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Auf einer beweglichen und sich stetig aktualisierenden Wand nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Problemen der Gegenwart Stellung.

© Visualisierung: Schnelle Bunte Bilder

Eröffnung des Humboldt Labors im Januar: Auge in Auge mit der Wissenschaft

Am 7. Januar öffnet das Humboldt Labor - zunächst digital. Dort präsentieren sich auch die vier Exzellenzcluster der Freien Universität.

Nur noch wenige Wochen bleiben für den letzten Schliff: Am 7. Januar muss alles fertig sein, denn dann öffnet das Humboldt Labor, wenn auch vorerst nur in Form einer digitalen Preview. In den neuen Räumen des Humboldt Forums im Berliner Schloss werden in der Ausstellung „Nach der Natur“ nicht nur Objekte aus den Universitätssammlungen zu sehen sein, mit denen sich Forscherinnen und Forscher in Berlin seit mehr als 200 Jahren befassen. Die Besucherinnen und Besucher werden, wenn sich die Türen öffnen, zudem aktuelle Forschung erleben können. So zeigen die vier Exzellenzcluster, an denen die Freie Universität Berlin beteiligt ist, und drei Cluster anderer Universitäten und weitere Forschungseinrichtungen in Berlin, woran Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesen Forschungsverbünden arbeiten: Formen der Zusammenarbeit sollen ebenso sichtbar werden wie Methoden. Aktuelle Forschung im Museum vermitteln? Wissenschaftliche Debatten übersetzen? Methoden und die Aussagekraft erhobener Daten erklären? Wie kann das gelingen?

Auf einer monumentalen Multimedia-Installation wird die Arbeit präsentiert

Davon, dass Wissenschaft ins Museum gehört, ist Marianne Braig, Professorin für Politikwissenschaft am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin überzeugt. In ihrer Forschung sowie als Mitglied des sozial- und geisteswissenschaftlichen Exzellenzclusters „Scripts“, welches Regionalforschung einbezieht, forscht sie unter anderem zu multidimenisionalen und verflochtenen Ungleichheiten in Lateinamerika – etwa zwischen den Geschlechtern, ethnischen Gruppen oder im Zugriff auf Ressourcen. Sie wirkt mit an einer großen, beinahe monumentalen Multimedia-Installation im Humboldt Labor, auf der die Arbeit des Clusters, dessen Thema die gegenwärtigen Herausforderungen des Liberalismus sind, vorgestellt wird. Doch nicht abgeschlossene Ergebnisse oder fertige Wahrheiten werden präsentiert, erzählt Marianne Braig, sondern vielmehr, „wie um Wissen und Erkenntnis gerungen“ werde. Hierfür werden auf der 25 Meter langen und rund fünf Meter hohen Installation aus fahrbaren Rollos in sieben Szenen die Aussagen von Forscherinnen und Forschern projiziert, aber auch Bilder und Social-Media-Inhalte zu aktuellen Fragen und Themen. Eine dynamische Tafel, die sich immer wieder selbst überschreibe, erklärt Cordula Hamschmidt, die als Koordinatorin am Knowlegde Exchange Lab des Clusters die Einrichtung der Installation begleitet. 

Die Wissenschaftler brauchen Mut zum Erzählen

Der Schritt in die Öffentlichkeit war für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht einfach, denn es ging auch um einen Medienwechsel: ein einminütiges Statement statt einer Monographie oder eines Aufsatzes. Ohne Fußnoten und Referenzen. „Man braucht den Mut zum Anerzählen und zum Verdichten“, sagt Cordula Hamschmidt. Doch für den Cluster sei es zentral gewesen, die Überlegungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der akademischen Welt herauszuholen und in einen öffentlichen Raum zu übersetzen. „Denn die Fragen gehen alle an.“

Die Apparatur des Exzellenzclusters Neuro Cure ermöglicht die synchrone Messung von acht Nervenzellen.

© Neuro Cure

Unter den insgesamt elf Cluster-Mitgliedern, die auf der „Wand“ zu Wort kommen, ist auch Christoph Möllers. Der Professor für Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin hat vor Kurzem eine Studie zum Liberalismus vorgelegt: „Wir diskutieren den Liberalismus im Moment ein bisschen wie ‚die gute Ordnung‘“, sagt er. Aber sei das wirklich richtig? „Das Anliegen müsste immer sein, dem Ganzen die Selbstverständlichkeit zu nehmen“, meint er. „Je stärker man nachgräbt, desto unsicherer wird dann der Grund, auf dem man steht.“ Das „Kaleidoskop“ der Installation sei dabei vielleicht sogar eine kongeniale Form, um diese Überlegungen umzusetzen „mit einem Totalitätsanspruch einerseits und gleichzeitig mit der Erfahrung, dass man das gar nicht im Ganzen erfassen kann.“ So sei es bei den großen Forschungsverbünden letztlich auch.

Die "Wand" wird auch auf Forschende zurückwirken 

Mehrere Jahre lang wurde an diesem Projekt gearbeitet, Marianne Braig war von Anfang an dabei; nun freut sie sich auf die Premiere und bedauert, dass wegen der Pandemie keine gemeinsame Feier möglich ist, keine gemeinsame Betrachtung des Projekts. Denn genauso, wie die „Wand“ bei Besucherinnen und Besuchern Prozesse der Selbstreflektion anstoßen soll, wird es auch auf die Forscherinnen und Forscher zurückwirken, meint sie.

Neben Installationen und Videos werden im Humboldt Labor aber auch reale Objekte zu sehen sein, ganz klassisch in Vitrinen. Diese hängen allerdings von der Decke und können bei Bedarf hochgezogen werden, um Raum für eine Veranstaltungsfläche zu schaffen, die nun vorerst ausschließlich für Hybridveranstaltungen genutzt wird. Zu insgesamt 16 dieser Objekte oder Objektgruppen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem literaturwissenschaftlichen Cluster „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspektive“ Hörstücke vorbereitet, die den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung als Audioguide zur Verfügung stehen. „Zugetextet“ heißt das Projekt der Postdoktorandinnen und Postdoktoranden. Eine von ihnen ist die promovierte Lateinamerikanistin Jasmin Wrobel, sie hat sich mit insgesamt drei Objekten auseinandergesetzt. Darunter ist etwa eine Kinderbibel aus der Colonia Dignidad in Chile, ein verstörendes Objekt, das der Humboldt-Universität zu Berlin von einem ehemaligen Sektenmitglied überlassen wurde.

In der Eingangshalle des Humboldt Forums werden auch Aktionen im Humboldt Labor angekündigt.

© Visualisierung: Ali Hossaini

„Ihre“ Objekte berührten ihre Forschung am Cluster „Temporal Communities“, sagt die Literaturwissenschaftlerin: So illustriere etwa die Bibel einerseits die „Zirkulationsgeschichten von Texten“, die im Mittelpunkt des Forschungsbereichs am Cluster steht, dem sie angehört. Andererseits sei das zensierte Buch „Zeugnis für die multiplen Dimensionen von Gewalt in der Colonia Dignidad“. „Für mich war die Form des Audio-Beitrags eine völlig neue Form des wissenschaftlichen Ausdrucks“, sagt Jasmin Wrobel. 

Objekte werden kommentiert, kontrastiert und mit Wissen angereichert

Auch die anderen am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forscher haben sich mit Objekten auseinandergesetzt, die sie jeweils ansprachen. Durch Literaturauszüge, Musik und Interviews werden die Objekte nun in den Beiträgen kommentiert, kontrastiert und mit Wissen aus der Forschung angereichert, wie die promovierte Archäologin Petra Wodtke erklärt. Sie hat das Projekt als Koordinatorin des „Berlin Partners Network“ des Clusters konzipiert. Zu den „zugetexteten“ Objekten gehört auch ein Feuchtpräparat des Blinddarms von Friedrich Ebert, der 1925 an einer Entzündung desselben starb, oder eine Sammlung historischer Computer. „Die Beiträge können vor der Vitrine im Museum gehört werden, genauso gut kann man sie aber als eigenständigen Beitrag zu Hause nachhören“, erklärt Petra Wodtke. Wenn nun nach der Eröffnung die ersten Besucherinnen und Besucher mit Kopfhörern durch die Ausstellung spazieren, sei es nur schade, finden die beiden Wissenschaftlerinnen, dass es keine Rückkopplungsschleife gibt und sie deshalb nicht umgekehrt erfahren, welche Gedanken die Audio-Stücke auslösen.

Ein realistisches Bild der Wissenschaft - auch der Hirnforschung

Mit dem wohl komplexesten Organ, dem menschlichen Gehirn, beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Clusters „NeuroCure“ an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich von Freier Universität und Humboldt-Universität zu Berlin. Vor der großen Herausforderung, seine Arbeit anschaulich und nachvollziehbar zu machen, stand das Team aus Claudia Mahlke, Cluster-Geschäftsführerin und promovierte Neurowissenschaftlerin, Linda-Faye Tidwell, Verantwortliche für Kommunikation, und dem Postdoktoranden Prateep Beed. „Wir wollen ein realistisches Bild von Wissenschaft zeigen“, sagt Linda-Faye Tidwell. In Videobeiträgen werden zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin deshalb in ihrem Forschungsalltag gezeigt. Dieser kann sehr herausfordernd sein, wenn man beispielsweise tage- oder manchmal auch jahrelang auf Ergebnisse warte, wie David Oswald, einer der Porträtierten, im Film reflektiert: „Als Forscher finde ich es am schwierigsten, dass meine Ungeduld manchmal sehr langsam gestillt wird. Man muss oft scheitern, um zum Ziel zu kommen.“ 

Das Zusammenspiel von Nervenzellen betrachten

Ein anderes Multimedia-Angebot zeigt, wie die Forscherinnen und Forscher arbeiten, welche Methoden sie verwenden, um einzelne Nervenzellen, das Zusammenspiel von Nervenzellen oder Aktivität im ganzen Gehirn zu betrachten. Wie misst man und welche Aussagekraft haben die Messungen? Wie lassen sich Fragen über Krankheiten, Verhalten oder Gedächtnis überhaupt in experimentelle Anordnungen übersetzen? Dieses Angebot hat sich das Team zusammen mit Prateep Beed ausgedacht, der sich neben seiner Arbeit als Forscher seit seiner Promotion für Wissenschaftskommunikation einsetzt. Nach Jahren der Vorbereitung und fast zwölf Monaten intensiver Arbeit wird alles als Forschungsstation zusammengesetzt – konkret als eine große dreidimensionale Gitterstruktur, in die Monitore eingehängt sind. Und auch, wenn dem Team immer wieder Zweifel kamen angesichts der Komplexität der modernen Gehirnforschung und der Fülle und Vielfalt der Forschungsansätze im Cluster, was sich wirklich begreifbar aufbereiten lässt, freuen sie sich nun auf die Eröffnung: „Wir haben im Museum andere Möglichkeiten, Menschen zu erreichen“, sagt Claudia Mahlke. Wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Clustern überlegen sie schon jetzt, wie sie ihre Angebote aktualisieren können. Die Eröffnungsausstellung soll zunächst drei Jahre lang zu sehen sein.

Jedes Cluster zeigt nur eine Auswahl

Eine Auswahl aus seinen vielen Projekten musste auch der Cluster „MATH+“ treffen, ein großes Verbundforschungsprojekt der angewandten Mathematik, das von den drei großen Berliner Universitäten und zwei außeruniversitären Instituten gemeinsam getragen wird. „Wir können nur einen geringen Teil von dem zeigen, was wir machen“, sagt Christof Schütte, seit Mitte November amtierender Cluster-Sprecher und Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin und Präsident des Zuse-Instituts Berlin. „Wir arbeiten zu komplexen Systemen mit vielen verschiedenen Entitäten“, erklärt er. „Das können molekulare oder zelluläre Systeme sein, aber auch Verkehrsnetze oder sogar ganze Gesellschaften.“ Im Humboldt Labor soll dargestellt werden, wie Mathematik zum Verständnis solcher Systeme beiträgt. So wird etwa erklärt, wie man mithilfe von Mathematik Schmerzmedikamente designen kann, die weniger Nebenwirkungen haben. Der Cluster wird in einem Video vorgestellt, auf das Besucherinnen und Besucher stoßen werden, wenn sie einen großen virtuellen Fischschwarm passiert haben, der sie in jenen Bereich des Foyers geleiten soll, in dem sich die Exzellenzcluster vorstellen.

Auch die anderen sechs Cluster – zu so unterschiedlichen Themen wie Künstliche Intelligenz, Katalyse oder „aktive Materialien“ – werden mit jeweils einem Video vertreten sein. Die Chance der Ausstellung könnte auf diese Weise darin liegen, dass die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit haben, ein weites Spektrum vollkommen unterschiedlicher wissenschaftlicher Herangehensweisen kennenzulernen – von den Naturwissenschaften oder der Mathematik bis hin zu geistes- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Die Beiträge der Cluster vermitteln neue Erkenntnisse und tiefe Einblicke, aber bewirken auch Verunsicherung und liefern Denkanstöße. Ob im Januar vorab im Internet oder wenn die Ausstellung im Frühjahr tatsächlich zugänglich sein wird, können sich alle Besucherinnen und Besucher auf aufregende Begegnungen mit der Berliner Wissenschaft freuen.

Die Ausstellung „Nach der Natur“ wurde unter der kuratorischen Leitung von Gorch Pieken im Humboldt Labor vorbereitet und wird vom 7. Januar an so weit wie möglich digital zugänglich gemacht. Das Humboldt Labor ist ein Projekt der Humboldt-Universität im Humboldt Forum gemeinsam mit anderen Wissenschaftseinrichtungen in Berlin sowie den Exzellenzclustern von Freier Universität, Humboldt-Universität, Technischer Universität und der Charité.

Aktuelle Angaben zur Eröffnung unter: www.humboldt-labor.de/de/labor.

In der Vortragsreihe „MitWissenschaft“ der Akademie im Humboldt Forum soll künftig jeweils donnerstags, 19 Uhr, die Arbeit der Berliner Exzellenzcluster vorgestellt werden. Der Start der Reihe ist für Ende Januar 2021 geplant. Die genauen Termine können Sie der Webseite des Humboldt Forums entnehmen: www.humboldtforum.org/de

Nina Diezemann

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