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Wissen: An der Bruchbude arbeiten

Wie neues Leben in die feministische Wissenschaftskritik kommen könnte

Der wissenschaftliche Mainstream ist zumal ein wissenschaftlicher Malestream, also männerzentriert. Mag sich die Forschung als völlig neutral darstellen: Ihre Fragen und Ergebnisse haben jahrhundertelang die Perspektive von Frauen ausgeblendet. Das Haus der Wissenschaft ist darum nichts als eine Bruchbude. Diese Erkenntnis der Frauenbewegung hat seit den achtziger Jahren die feministische Wissenschaftskritik hervorgebracht. Sie machte sich daran, systematisch die Folgen des Ausschlusses von Frauen aus der Wissenschaft aufzuarbeiten, rüttelte am Erkenntnisgewinn der androzentrischen Forschung und an der vermeintlichen Wertneutralität von Wissenschaft generell. Und jetzt?

Die einst so produktive feministische Wissenschaftskritik liegt seit Ende der neunziger Jahre im „Dornröschenschlaf“, meint die Philosophin Cornelia Klinger. „Bis hierher und noch immer nicht weiter?“, fragte Klinger, die am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien forscht, am Dienstag an der FU bei ihrer Bilanz über 30 Jahre feministische Wissenskritik.

Klinger sieht die Lage der feministischen Kritik mit Sorge, erst recht, da die „positivistischen Naturwissenschaften“ offenbar zum „gesellschaftlichen Leitdiskurs“ geworden seien. Dabei hätten die modernen Naturwissenschaften immer wieder „Humbug“ über die Geschlechter produziert: Anfangs mit schlichteren anatomischen „Erkenntnissen“, zunehmend raffinierter auf Hormone und Gene abhebend, hätten sie maßgeblich dazu beigetragen, die bestehenden Hierarchien zu festigen und zu legitimieren: indem sie nachweisen, warum Frauen für ihre Unterordnung „bestens ausgestattet“ sind.

Für ihre Irrtümer hätten die Naturwissenschaften sich aber meist „herzlich unaufgeschlossen“ gezeigt und die Wissenschaftskritikerinnen lieber mit „Spott und Verachtung“ bestraft. Die Naturwissenschaften seien eben nur „historische Wissenschaften“, wenn es um die Verehrung ihrer Helden gehe, sagte Klinger. So würden sie unbeirrt fortfahren, gesellschaftliche Phänomene zu naturalisieren, sie also für unveränderlich zu erklären, etwa, indem sie ein „Verbrecher-Gen“ „finden“. Werde aber der Hirnforschung überlassen „aus der Struktur der Körper“ zu erklären, was Geschlecht oder Rasse bedeute, sei der Weg zum Sexismus oder Rassismus nicht weit.

Während die feministische Wissenschaftskritik demnach eigentlich noch immer viel zu tun haben müsste, stagniert sie, sagte Klinger. Vermutlich, weil ihre drei großen Strömungen sich nicht zu einer großen Synthese vereinigt hätten, sondern weiter „unproduktiv“ nebeneinanderher plätscherten: Richtung eins (der „feministische Empirismus“) sei optimistisch davon ausgegangen, dass die Ausgrenzung der Frau aus der Wissenschaft allgemein erkannt und ihre Folgen korrigiert werden könnten.

Die zweite Richtung („Standpunkt-Epistemologie“) habe demgegenüber die Einsichten in die Sicherheiten der Wissenschaften erschüttert, indem sie die Prägung der Forscher durch Zeit und Kultur für so bedeutsam erklärte, dass sich der „bias nicht abwischen lässt“, Wissen also als kontingent anerkannt werden muss. Die dritte postmoderne Richtung ging noch weiter: ein vernachlässigtes „Großsubjekt Frau“ gebe es gar nicht, da die westliche Mittelklassefrau nicht für alle Frauen sprechen könnte.

Klinger glaubt, dass alle drei Richtungen die „Pluralität und Partikularität“ des Wissens „nicht radikal genug“ erklärt haben. Nur wer „mehr Kontingenz“ zulasse, werde aber schließlich Hierarchien abbauen können. Denn weder wie einst „im Aufschauen zu Gott“ noch wie heute „in der Tiefe der Materie“ sei „ein fester Anker“ für die Erkenntnis zu finden: „Die einzigen Anker sind die anderen Menschen auf diesem schwankenden Schiff.“

Ob mit dieser Einsicht tatsächlich eine neue Synthese gelingen kann, die die feministische Wissenschaftskritik aus ihrem Schlaf holt, blieb an dem Abend offen. Anja Kühne

Am kommenden Dienstag spricht in der öffentlichen Reihe der FU „Geschlechterforschung und die Potenziale der Philosophie“ Gesa Lindemann (Oldenburg) über Grenzregime der modernen Gesellschaft (18.15 Uhr, Habelschwerdter Allee 30)

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