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Ben Paul war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Dann schmiss er hin.

© Bastian Kröhnert

Anti-Uni.com - alternatives Lernen: Lieber Freiheit statt Uni

Der Berliner Studienabbrecher Ben Paul hat sich von der Anti-Uni-Bewegung in den USA inspirieren lassen. Es geht auch ohne Studium, meint er. Und wirbt dafür in seinem Blog.

Ein Studium gilt in Deutschland immer noch als bester Schutz gegen spätere Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg. Ein fataler Konsens, findet Ben Paul. Anti-Uni.com heißt die Website, mit der sich der 23-jährige Berliner für autodidaktisches Lernen und alternative Bildungswege einsetzt. „Im Studium lernt man nicht das, was man für ein glückliches und erfolgreiches Leben wirklich braucht“, sagt er.

Dabei versprach Paul, ein erfolgreicher Student zu werden. Mit einem Einser-Abitur war er ins Jurastudium an der renommierten Bucerius Law School in Hamburg gestartet, gefördert als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volks – ein Elitestudent mit besten Karriereaussichten. Doch nach nur zwei Semestern war der Frust bei Paul dann so groß, dass er hinschmiss. „Vor dem Studium habe ich mich als aufstrebenden Junganwalt in einer großen Kanzlei gesehen. Dann habe ich aber gemerkt, dass ich mein eigener Chef sein will, um mein Potenzial voll auszuschöpfen. Und dafür brauche ich kein Studium.“

Viele fühlen sich zum Studium gedrängt, sagt Ben Paul

So tauschte Ben Paul Sicherheit gegen die Freiheit, sich einen eigenen Weg suchen zu können – und zu müssen. Nunmehr ein Studienabbrecher, machte er ein Praktikum, lernte die Szene der digitalen Nomaden kennen und beschloss, selbst einen Blog zu starten. Das war Anfang des Jahres. Auf seiner Anti-Uni-Website dokumentierte er seinen eigenen Bildungsweg. Aber Ben Paul geht es nicht nur um sich selbst: „Ich möchte junge Menschen inspirieren, ihren eigenen Weg zu gehen“, sagt er: „Es gibt noch zu viele, die einfach studieren, weil sie sich von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt fühlen oder sich nicht trauen, ohne BWL-Studium eigene Ideen umsetzen.“ Diese sollen auf Anti-Uni.com Alternativen finden.

Tatsächlich haben sich in den vergangenen vier Monaten, in denen der Blog im Netz steht, mehr als eine Handvoll junger und älterer Menschen auf seiner Website zu Wort gemeldet. Manchmal kritisch, doch meist zustimmend: „Kann ich genauso bestätigen – aus eigener Erfahrung“, liest man da von Bea oder von Mathias: „Von mir auch Daumen hoch! Ein Thema welches mich sehr in Anspruch genommen hat und immer noch ein interessantes Spielfeld ist“. Offenbar ist Ben Paul kein Einzelfall und auch viele andere fühlen sich zum Studium gedrängt und suchen Alternativen. Mehr als 10 000 Besucher kommen pro Monat auf seine Website, sagt Paul.

Wird er bald sogar zum Sprachrohr einer neuen Anti-Uni-Bewegung, wie es sie in den USA längst gibt?

In den USA, von deren Education-Hacking-Bewegung sich Ben Paul unter anderem inspirieren ließ, hat die Rebellion gegen das klassische Bildungssystem eine längere Tradition, besonders wegen der hohen Studiengebühren, die die Frage nach dem Sinn des Studierens besonders drängend machen. Durchschnittlich 26 000 US-Dollar Schulden hat ein College-Student nach seinem Abschluss. An einer Elite-Universität wie Harvard können Gebühren von bis zu 60 000 US-Dollar anfallen. Dale Stephen gehört zu den bekanntesten Gesichtern der amerikanischen Bewegung. Mit 19 Jahren gründete er die Website uncollege.org, auf der er bis heute Alternativen zum staatlichen Bildungsweg aufzeigt und mit einem Gap Year Program mittlerweile selbst ein alternatives Curriculum erstellt hat.

„Unter den Digital Natives meiner Generation ist der Frust über das deutsche Bildungssystem groß“, sagt Ben Paul. „Für die, die aktiv werden und ihre Bildung selbst in die Hand nehmen wollen, will ich eine Plattform bieten, zum Vernetzten, Austauschen, Motivieren.“ Aber kann es gelingen, sich autodidaktisch zu bilden und dennoch auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen, seinen Lebensunterhalt auf eine Weise zu finanzieren, die über Hilfstätigkeiten hinausgeht?

Mit der Angestelltenwelt beschäftigt sich Paul kaum. Aus seinem Mund klingt es logisch: „Es geht mir um Menschen, die etwas Eigenes starten, einen Unterschied in der Welt machen wollen.“ Für Paul heißt das in der Konsequenz: Es geht um Unternehmertum.

Ben Paul lernt lieber aus Büchern - über Non-Konformismus zum Beispiel

Dass die Träume vom sinnstiftenden Leben wirklich werden können, sieht der 23-Jährige in seinem persönlichen Umfeld und jeder Leser in den vielen Kommentaren auf seinem Blog. Da ist zum Beispiel Georg Tarne (25), der ein Politikstudium abgebrochen hat und nun stilvoll gestaltete Glasflaschen zum Abfüllen von Leitungswasser verkauft, Tina Plehn, die gar nicht erst mit dem Studium angefangen hat, sondern seit mehr als drei Jahren mit Work-&-Holiday-Visa um die Welt reist, an digitalen Geschäftsmodellen arbeitet und über ihre Lernerfahrungen auf realworlddegree.com bloggt, oder Robert Böhme (22), der sein Studium abgebrochen hat und stattdessen als Jungunternehmer mit einem Erasmus-Programm in Polen Business-Know-how in der Praxis sammelt.

Damit dieser Weg auch anderen gelingt, bloggt Ben Paul. Fasst Erkenntnisse aus den Büchern, die er gelesen hat, zusammen. Diese US-Sachbücher sind nun seine Uni-Vorlesungen, Unternehmer und Selfmademillionäre seine Professoren. „The Art of Non-Conformity“ und „Stop stealing dreams“ heißen Titel auf seiner Buchliste. Aber auch über seine eigenen Schwierigkeiten, seine Zweifel, informiert er die Leser online. Authentizität ist ihm wichtig. Eigene Schwächen einzugestehen, gehört für ihn dazu.

Als Workshopleiter und Redner auf Konferenzen und Seminaren vermittelt Paul, was er selbst über Zeitmanagement und autodidaktische Bildung gelernt hat. „Ich muss keine Akquise betreiben, die Menschen kommen auf mich zu“, sagt er. Dass sein Erfolg auf wackligen Füßen steht, ihm zumindest das Fundament einer wie auch immer gearteten Ausbildung fehlt, lässt bei ihm dennoch hin und wieder Zweifel aufkommen. Doch auch darüber, wie man diese bekämpft, hat er schon gebloggt.

Paul Henkel

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