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Wissen: Chemie der Bibel

Die Qumranrollen sind die ältesten Schriften des Alten Testaments. Nun werden Fragmente in Berlin analysiert

An einem heißen Tag im Frühjahr 1947, diese Woche vor genau 60 Jahren. Nomadische Wüstenbewohner – Beduinen – ziehen mit ihren Herden an den Hängen am Ufer des Toten Meeres entlang, 1,3 Kilometer nördlich einer Ruinenstätte namens Qumran.

Einem der Beduinen, Mohammed Ad- Dib, ist eine Ziege entwischt, und der Mann zieht los, um das verirrte Tier einzufangen. Unterwegs wirft er einen Stein in eine Höhle. Es scheppert. Offenbar hat der Stein einen Tonkrug zerschlagen. Ob sich da ein Schatz verbirgt? Der Hirte sieht nach und entdeckt – nichts als verstaubte Schriftrollen.

Enttäuscht nimmt er die Schriftrollen mit nach Hause. Erst nach und nach wird klar, dass er tatsächlich einen Schatz gefunden hat, und was für einen: Auf den Pergamentrollen stehen – unter anderem – Bibeltexte, Handschriften des Alten Testaments. Wie Datierungen ergeben, stammen sie aus einer Zeit kurz vor der Entstehung des Christentums (zwischen dem 3. Jahrhundert vor Christi Geburt und dem Jahr 68, als die Römer Qumran zerstörten).

Der Zufallsfund des Beduinen hat sich als eine der größten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte herausgestellt: Seither hat man in den Höhlen der Umgebung Qumrans an die 1000 Manuskripte gefunden, meist in viele kleine Schnipsel zerteilt. „Der Großteil ist sehr schlecht erhalten“, sagte die Physikerin und Restauratorin Ira Rabin vom Israelischen Nationalmuseum am Dienstag in der Berliner Staatsbibliothek. Rabin hat, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Materialforschung, das vergangene Jahr im Keller der Staatsbibliothek damit verbracht, zwei der insgesamt Tausende von Qumran-Fragmenten genauer unter die Lupe zu nehmen. Und zwar chemisch.

„Grafologen glaubten, dass diese beiden Fragmente zu einem Schriftstück gehören“, sagte Oliver Hahn von der Bundesanstalt für Materialforschung. „Unsere Analyse aber ergab, dass sich die Stücke chemisch unterscheiden. Das heißt, sie gehören nicht zusammen.“

Im Keller der Berliner Stabi steht ein kleines Röntgengerät, „ähnlich groß wie das Röntgengerät beim Zahnarzt“, sagt Hahn und drückt einen Knopf. Auf einer Platte liegt eines der beiden Schriftstückfragmente, 3,5 mal 2 Zentimeter groß. 50 Sekunden lang schießt ein Röntgenstrahl durch das Pergament. „Die Röntgenstrahlen treffen auf die Probe, die daraufhin zurückstrahlt“, sagt Hahn. „Anhand des Strahlungsmusters können wir bestimmen, welche Elemente sich im Pergament oder in der Tinte befinden, Brom zum Beispiel oder Eisen.“ Auf diese Weise lässt sich bestimmen, ob zwei Fragmente chemisch ähnlich oder verschieden sind. Mit Hilfe dieser Methode haben die Forscher auch schon die weltweit größte hebräische Bibel („Erfurt 1“), die im Jahr 1343 fertiggestellt wurde, untersucht und festgestellt, dass ihre Pergamentseiten mit unterschiedlichen Tinten beschriftet wurden – ein Hinweis auf unterschiedliche Autoren.

Es geht den Forschern aber nicht nur darum, eine Methode zu entwickeln, mit der sich alte Pergamentseiten chemisch analysieren lassen, sondern auch darum, herauszufinden, wie man den Zerfall der kostbaren Altertumsschätze aufhalten könnte. „Wir haben uns auch deshalb diese beiden Fragmente ausgesucht, weil sie bereits sehr stark zerfressen sind, und wir wollten wissen, woran das liegt“, sagt Hahn. „Wie sich zeigte, ist es die Tinte selbst, die das Pergament Stück für Stück auffrisst.“ Hahn sucht nun nach einem Weg, diese schleichende „Selbstzerstörung“ zu stoppen, indem er die Tinte chemisch entschärft.

Die chemische Analyse der Qumranfragmente könnte vielleicht auch klären, woher die Schriftstücke ursprünglich stammen und vor allem: Wer sie geschrieben hat. Stammen sie tatsächlich von Qumran oder wurden sie nachträglich dorthin geschleppt und gelagert? Laut einer Theorie beherbergten die Höhlen von Qumran eine Bibliothek der Essener – eine religiöse Sekte des Judentums, die sich im zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt gründete. „Westlich vom Toten Meer wohnen die Essener“, berichtet der römische Schriftsteller Plinius Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus. „Ein einsames und wunderliches Volk. Es lebt ohne Frauen, ohne Geld und nur in Gemeinschaft seiner Palmen.“

Oder hat man die Rollen erst später in die Höhlen gebracht, um sie dort zu verstecken, vielleicht vor den Römern? Stammen sie aus der Tempelbibliothek in Jerusalem? Niemand kennt bislang die Antworten.

Vielleicht liegen sie ja in der Chemie des Pergaments verschlossen.

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