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Wirtschaft: Zustimmung wie für den Bundeskanzler

Streikbeginn bei den VW-Werken in Chemnitz und Mosel

Chemnitz/Mosel . Die „solidarische Hilfe“ aus Esslingen ist gut zu erkennen. Mit einem Sonderbus sind die Kollegen aus Baden-Württemberg nach Chemnitz gereist, um die VW-Motorenwerker in ihrem Arbeitskampf zu unterstützen. Bei den Esslingern stimmt ganz einfach alles, die roten T-Shirts mit IG-Metall-Aufnäher und die roten Base-Caps. Und die Westkollegen sind bereit, furchtlos in jede Kamera zu schauen. Eine halbe Stunde vor Schichtbeginn haben sich die etwa 30 Leute vor dem Werktor aufgebaut und die Transparente für die 35-Stunden-Woche entrollt. Die VW-Werker der Frühschicht, die eigentlich Streikenden, treffen erst gegen sechs Uhr ein. Und sie tragen „zivil“. Erst nach und nach werden die roten Kappen und Trillerpfeifen verteilt. Der sächsische IG-Metall-Funktionär Klaus-Dieter Uthoff begrüßt die Kollegen aus Esslingen. „Bei uns gilt Solidarität noch etwas.“ Doch die Neigung der Sachsen, mit den West-Kollegen ins Gespräch zu kommen, hält sich in Grenzen. Die Gruppen bleiben für sich.

Peter Jeguschke, der Betriebsratsvorsitzende, organisiert das Streikleben. Ausweise ausgeben, Streikposten einteilen. „Jeder vier Stunden, das wird für keinen zu viel.“ Das VW-Werk sei ausgewählt worden, weil für den Streikauftakt zuverlässige Leute gebraucht würden, heißt es bei der IG Metall. Ach, das mit der Zuverlässigkeit halte sich in Grenzen, winkt einer der Streikenden ab. Wie es zur Zustimmung zum Streik überhaupt kommen konnte? „Na, wie beim Bundeskanzler.“ Den wolle inzwischen ja auch niemand mehr gewählt haben. „Die Arbeitgeber haben uns den Streik aufgezwungen, doch wir werden das durchstehen“, versucht Uthoff Stimmung zu machen. Der sei früher beim FDGB bei Textima in Limbach-Oberfrohna gewesen, ein „durchtrainierter Kommunist“, sagt einer über Uthoff.

Zwei Stunden später und 50 Kilometer weiter. Streikbeginn auf der grünen Wiese vor dem VW-Werk in Mosel. Etwa 1000 Streikende haben sich versammelt. Eine Bühne ist aufgebaut. „Leute, kommt ran hier! Wir wollen anfangen“, drängt Stefan Kademann von der Zwickauer IG Metall. Klaus Zwickel steht unterhalb der Bühne, im braunen Sakko, die Arme verschränkt, den Oberkörper leicht gebeugt, der Blick starr. Erschöpft sieht er aus und müde. Aber als er die Bühne betritt ist die Brust gestrafft. „Ich brauche euch nicht zu sagen, warum ihr streikt“, ruft Zwickel, um es dann doch noch mal zu sagen. Die 35 Stunden stünden auf dem Plan. „Vorher hören wir nicht auf.“ Schlapper Beifall. Zwickel hat es schwer, zu dieser Morgenstunde die Leute mitzureißen, so wie der quirlige Kademann vor ihm und der trockene IG-Metall-Bezirkchef Hasso Düvel nach ihm. Zwickel warnt. Er schließe nicht aus, dass der Streik länger dauern könne. Er will den Leuten eigentlich nahe bringen, was sie vielleicht noch nicht wissen, dass es eben um mehr geht, als nur jene 35 Stunden, und dass der Arbeitskampf ein bitterer Gang werden kann. Er warnt die Arbeitgeber vor einem Großkonflikt mit der IG Metall. Sollte es dazu kommen, müssten die Westkollegen unterstützen.

Die Stimmung ist anders als vor dem Chemnitzer VW-Werk, gedrückt. Es könne lange dauern, sagt ein besorgter Arbeiter. Angst vor Entlassungen? Die gebe es oder gebe es nicht, mit oder ohne Streik. Auf der Bühne sollen in den nächsten Tagen Musik-Bands für Unterhaltung sorgen. Einen „Familien-Streiktag“ soll es geben, die Kinder können mitgebracht werden. Vielleicht werde der Streik ja auch ein „gutes Erlebnis“, versucht Kademann aufzumuntern. Ihr könnt später einmal sagen, ich bin dabei gewesen, damals, als wir die 35-Stunden-Woche erkämpft haben.“

Ralf Hübner

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