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Wildpferd

© dpa

Artenschutz: Hufe statt Panzerketten

Wie der ehemalige Truppenübungsplatz Döberitzer Heide zum Lebensraum für seltene Tiere wird: Europäische Bisons, Przewalski-Pferde und Rothirsche bevölkern das Gebiet.

Panzer, Artillerie und Raketentruppen in der Döberitzer Heide durch Wisente, Wildpferde und Hirsche ersetzen. 1980 hätten solche Überlegungen mit Sicherheit das Interesse diverser staatlicher Organe auf sich gezogen. 30 Jahre später übernehmen tatsächlich Europäische Bisons, Przewalski-Pferde und Rothirsche die Rolle der Kettenfahrzeuge, Infanterie und sonstiger Truppen der Roten Armee, die 1994 diesen militärischen Übungsplatz westlich von Berlin verlassen haben.

Das Militär hatte auf dem Truppenübungsplatz eine Naturlandschaft geschaffen, die seit Jahrhunderten aus Mitteleuropa weitgehend verschwunden war. Die Geschosse entzündeten so manche Fläche. So entstand eine Heidelandschaft ähnlich denen, die früher grasende Schafherden offengehalten hatten.

An anderen Stellen rissen die Panzerketten immer wieder die Erde auf, bis die Vegetation dort keine Chance mehr hatte und der Sand unter der Sommersonne glühte. „Dort findet zum Beispiel der in Mitteleuropa sehr seltene Brachpieper seine Insekten-Nahrung“, sagt Jörg Fürstenow von der Heinz-Sielmann-Stiftung. Die Organisation hat im Jahr 2004 mit 3500 Hektar den größten Teil der Döberitzer Heide gekauft, um sie für den Naturschutz zu sichern.

Seit die Panzer den Sand der Heide nicht mehr durch ihre Ketten zermahlen, wächst die offene Landschaft langsam zu – und der Brachpieper verschwindet. „Wir haben dann mit Radladern die oberste Schicht einiger solcher Flächen abheben lassen“, erzählt Fürstenow. So wurden auch die Samen entfernt und der Sand bleibt eine Zeitlang unbewachsen. Zu den seltenen Insekten in der Heide gehört die Blauflügelige Sandschrecke, die in Deutschland ansonsten nur noch in wenigen Sandgruben oder am Schotter alter Rangierbahnhöfe vorkommt.

Bulldozer-Einsätze aber sind teuer. Und wie einst die Truppen-Kommandeure die Vegetation abzubrennen, verbiete sich, sagt Fürstenow: Auf dem Gelände liegt noch viel Munition, die ein Feuer zur Explosion bringen könnte. Jetzt hat man sich auf eine wirklich naturnahe Lösung besonnen: Große Grasfresser sollen die Döberitzer Heide offenhalten.

Einige Paläo-Ökologen vermuten ohnehin, dass Mitteleuropa nie der geschlossene Urwald war, wie ihn die Römer vor 2000 Jahren in Germanien beschrieben haben. Vielmehr hätten Wisente, Wildpferde und Hirsche größere Lichtungen freigehalten. Belegt ist dies aus dem Mittelalter, als Nutztiere auf weiten Flächen grasten. „Damals gab es keine Koppeln, die Bauern trieben ihre Schweine, Rinder und Pferde zur Weide in den Wald“, sagt Lothar Lankow von der Sielmann-Stiftung. Die großen Bäume waren davon nicht berührt, aber die bodennahe Vegetation wurde kurz gehalten.

Dadurch entstanden „Hutewälder“ mit alten Eichen und wenig Unterholz. Ähnliche Strukturen bildeten sich in der Döberitzer Heide in den Gebieten, in denen nicht nur geschossen wurde, sondern auch Panzer durch die Wälder pflügten.

Das gesamte Gelände wird bereits seit 1896 als Truppenübungsplatz genutzt. Anders als auf landwirtschaftlich genutzten Flächen wurden dort in der DDR-Zeit keine Düngemittel und Pestizide eingesetzt, auch dadurch hatten bis zum Abmarsch der Roten Armee viele Arten überlebt, die in Mitteleuropa sonst überall auf den Roten Listen stehen.

Um Wildtieren heute einen Lebensraum in der Döberitzer Heide zu bieten, ist das enge Nebeneinander von verschiedenen Landschaften wie Wäldern und offenen Flächen wichtig. „Der Kleine Heldbock zum Beispiel lebt im Holz alter Bäume, braucht aber die Proteine in den Pollen der Blüten von Weißdornbüschen und verschiedenen Stauden, die der Käfer nur im offenen Land findet“, erklärt Fürstenow. Das trifft auch für den Gartenrotschwanz zu, der im Wald in Baumhöhlen seine Jungen aufzieht. Seine Nahrung in Form von Insekten, Spinnen und Weberknechten aber findet er in den Sträuchern und Kräutern der offenen Landschaft.

Solche Bedingungen könnten Wisente, Przewalski-Wildpferde und Rothirsche schaffen, die ähnlich wie die Nutztiere im Mittelalter die Landschaft offenhalten können. „Wildpferde wälzen sich auch gern am Boden und könnten so den Sand freilegen“, sagt Lothar Lankow. So hätten auch Brachpieper und Blauflügelige Sandschrecke eine Chance.

Bevor die Tiere auf die knapp 2000 Hektar große Kernzone des ehemaligen Truppenübungsplatzes dürfen, wird diese Region erst einmal mit drei hintereinanderliegenden Zäunen abgetrennt, von denen zwei eine ungefährliche, aber schmerzhafte elektrische Spannung haben. Diese Barriere soll im nächsten Jahr fertig sein und die Wisente und Przewalski-Pferde vom Plündern benachbarter Felder oder einem Spaziergang auf dem nahe gelegenen Berliner Autobahnring abhalten.

Erprobt wird dieser Dreifachzaun bereits auf einem nur fünfzig Hektar großen Eingewöhnungsgelände. Die dort lebenden drei Wisentbullen und sieben Przewalski-Pferde haben bislang keine Ausbruchsversuche gemacht. Und innerhalb des Zauns leisten die Tiere ganze Arbeit. Baumschößlinge kommen dort allenfalls noch im Schutz dichter Brombeer-, Rosen- oder Weißdornhecken hoch, vor denen die empfindlichen Mäuler zurückschrecken. Ansonsten aber haben die Bäumchen keine Chance gegen einen hungrigen Wisent, der bis zu einer Tonne auf die Waage bringen kann, oder einen immerhin bis zu 300 Kilogramm schweren Przewalski-Hengst. Statt mit 45 Tonnen Panzerstahl lässt die Heide sich also auch mit ein paar hundert Kilogramm Pflanzenfresser offenhalten.

 Roland Knauer

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