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Bildung: Schüler als Kunden

In Schweden fahren Konzerne als Träger freier Schulen Gewinne ein - aus Steuergeld. Sie locken ihre Kundschaft auch mit guten Noten bei magerer Leistung.

In der schwedischen Fernsehserie „Schwedens beste Scheißschule“ jagt der Reporter zu den „Money, Money“-Klängen von „Abba“ in seinem alten Volvo öffentlichkeitsscheue Besitzer freier Schulen. Tenor der Reportage: Auf Kosten der Schüler bereichern sich Konzerne als Träger freier Schulen, statt gute Ausbildung anzubieten. Die befragten Schüler bestätigen, im Unterricht Computerspiele zu spielen und viel bessere Noten zu bekommen, als sie verdienen. Trotz Kritik der staatlichen Schulaufsicht eröffnen oder kaufen die Konzerne neue Schulen im Eiltempo, erfährt der Zuschauer.

Was ist da los in der schwedischen Bildungslandschaft? Schulen in freier Trägerschaft, friskolor genannt, gibt es schon seit 1992. Unter der damaligen liberal-konservativen Regierung des heutigen Außenministers Carl Bildt wurden Wahlfreiheit und Wettbewerb im staatlichen Schulwesen eingeführt. Schüler und Eltern erhielten das Recht, zwischen kommunalen und freien Schulen zu wählen, beide sind gleichwertig mit öffentlichen Mitteln finanziert. Durch die Konkurrenz um die Schüler wollte man mehr Kosteneffektivität und bessere Qualität in der Ausbildung erreichen. Besondere pädagogische Profile und Alternativen zur Einheitsschule sollten auf die staatlichen Schulen rückwirken. Auch die Gründung religiöser Freischulen war und ist möglich, sofern sie von religiösen Gruppierungen nicht zur Indoktrination und Abschottung benutzt werden.

Inzwischen ist jede fünfte Gesamtschule und jedes zweite Gymnasium eine Schule in freier Trägerschaft. Die Kundenzufriedenheit bei Eltern und Schülern ist vor allem im Vorschul- und Gesamtschulbereich hoch. Eine aktuelle Studie zu den Auswirkungen des Ausbaus der freien Schulen problematisiert allerdings die Schulwahl. Es gebe keine verlässlichen Qualitätskriterien und ein gewisses Risiko, dass Eltern und Schüler sich für die Kombination von minimalem Aufwand und besten Noten entscheiden. Nennenswerte Unterschiede in der Bewertung von Schülerleistungen zwischen den freien und den staatlichen Schulen lassen sich jedoch nicht ausmachen.

Weil die Zeugnisse von größter Bedeutung für den Zugang zu attraktiven Gymnasial- und Hochschulausbildungen sind, wird auf die Lehrer in beiden Systemen von Schülern und Eltern enormer Druck ausgeübt. Der Inflation guter Noten stehen in den letzten Jahren generell schwächere Schülerleistungen gegenüber. Um die Bewertung gerechter und differenzierter durchführen zu können, wurde gerade das dreistufige durch ein sechsstufiges Notensystem ersetzt.

Die Konkurrenzsituation zwingt die kommunalen und freien Schulen zu erheblichen Marketinganstrengungen. Wochen vor der Schulwahl hängen in Bussen und Bahnen Werbeplakate mit lockenden Botschaften, in Hochglanzbroschüren stellen Schulen ihr Profil vor und präsentieren sich auf Messen. Einzelne Freischulen investieren bis zu einer Million Kronen jährlich in die Werbung.

Inzwischen sind Risikokapitalgesellschaften in das attraktive Geschäft mit den Schulen in privater Trägerschaft eingestiegen. „John Bauer“ ist solch ein Konzern mit Gymnasien an über 30 Orten, inzwischen wurde er von einem Unternehmen in Dänemark aufgekauft. Nach Aussage des Verbandes der freien Schulen ist eine durchschnittliche Rendite von jährlich bis zu acht Prozent möglich. Die Gewinne stammen aus Steuergeldern. Denn für jeden Schüler zahlt die jeweilige Gemeinde einen festen Betrag, der zwischen 4000 und 7000 Euro pro Jahr liegt, unabhängig davon, ob junge Schweden eine staatliche oder freie Schule besuchen. Schulgebühren sind in Schweden tabu.

Quer durch die politischen Parteien finden die Freien große Zustimmung, nur an den Gewinnen scheiden sich die Geister. Lediglich die Linken sind grundsätzlich gegen Freischulen, Grüne und Sozialdemokraten wollen zunehmend, dass die Gewinne wieder in die Schulen investiert werden, während die bürgerliche Regierung dies den Unternehmen nicht vorschreibt. Für Bildungsminister Jan Björklund darf aber Gewinn nicht vor Qualität gehen. „Wenn eine Schule auf Bibliotheken, Laufbahnberatung und Krankenschwestern verzichtet oder anderweitig ihren Auftrag nicht erfüllt, muss man ihr nach Überprüfung Geldstrafen auferlegen oder sie im schlimmsten Fall schließen.“

Metta Fjelkner, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Lärarans Riksförbund, fordert die profitablen Unternehmen auf, die Lehrergehälter zu erhöhen, die zu den niedrigsten in Europa gehören. „Wenn die freien Schulen für einige Lehrer die Gehälter um rund 1000 Euro im Monat erhöhen würden, würde dies auch Druck auf die Löhne an den kommunalen Schulen ausüben.“

Kritiker des schwedischen Bildungssystems wie der Ideenhistoriker Sven Eric Liedman verurteilen die Möglichkeit, Gewinne mit Steuergeldern zu erzielen. Er fordert eine Verstaatlichung der Schulen. „Wir haben eine chaotische Vielfalt von Schulen, die alles tun, um Schüler anzulocken, was in reicheren Gegenden einfacher gelingt als in ärmeren. Die Schule in Schweden trägt heute dazu bei, Klassenunterschiede zu zementieren oder gar zu verstärken.“

Aus der Sicht der Regierung ist der Ausbau der freien Schulen wegen der Wahlfreiheit und der verbesserten Qualität der Ausbildung ein Fortschritt. Ein neues Gesetz erhöht die Anforderungen an die Schulen und gibt der Schulinspektion mehr Befugnisse, gegen schwarze Schafe vorzugehen. Dass nicht alles im Lot ist, belegt die Einrichtung eines parlamentarischen Ausschusses, der angesichts der neuen Besitzstrukturen in der Schullandschaft Regeln und Bedingungen genauer definieren soll. Dies scheint dringend nötig. Bildungsminister Jan Björklund fühlte sich vor Wochen vorgeführt, als im Internet eine Lizenz zum Start einer freien Schule in Malmö zum Ausgangspreis von rund 50 000 Euro angeboten wurde.

Der neue Käufer brauchte nur noch Lokale und geeignetes Personal zu finden. Eine Gesetzeslücke ermöglicht den Weiterverkauf einer Schule ohne Kontrolle durch die Schulaufsicht. Die Idealisten unter den Trägern freier Schulen verlangen, dass die Regierung untersucht, wie sich die Übernahme der einst häufig von Lehrern und Rektoren gegründeten Schulen durch die Risikokapitalgesellschaften auf die Qualität des Unterrichts auswirkt.

Beim Landesverband der freien Schulen beklagt man inzwischen die strengeren Routinen der Schulinspektion und befürchtet auch für seriöse Schulträger ein Moratorium bei der Zulassung neuer freier Schulen. Vor dem nächsten Schuljahr wurden nur noch 24 Prozent der Zulassungsanträge ganz oder teilweise genehmigt, so wenig wie nie zuvor.

Gerhard Austrup

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