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Wirtschaft: Zinsängste können die Wall Street nicht bremsen

NEW YORK .Die US-Konjunktur, Unternehmensgewinne und vor allem das Zinsniveau bestimmen nach wie vor das tägliche Geschehen an der Wall Street.

NEW YORK .Die US-Konjunktur, Unternehmensgewinne und vor allem das Zinsniveau bestimmen nach wie vor das tägliche Geschehen an der Wall Street.Blitzartig reagiert die Börse zum Beispiel auf die monatlichen Arbeitsmarktdaten, die zu mehr Inflation und damit höheren Zinsen führen könnten.Und steigende Zinsen sind mit steigenden Aktienkursen unvereinbar.Momentan scheint indes noch alles in bester Ordnung.Die Arbeitslosenquote hat im Februar geringfügig auf 4,4 (4,3) Prozent zugenommen.Hierdurch sinkt die Gefahr einer überschäumenden Konjunktur, die mit höheren Zinsen abgekühlt werden müßte.Greenspan, der US-Notenbankchef, ließ während der vergangenen Tage wiederholt durchblicken, es stünden keine Zinserhöhungen ins Haus.

Die Langfristzinsen sind allerdings seit Jahresbeginn aufgrund des robusten Realwachstums im vierten Quartal (plus 6,1 Prozent) deutlich gestiegen.Von Inflation fehlt dennoch jede Spur und der Lohnkostenanstieg war rückläufig.Aus der Sicht eines Volkswirts ist das die beste aller möglichen Welten.Ralph Acampora, Chef der Abteilung technische Analyse bei Prudential Securities, traut daher dem Dow Jones noch in diesem Jahr den Sprung auf 11 000 zu.Das Argument, der Markt werde nur von einer Handvoll Notierungen nach oben gezogen, während der breitere Markt dahinvegetiere, läßt er nicht gelten."Dann kauft man eben nur diese Handvoll Aktien."

Am Freitag sprang die Wall Street zum Handelsauftakt erneut über die 10 000- Punkte-Marke.Der Dow-Jones-Index gewann in den ersten zehn Handelsminuten 0,8 Prozent oder 73,26 Zähler auf 10 070,88 Punkte.Am Tag zuvor waren die Kurse bereits auf ein neues Allzeithoch geklettert.Bei einem sehr hohen Umsatz von 831 Mill.Aktien stieg der Dow Jones um 1,2 Prozent oder 118,21 Zähler auf 9997,62 Punkte.Lediglich die Schwäche einiger Computerwerte hatte nach Meinung von Händlern den Sprung über die 10 000 verhindert.

Bei einem Dow-Jones von 10 000 fragt man sich, ob die Käuferwelle nicht so langsam im Abebben begriffen ist, zumal sich immer mehr Fondsmanager auf die Marktführer stürzen.Doch schon vor Jahren gab es Vorhersagen, Dell und Microsoft - die neben AOL oder IBM die Anleger wie Magneten anziehen - würde bald die Puste ausgehen.Nichts dergleichen ist geschehen.Microsofts Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 238, also das Zweihunderachtunddreißigfache des für 1999 projektierten Gewinns, läßt sich im Urteil von Erik Gustafson, Ko-Manager des Stein Roe Young Investor Fund, durchaus rechtfertigen.Zur Zeit der industriellen Revolution im 19.Jahrhundert seien Eisenbahnen bei einem KGV gehandelt worden, das man bis dahin nicht für möglich gehalten hätte, sagt Gustafson.Ähnliches lasse sich heute in der Kommunikationsrevolution beobachten.

Ein Bullenmarkt geht nicht zuende, wenn alle verkaufen, sondern wenn es keine Käufer mehr gibt.Hätten die Profis der neunziger Jahren nach dieser neuen Erkenntnis gehandelt, wären sie heute reicher und ihre Kunden glücklicher.Tatsache ist, daß Amerikas Geldmanager bei der Bewertung von Aktien zu lange traditionelle Maßstäbe wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis herangezogen haben, und die stimmen oft nicht mehr.Kein Wunder, viele Profis haben den Zug verpaßt oder sind zu früh abgesprungen.Gustafson gehört nicht zu ihnen.Im November kaufte er den Internetwert America Online (AOL) auf dessen Kurshoch, obwohl ihm das KGV damals "monströs" erschien.War er verrückt geworden, das Geld anderer auf so leichtsinnige Weise zu riskieren? Rückblickend sicher nicht: Die 300 000 AOL-Aktien des Fonds sind heute etwa doppelt soviel wert."Wer ein Unternehmen wie AOL kauft, muß traditionelle Bewertungsmaßstäbe ignorieren, ganz besonders im Internetsegment der Technologiebranche", sagt Gustafson.Ein Fondsmanager muß nach Gustafsons Dafürhalten sein Portefeuille mit den Marktführern stopfen.Neben den Computer-Titeln triumphieren im finanziellen Dienstleistungsgewerbe Spitzenreiter wie American Express, Citigroup und J.P.Morgan, in der Pharmaindustrie sind Merck und Johnson & Johnson die Renner, Caterpillar gibt bei den Baumaschinenherstellern den Ton an und im Einzelhandel ist Wal-Mart die Nummer eins.Die Aktien der großen Rundfunkgesellschaften seien zwar stark gesunken, doch das Internet sei schneller gewachsen als Radio und Fernsehen."Die Neinsager haben die fundamentale Umwandlung der Vereinigten Staaten in einen Informationwirtschaft, die den Vereinigten Staaten in den letzten 15 Jahren neues Leben eingehaucht hat, einfach verpaßt", stellt Gustafson fest.

Neue Auftriebskräfte sind heute am Werk, die den Aktienmarkt und die führenden Indizes von einem Rekord zum anderen hetzen.Hatten früher geflüsterte Geheimtips der Profis den Markt in Bewegung gebracht, werden Auf- und Abwärtsbewegungen heute nicht selten von Laien und neuerdings von dem wachsenden Heer der "Day Traders" durch Mausklick ausgelöst.Zu eifrigen Aktienkäufern hat sich die geburtenreiche Nachkriegsgeneration der "baby boomers" entwickelt.Sie kaufen Aktien in der Hoffnung, ihren Lebensstandard angesichts der unsicher Altersversorgung aufrecht zu erhalten.Selbst wiederholte Warnungen von Notenbankchef Alan Greenspan, der die Aktienmärkte für überteuert hält, finden wenig Gehör.

Die veränderten Spielregeln erklären, warum so viele erfahrenen Profis die Kraft des seit 1982 dauernden und 1990 nur durch eine kurze Rezesssion unterbrochenen Bullenmarktes unterschätzt haben.Selbst Warren Buffett, wegen seiner guten Nase für die richtigen Aktien als "Orakel von Omaha" gefeiert, hat den Technologieboom vepaßt.Den richtigen Riecher hat dagegen Abby Joseph Cohen, Chefanlagestrategin für US-Aktien bei Goldman Sachs.Seit 1991 hält sie an ihrem optimistischen Ausblick fest.Sie wankte auch nicht, als der Markt zeitweise einbrach.Deshalb fragen sich Anleger sorgenvoll, was denn passieren würde, wenn Cohen plötzlich den Stöpsel zieht.Im Januar etwa wich der Markt auf breiter Front zurück, nachdem Cohen ihren Kunden empfohlen hatte, den Aktienanteil in ihren Portefeuilles von 72 Prozent auf 70 Prozent zu reduzieren.Aus Cohens Sicht liegen die Kurse heute gerade richtig.Sie würden auch weiter steigen, solange die Wirtschaft gut läuft und die Unternehmen gut verdienen."Ich betrachte mich als Haussier mit Blick auf die US-Wirtschaft", sagt Cohen."Meine Begeisterung für Aktien ist zweitrangig."

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