperten, die die negative Exportwirkung aus der Lage in den USA und die deutsche Konsumschwäche als Ursache für den mageren Absatz der Unternehmen in Deutschland nennen?

Noch ist der Auftragseingang aus dem Ausland nicht dramatisch zurück gegangen. Und ich rechne fest mit der Belebung des privaten Konsums in Deutschland. Die Deutschen haben mehr Netto-Lohn in der Tasche als im Vorjahr, aus Tariferhöhungen und Steuerentlastungen. Die private Kaufkraft nimmt zu, die Inflationsrate ist rückläufig und die Benzinpreise steigen nicht.

Die Läger der Industrie sind voll.

Meiner Erkenntnis nach sind die Läger deutlich leerer. Die Bestellungen im Herbst werden wieder unmittelbare Produktionswirkung haben.

Wie lautet denn Ihre Prognose für das Jahr 2001?

Ich lege mich nicht fest. Es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass vor dem Komma noch eine zwei steht. Aber eines weiß ich. Die Opposition wird sich ärgern. Selbst, wenn der Aufschwung nicht zum Herbst 2001 einsetzt, werden wir jedenfalls im nächsten Jahr, so wie in 2000, einen deutlichen Wachstumsschub erleben, also vor der Bundestagswahl.

Wenn der Wirtschaftsminister so zuversichtlich ist, dann kann der Bundeskanzler sorglos die ruhige Hand bewahren.

Vergessen Sie nicht, dass selbst ein Wachstum von zwei Prozent gut aber nicht gut genug ist. Die Frage ist, ob und wie eine Regierung ein stärkeres Wachstum anregen kann. Kurzfristige Konjunkturprogramme bringen Strohfeuer und Schulden, sind mittelfristig schädlich. Wichtig ist die langfristige Wachstumspolitik. Und da kommt es darauf an, dass eine Regierung die richtigen Rahmendaten setzt und berechenbar bleibt. Das hat diese Bundesregierung getan. Jetzt in Hektik auszubrechen, bringt wirklich nichts.

So ruhig wie Sie beurteilt nicht einmal Gerhard Schröder die Lage. Schon hat uns der Kanzler darauf vorbereitet, dass er sein Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zurückzufahren, nicht erreichen wird.

Ich rücke noch nicht von dieser Zahl für August-September 2002 ab. Gewiss, es wird schwierig. Die gegenwärtige Entwicklung der Arbeitslosigkeit korreliert mit der Konjunktur. Zieht das Wachstum im kommenden Jahr allerdings spürbar an, dann wird das nicht ohne Resonanz am Arbeitsmarkt bleiben.

Sie könnten die Zielmarke sicherer erreichen, wenn Sie jetzt beherzt Reformen des Arbeitsmarktes einleiten, die über das Job-Aktiv-Gesetz hinausgehen.

Auch hier bringen kurzfristige Deregulierungen keine Effekte. Wir haben, auch wenn das gern von den Wirtschaftsverbänden negiert wird, das flexibelste Instrument im Arbeitsmarkt geschaffen: Die Möglichkeit, Arbeitnehmer befristet einzustellen. Etwas flexibleres gibt es nicht, um kurzfristige Auftragsspitzen abzudecken ohne sich langfristig an die Beschäftigten binden zu müssen.

Dennoch wird Rot-Grün vorgeworfen, den Arbeitsmarkt in starre Korsette gepresst zu haben.

Ich erinnere mich an den Streit um das Thema Scheinselbstständigkeit Das 1998 schlechte Gesetz wurde 1999 in völlig neuer guter Form verabschiedet und seitdem habe ich keine einzige Klage mehr dazu gehört. Das Gesetz zur Betriebsverfassung zeigt das gleiche Ergebnis. Haben Sie davon gehört, dass sich jetzt massenhaft Betriebsräte gründen und ihre Unternehmer drangsalieren? Ich nicht.

Die Wirtschaft, und mit ihr die Opposition, klagt über Überregulierung und zu hohe Steuerlasten. Man fordert jetzt, die nächsten Steuerreformschritte vorzuziehen. Würde ein solcher Schritt das Wirtschaftswachstum stärker anheizen?

Das hieße Rückkehr zur schuldenfinanzierten Politik, Rückkehr zu staatsinduzierter und staatsfinanzierter Wachstumspolitik. Ich plädiere dafür, die Unternehmen zu mehr selbstinduziertem Wachstum zu bringen. Die Deutsche Wirtschaft klagt seit Jahren über zu hohe Steuern, schätzt aber andererseits das hohe Niveau von Staatsausgaben und Subventionen. Wir wollen das umkehren. Nicht Staatsausgaben und Staatsschulden sollten Wachstumsmotor sein, sondern die Unternehmen selbst. Nur so eröffnet die Haushaltskonsolidierung Spielräume für Steuersenkungen, die wir bis 2005 gesetzlich verankert haben.

Wann wird es gelingen, die Lohnnebenkosten wie versprochen im kommenden Jahr von rund 42 Prozent auf 40 Prozent zu drücken?

Bei 3,2 Millionen Arbeitslosen kann dieses Ziel erreicht werden. Bei niedrigeren Beschäftigungsquoten habe ich Zweifel.

Was haben Sie sich als Wirtschaftsminister noch für die verbleibenden Monate bis zur Bundestagswahl vorgenommen?

Beispielsweise prüfen wir gerade, das Vergaberecht, also den Rechtsrahmen zur Vergabe öffentlicher Aufträge, bundesweit auf neue Beine zu stellen. Es kann auf Dauer nicht angehen, dass in Unternehmen, die Aufträge der öffentlichen Hand haben wollen, Löhne gezahlt werden, die weit unter dem Niveau der branchenüblichen Tarifvereinbarungen liegen. Das sind Selbstverpflichtungen der Unternehmen, die allerdings oftmals nicht eingehalten werden. Deshalb überlege ich, die Pflicht zur Tariftreue bei öffentlichen Vergaben bundeseinheitlich zu regeln. Etliche Wirtschaftsverbände haben mich darum gebeten, auch mit Verweis auf das Land Bayern, wo die Stoiber-Regierung die Tariftreue zur Vorschrift gemacht hat.

Das wird die Lohnkosten in Deutschland gewiss verteuern. Wollen Sie auch noch Frauenquoten vorschreiben als Voraussetzung dafür, dass ein Bauunternehmen die Fassade eines Rathauses anstreichen darf?

Lohnkostendumping durch Beschiss kann ja kein Dauerzustand werden. Aber: Änderungen am Vergaberecht sind gründlich zu überlegen. Leicht kann das zu ordnungspolitischen Auswüchsen führen, die nicht akzeptabel wären.

Ostdeutschen Unternehmen mit niedrigerem Tarifniveau wird Ihr neues Vergaberecht um die Aufträge bringen.

Das ist ein gravierender Aspekt. Wichtig ist die Tariftreue, ob am Ort der Leistungserbringung oder am Ort des Firmensitzes ist meines Erachtens zweitrangig.

Mit einem solchen Gesetz würden Sie nicht nur die Ausgaben der öffentlichen Einrichtungen erhöhen, sondern auch eine immer größere Zahl von Unternehmen, die den Tariflohn nicht zahlen können, vom Wettbewerb ausschließen.

Es geht nicht an, aus Tarifverträgen zu fliehen, indem man ausländische Arbeitskräfte für fünf Mark je Stunde beschäftigt. Wenn Unternehmer einen Tarifvertrag nicht einhalten können oder wollen, müssen sie über eine Vertragsänderung verhandeln. Die öffentliche Hand jedenfalls kann nicht tatenlos bleiben, wenn sie weiß, dass Tarifverträge bei ihren Aufträgern gebrochen werden. Da gebe ich den Wirtschaftsverbänden, den Gewerkschaften und der CSU Recht.

Herr Müller[dass], es gibt Zeichen dafür[dass]

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