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© Imago

Wuppertal: Die Schulden führen Regie

Die Kommunen sind arm dran. Sie sollen dafür zahlen, dass die Bundesregierung Steuern senkt. Schon jetzt fehlen in Wuppertal zwei Milliarden Euro. Der Bürgermeister hat einen Sparplan veröffentlicht. Er hat 134 Seiten. Das Theater steht auch drin.

Es regnet. Die Demonstranten stehen etwas verloren vor dem Wuppertaler Rathaus. Einige hundert sind auf den Johannes-Rau-Platz gekommen, um zu demonstrieren. Denn der Oberbürgermeister will der Stadt ein rigoroses Sparprogramm verordnen. Wuppertal wird Schwimmbäder, Bibliotheken und das Schauspielhaus schließen, Sozialprojekte bekommen weniger Geld, Kindergärten, Sinfoniekonzerte, der Besuch der Jugendmusikschule, sogar Parkplätze und die Hundesteuer werden teurer. Das Sparpaket ist brutal, und es ist in den Augen der Verantwortlichen alternativlos, um die drohende Überschuldung der Stadt zumindest aufzuschieben.

Das wissen auch die Demonstranten vor dem Rathaus. Sie sind wütend, sie haben Angst, aber vor allem sind sie ratlos. Gegen Überschuldung zu protestieren, ist ein wenig, als würde man gegen die Schwerkraft sein. „Wenn das so weitergeht, stirbt diese Stadt“, sagt ein Demonstrant. „Protest gegen Trostlosigkeit“ hat jemand auf ein Transparent geschrieben. Selbst die berühmte Wuppertaler Schwebebahn ist seit Wochen stillgelegt. Das hat zwar nur technische, keine finanziellen Gründe, passt aber ins Bild.

Das Besondere der 350 000-Einwohnerstadt an der Wupper sind nicht die Schulden von knapp zwei Milliarden Euro. Alleine in Nordrhein-Westfalen sind 19 Städte in ähnlich verzweifelter Lage – und damit ein Drittel der Bevölkerung des Landes betroffen. Auch die Ursache der Haushaltsnotlage hat Wuppertal nicht exklusiv: Altschulden, die Folgen der Rezession und Mindereinnahmen durch die Steuersenkungspolitik der Bundesregierung. Das Besondere an Wuppertal ist, dass der Oberbürgermeister sehr früh und detailliert öffentlich gemacht hat, für welche Aufgaben demnächst weniger Geld da sein wird. 134 Seiten dick ist seine Liste der Zumutungen.

„Wuppertal wehrt sich“ heißt das Bündnis der Bürger, das sich vor seinem Amtssitz versammelt hat. Dazu gehören Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Organisationen, die sonst nicht unbedingt miteinander befreundet sind wie der Mieterbund und der Verband der Haus- und Wohnungseigentümer. Zu den bezeichnenden Paradoxien dieser Situation gehört, dass auch Peter Jung das Bündnis unterstützt, der Oberbürgermeister. Vor dem Rathaus bedauert der CDU-Politiker als Hauptredner der Kundgebung die Maßnahmen, die er im Rathaus selbst ausgearbeitet hat.

Im Gespräch lässt Peter Jung keinen Zweifel daran, dass sein Sparprogramm ernst gemeint ist. Aber der Kommunalpolitiker versteht es auch „als Hilferuf“. Allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Bundesregierung bedeutet für seine Stadt in diesem Jahr Einnahmeausfälle zwischen sechs und acht Millionen Euro. Und Jung rechnet vor, dass seine Stadt jedes Jahr 20 bis 25 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen muss, um die Verbindlichkeiten für den Aufbau Ost zu bedienen. Ein Umsteuern des Strukturausgleichs ist eine der Kernforderungen Jungs an die Bundesregierung. Und er wird sie auf der Fachtagung zur kommunalen Verschuldung am Freitag in Essen bekräftigen.

Der Mann, der das drastische Sparpaket gemeinsam mit dem Oberbürgermeister durchsetzen will, sitzt in seinem Büro im Rathaus und macht sich gar nicht erst die Mühe, die massiven Einschnitte schönzureden. Johannes Slawig ist der Stadtkämmerer. „Ganz klar, das kommunale Angebot wird schlechter, wir gehen bis an die Schmerzgrenze. Und in vielen Bereichen geht es ans Eingemachte“.

Zum Beispiel bei den Städtischen Bühnen, wo eine Kürzung der Zuschüsse um ein Fünftel wahrscheinlich bedeutet, dass eine Sparte abgewickelt werden muss, entweder Theater oder Oper. Slawig weiß, dass er damit an ein Tabu rührt. Theaterschließungen sind keine normalen Sparmaßnahmen, sondern eine Bankrotterklärung. Der Kämmerer weiß aber auch, dass die Stadt in vier Jahren mit all den Einschnitten 216 Millionen Euro einspart. Sie gleicht damit nicht einmal das Defizit des vergangenen Jahres aus. Geht es so weiter, droht Wuppertal in spätestens zwei Jahren die Überschuldung. Dann müssten alle freiwilligen Ausgaben von der Bezirksregierung genehmigt werden – und das würde zu weitaus drastischeren Einschnitten führen.

Verena Heinz gehört zu den Wuppertalern, die die Proteste gegen die Haushaltseinschnitte „total richtig“ finden. Sie ist Krankenschwester im Schichtdienst, ihr Mann IT-Systemelektroniker. Zusammen haben sie ein Nettoeinkommen von rund 2600 Euro, dazu kommt das Kindergeld für ihre vier Kinder in Höhe von 773 Euro. Davon gehen für Kindergartengebühren und Ganztagsschule knapp 500 Euro im Monat drauf.

In Zukunft wird das deutlich mehr sein müssen – alleine die Kindergartengebühren steigen um zehn Prozent, ohne dass die Kinder etwas davon hätten. Früher waren drei Erzieher für 15 Kinder da, jetzt sind es noch zwei Erzieher für 17 Kinder, rechnet Verena Heinz vor. Weil sie das ihrer Kleinsten nicht zumuten wollte, hat sie ihre Arbeitszeit reduziert. Der Besuch der Jugendmusikschule ist aus Sicht der Familie zu teuer, Zoobesuche sind Luxus. Das Freibad in ihrer Nähe, in dem sie früher ganze Sommer verbracht haben, steht auf der städtischen Streichliste. Die angekündigte Schließung von zwei Stadtteilbibliotheken und die Streichung von Zuschüssen für Schulbibliotheken erschweren der zehnjährigen Tochter das Ausleihen von Büchern.

Im vergleichsweise reichen, nur 30 Kilometer entfernten Düsseldorf sind Kindergartenplätze kostenlos. Verena Heinz hängt an Wuppertal, aber in letzter Zeit denkt sie öfter darüber nach, nach Düsseldorf zu ziehen und zur Arbeit zu pendeln. Sie klingt gleichzeitig aufgebracht und etwas resigniert, als sie das sagt.

Früher war es einfacher. Trotz schmerzhafter Rezessionsphasen konnte man in der einst von der Textilindustrie geprägten Stadt immer hoffen, dass es auch wieder aufwärts gehen würde. Stadtkämmerer Slawig sagt: „Heute hat man das Gefühl, dass es nicht mehr besser werden wird. Das ist eine neue Erfahrung.“ Er sagt es so lakonisch, als würde er nicht nur Wuppertal, sondern das ganze Land meinen. Als promovierter Historiker denkt er ohnehin nüchtern. „Die Bürger wissen doch, dass die gigantische Staatsverschuldung irgendwann zurückgefahren werden muss. Und sie wissen, dass das nur mit Einschnitten geht. Am Ende wird Ehrlichkeit vom Wähler eher anerkannt, als der Versuch, Probleme zu verschleiern.“

Doch in Nordrhein–Westfalen wird im Mai gewählt. Zu viel Ehrlichkeit könnte Stimmen kosten. Deshalb würden die schmerzhaften Schnitte erst nach den Landtagswahlen kommen, ist Slawig überzeugt: „Dann wird im Bund und im Land der Rotstift angesetzt, das ist völlig klar.“ Slawig ist CDU-Mitglied, aber im Augenblick ist ihm die Analyse wichtiger als Parteidisziplin. „Duisburg hat jetzt schon massive Einschnitte angekündigt, Bochum, Essen, Remscheid, Solingen“, zählt er auf. „Wir verwalten den Sachzwang.“

Der Verlust an Lebensqualität vollzieht sich unsichtbar, im Stillen. Selbst ein Wuppertaler Problemviertel wie Ostersbaum wirkt so gepflegt wie Berlin-Schöneberg. In der Altstadt in Elberfeld reihen sich Restaurants aneinander. Eben hat der 200 000ste Besucher die Monet-Ausstellung im Von-Der-Heydt-Museum gesehen, meldet die Lokalpresse. Im Opernhaus läuft „Iphigenie auf Tauris“, eine Inszenierung der in Wuppertal berühmt gewordenen Choreographin Pina Bausch, die im vergangenen Jahr starb.

Eine, die den sozialen Abstieg bei ihrer Arbeit jeden Tag zu spüren bekommt, ist Gisela Deller. Sie leitet eine von zwei Schuldnerberatungen in Wuppertal, bei der im Jahr etwa 1000 Personen um Rat ersuchen. „Derzeit müssen unsere Klienten bis zu sechs Monate auf einen Termin bei uns warten, das ist eigentlich viel zu lange. Werden uns Zuschüsse gestrichen, können es neun oder zwölf Monate werden“, berichtet sie. Für die Überschuldeten ist es dann oft zu spät und den säumigen Mieter ereilt der Räumungsbefehl, bevor die Schuldnerberater ihm helfen konnten. So schaukelt sich die Hilflosigkeit von Kommune und Bürger gegenseitig auf.

Ein anderer, der das Abrutschen seiner Stadt genau beobachtet, ist Grünen-Politiker Peter Vorsteher. Er sitzt im Stadtrat und arbeitet bei der Polizei in der Verwaltung. „Die Folgen der Sparmaßnahmen werden meine Kollegen im Streifendienst zu spüren bekommen. Was an Sozialarbeit fehlt, muss die Polizei ausbaden“, sagt er. Hartes Sparen hält jedoch auch er angesichts der Schuldendynamik für unvermeidlich: „Ein grüner Oberbürgermeister könnte auch nichts anderes machen.“

Da stellt die drohende Theaterschließung beinahe nur ein Luxusproblem dar, wären da nicht die Symbolkraft und die Tatsache, dass Theater andere Besucher haben als Dellers Schuldnerberatung. Vor der „Schande“ und einem „völlig falschen Signal“ warnt denn auch Michael Naumann mit Blick auf Wuppertals angekündigtes Theaterfiasko. „Deutschlands Freiheit wird in Wahrheit nicht am Hindukusch verteidigt, sondern in den Theatern“, donnert der frühere Kulturstaatsminister jetzt in einem Interview und verwahrt sich dagegen, dass Kultur als Spendenempfänger betrachtet werde. Wenn Politik ausgerechnet bei den Künsten kürze, so Naumann weiter, „kürzt sie an ihrem eigenen inneren Sinn“.

Es ist dieser Unmut am immer schmaler werdenden politischen Spielraum, der die angezählte Bühne in Wuppertal Ende Januar zum Zentrum der Proteste machte. In einem Theater-Marathon über 24 Stunden traten Künstler aus Theatern und Opernhäusern von Essen bis Köln, von Bochum bis Bielefeld im Foyer des Wuppertaler Schauspielhauses auf – aus Solidarität, aber auch, um für die Zukunft ihrer eigenen Bühnen zu kämpfen. „Die mögliche Streichung einer Theatersparte ist ein Präzedenzfall“, gibt der Stadtkämmerer Slawig zu. „Ich kenne Städte, in denen genau die gleichen Diskussionen geführt werden.“ Was derzeit in Wuppertal geschieht, könnte sich bald andernorts wiederholen.

Christian von Treskow kam erst zu Beginn dieser Spielzeit als Schauspielchef nach Wuppertal. Gleich muss er um die Zukunft seines Ensembles kämpfen. „Unausgesprochen steht die Frage im Raum, ob diese Stadt ein Theater braucht“, sagt er denkbar illusionslos. „Auf diese Frage müssen wir mit jeder Aufführung antworten.“ Und dann wird er pathetisch. „Wir stehen hier auf vorgeschobenem Posten“, sagt er, „in einem Kampf um die Zukunft des Theaters in Deutschland“.

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