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Wirtschaft: Zehn Fusionsvorschläge pro Tag für Volvo

Seit Jahren setzen Überkapazitäten und Globalisierung die europäische Autobranche unter Druck.Daß der Branche eine wirtschaftliche Abschwächung bevorsteht, ist klar.

Seit Jahren setzen Überkapazitäten und Globalisierung die europäische Autobranche unter Druck.Daß der Branche eine wirtschaftliche Abschwächung bevorsteht, ist klar.Nun sieht es so aus, als ob der kleine Volvo - mit seinem winzigen Anteil am europäischen Markt - das erste Opfer ist.Der schwedische Autohersteller erhält nach eigenen Angaben täglich zehn Fusionsvorschläge von Investmentbankern.Volvo hat nach informierten Kreisen J.P.Morgan angestellt, um die Vorschläge zu sichten.

Die Banker scheinen alle Hände voll zu tun zu haben.Ford Motor war zu Beginn der vergangenen Woche nahe daran, einen Vertrag mit Volvo zu unterschreiben, wie aus internen Quellen zu vernehmen war.Am Donnerstag berichtete eine schwedische Zeitung, daß Percy Barnevik, Chef der Holdinggesellschaft Investor und Vorstandsmitglied von General Motors, versucht hätte, eine Übernahme von Volvo durch GM einzufädeln.Nicht zuletzt Fiat hat Interesse am schwedischen Unternehmen bekundet.

Volvo will die betreffenden Fusions- und Übernahmepläne nicht kommentieren, das Unternehmen gibt lediglich bekannt, die Optionen zu prüfen.Desgleichen lehnen auch Ford und General Motors, der bereits 50 Prozent des schwedischen Autoherstellers Saab besitzt, Kommentare zu den Berichten über ihre Kaufinteressen ab.

Der gegenwärtige Kampf um Volvo macht deutlich, warum sich die Konsolidierung in der Autobranche so lange hinzieht - trotz der mächtigen, die Fusion anheizenden Globalisierung.Es spielen Faktoren eine Rolle, die sich nicht der Branchenlogik beugen: Politik und verwobene Eigentümerstrukturen.In der überschaubaren schwedischen Wirtschaft ist das Schicksal einer Ikone wie Volvo eng mit den persönlichen Interessen des Premierministers und der einflußreichen Familie Wallenberg verknüpft.Letztere besitzt als Eigentümer von Investor einen Großteil der schwedischen Unternehmenslandschaft.Und das potentielle Preisschild für Volvo - nach einigen Schätzungen könnte es sieben Mrd.Dollar erreichen - könnte andere Kandidaten abschrecken.

Von Managern bis zu Börsen-Analysten sind alle in der Automobilbranche einer Überzeugung: Eine wirtschaftliche Abschwächung naht.Nach Angaben des VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch ist die Anzahl der Autohersteller von 52 Unternehmen in den 60er Jahren auf heute nur 17 unabhängige Firmen geschrumpft.Und trotzdem sind die Kapazitäten noch zu groß.Gleichzeitig ist die Branche durch den Abbau von Handelsschranken und die Produktion im Ausland so global wie nie zuvor.Vor solchem Hintergrund, so die Überzeugung der meisten Unternehmen, werden nur die größten Autohersteller überleben.Diese Vorstellung ist nicht neu, doch die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler hat ihr neue Glaubwürdigkeit verliehen."Seit der DaimlerChrysler-Fusion hat die Überzeugung zugenommen, daß Fusionen erforderlich sind", sagt Joe Dickinson von der Unternehmensberatung A.T.Kearney in London."Jeder weiß, daß es zur Konsoldierung kommt, vor allem in Europa."

Europa hat schließlich besonders viele Autohersteller.Unter denen, die nach Meinung von Analysten Hauptkandidaten für Fusionen oder Akquisitionen sind, befinden sich die französischen Unternehmen Renault und Peugeot Citroën, der italienische Autohersteller Fiat sowie BMW und Porsche.Nur die deutschen Riesenfirmen Volkswagen und DaimlerChrysler gelten als groß genug, um allein überleben zu können.Doch selbst über sie kursieren Fusionsgerüchte.

Die Überschußkapazitäten sind wahrscheinlich nirgendwo größer als in Schweden.Das Land mit 8,8 Millionen Einwohnern ist das Zuhause von zwei großen Autoherstellern - Saab und Volvo.Es ist auch die Heimat von zwei großen Lastwagenherstellern - Scania und wieder Volvo.In der vergangenen Woche berichtete eine schwedische Zeitung, daß VW den 45,5 Prozent-Anteil von Investor am schwedischen Lkw-Hersteller Scania erwerben würde; VW und Investor lehnten Stellungnahmen ab.

Vielleicht verdeutlicht kein Unternehmen besser als Volvo den großen Druck, der auf Autounternehmen lastet.Zwar produziert das Unternehmen nur 400 000 Autos im Jahr, doch ist es eines der rentabelsten der Welt und hat einen Bekanntheitsgrad, der andere Autohersteller grün vor Neid werden läßt.Doch Volvo ist nicht nur wegen seiner Autos attraktiv.Die Lastwagen, Busse und Großfahrzeuge sind in ihrem jeweiligen Branchensegment Marktführer.

Bereits 1993 durchlief Volvo mit Renault eine kurze Romanze.Als die Fusion scheiterte, entschied das Unternehmen, sich auf das Auto-Geschäft zu konzentrieren.Volvo begann mit dem Ausverkauf der Bereiche, die nicht zum Kerngeschäft gehörten.Dann trat Leif Johansson vor zwei Jahren als Vorstandsvorsitzender und Präsident an die Spitze des Unternehmens und läutete eine neue Ära ein.Johansson hatte sich durch seine aggressive Akquisitions- und Verkaufsstrategie als Chef des Hausgeräteherstellers Electrolux einen Namen gemacht.Der neue Volvo-Chef wollte Volvo in einen schlankeren Autobauer verwandeln - einen, der sich im Pkw-Bereich seine Unabhängigkeit durch noch mehr strategische Partnerschaften sichern und im Lkw-Segment zum Marktführer werden könnte.Johansson trennte sich von mehreren Zulieferern und knüpfte strategische Partnerschaften mit anderen Autoherstellern.Und er zögerte nicht, 6000 der fast 80 000 Arbeitsplätze im vergangenen November abzubauen, nachdem die Asienkrise zu enttäuschenden Neunmonatszahlen geführt hatte.

Doch Johannson hörte hier nicht auf.In dem Bewußtsein, daß sein Unternehmen in der Branche als attraktiver Anfänger gilt, begann er, Gespräche mit anderen großen Konkurrenten zu führen, um, wie er häufig sagt, die Situation der Branche und andere Themen zu diskutieren, inklusive Fusionen."Wir sprechen mit jedem", sagt er und macht klar, daß Volvo sich einer Fusion nicht entgegenstellen würde.

Die Gelegenheiten waren zahlreich.In den vergangenen Monaten gab es eine Reihe von Flirts mit anderen Autoherstellern.Dann überraschte Volvo die Branche vor einer Woche, als es einen ersten Übernahmeversuch des schwedischen Lastwagenherstellers Scania startete, indem es einen 12,85 Prozent der Scania-Aktien kaufte.Die Nachricht schlug wie eine Bombe in die üblicherweise langweilige Welt der schwedischen Wirtschaft ein.Scania ist schließlich zu 45,5 Prozent in der Hand von Investor der Familie Wallenberg.Und Investor gehören 50 Prozent von Saab (die anderen 50 Prozent General Motors).Plötzlich befindet sich die schwedische Autowelt inmitten eines Dramas, in das jeder verwickelt ist, der zum schwedischen Wirtschaftsestablishment gehört.Investor hat seine Bestürzung über Volvos Schritt zum Ausdruck gebracht und angedeutet, es werden für Scanias Zukunft andere Optionen überlegen.Der Exodus einiger Flagschiffunternehmen des Landes in den vergangenen Monaten hat Druck auf die schwedischen Politiker ausgeübt.Das Vakuum, das Volvo bei einer Übernahme durch ein ausländisches Unternehmen hinterlassen würde, übersteigt das rein Wirtschaftliche."Volvo ist das Herz und die Seele der Schweden", sagt Lars Jagren vom schwedischen Industrie-Verband in Stockholm.

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Lafontaine, Volvo) und Svenja Rothley (IWF, Post).

BRIAN COLEMAN, ALMAR LATOUR

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