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Optik: Das geht unter die Netzhaut

Auf einem Kongress in Berlin berieten in der letzten Woche Augenärzte darüber, wie die Lebensqualität im Alter gesteigert werden kann. Ein wichtiger Punkt war der Kampf gegen Altersblindheit. Neue Medikamente können dabei helfen.

Was fürchten Sie am meisten, wenn Sie an Ihr Alter denken? Alzheimer, Krebs oder Schlaganfall? Viele Menschen denken bei dieser Frage auch ans Erblinden – denn die Gefahr, das Sehvermögens teilweise oder vollständig zu verlieren, nimmt mit dem Alter drastisch zu. Inzwischen ist in den reichen Ländern, in denen die Lebenserwartung gestiegen ist, eine altersabhängige Veränderung der Netzhaut zur häufigsten Ursache für das Erblinden geworden. Die Makuladegeneration war denn auch eines der Themen beim diesjährigen Kongress der deutschen Augenärzte, der in der letzten Woche im Berliner Estrel stattfand. Sie hatten diesmal bewusst das Thema Lebensqualität in den Mittelpunkt gestellt. Denn das die im Alter stark abnimmt, hat gerade eine Erhebung in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien belegen können.

Bei der altersabhängigen Makuladegeneration (AMG) gehen Sinneszellen an der Stelle des schärfsten Sehens im Bereich der Netzhaut zugrunde. Leidet diese Macula lutea, der „gelbe Fleck“, dann kann es nach und nach unmöglich werden zu lesen, Auto zu fahren, aber auch Gesichter zu erkennen. Bei der „feuchten“ Form der Makuladegeneration bilden sich in der Aderhaut des Auges Gefäße neu und wuchern in das Gewebe hinein. „Sie sondern Flüssigkeit in die Netzhaut ab und zerstören so die Sinneszellen“, sagte Frank Holz, Leiter der Bonner Uni-Augenklinik und Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.

Der Teufel steckt im Detail

Die feuchte Form ist die seltenere Variante – doch zugleich diejenige, die inzwischen durch Medikamente zwar nicht geheilt, aber wenigstens aufgehalten werden kann. Einer der Eiweißstoffe, die die Bildung neuer Blutgefäße verursachen, der „Vascular Endothelial Growth Factor“, wird bei dieser Behandlung blockiert, für die der Wirkstoff in den Glaskörper des Auges gespritzt werden muss. „Studien haben gezeigt, dass 95 Prozent der Patienten, die über zwei Jahre behandelt wurden, ihre Sehschärfe halten konnten, mehr als ein Drittel hatte sogar Verbesserungen zu verzeichnen“, berichtete Hendrik Scholl von der Uni Bonn. Zugleich stieg natürlich auch die Lebensqualität der Behandelten. Bei den Teilnehmern der Kontrollgruppe hatte sich in diesem Zeitraum die Sehschärfe dagegen verschlechtert.

Dass diese Therapie hilft, ist inzwischen unbestritten, allerdings scheint der Teufel im Detail zu stecken. Denn es bleibt die Frage, ob statt des teuren, aber zugelassenen Wirkstoffes Ranibizumab (Handelsname: Lucentis) auch der preisgünstigere enge Verwandte Bevazizumab (Handelsname: Avastin) zum Einsatz kommen darf. Dieses Mittel ist bisher nur zur Behandlung von Krebs zugelassen. Zwar laufen Vergleichsstudien, „aber wir werden noch Jahre warten müssen, bis die Ergebnisse vorliegen“, sagte Scholl beim Kongress. So lange bewegen sich Augenärzte im Bereich des „Off-Label-Use“, wenn sie Bevazizumab verschreiben. Und auch die Patienten sind verunsichert, nicht zuletzt wegen der Bezahlung. „Es ist zum Heulen, aber mittlerweile geht ein Drittel unserer Zeit für Gespräche über diese Fragen drauf“, sagte Scholl.

Wie oft sollen die Mittel gespritzt werden?

Unsicherheit besteht auch in der Frage, wie oft die Mittel gespritzt werden sollen. Zunächst bekommen die Patienten drei Spritzen, jeweils im Abstand von vier Wochen. Unklar ist jedoch, ob nach dieser Phase der „Aufsättigung“ die Abstände der Injektionen auch länger sein können. Das könnte nicht nur helfen, Kosten zu sparen, sondern auch das Risiko für Nebenwirkungen verringern. Eine Studie im „American Journal of Ophthalmology“ (Band 145, S. 239) hat gezeigt, dass die Ergebnisse schlechter ausfallen, wenn die Spritzen nach der intensiveren Anfangsphase nur alle drei Monate gegeben werden. „Vor allem wenn die genaue augenärztliche Kontrolle in der Zwischenzeit nicht sichergestellt ist, sollte im Zweifelsfall häufiger gespritzt werden“, meint Scholl. Eine weitere Frage für die Forschung sei, ob die Spritzen besser wirken, wenn sie mit der schon länger praktizierten photodynamischen Therapie kombiniert werden.

Statt das Eiweiß, was zur ungehinderten Bildung neuer Blutgefäße führt, erst im letzten Moment abzufangen, möchten die Augenärzte am liebsten verhindern, dass es sich überhaupt bildet. „Wir möchten mit dem molekularbiologischen Verfahren der RNS-Interferenz das Gen außer Gefecht setzen, das für die Bildung des Eiweißes verantwortlich ist“, sagte Holz. Doch das ist noch Zukunftsmusik.

Abgestorbene, vernarbte Zellen können nicht wieder zum Leben erweckt werden

Gegen die weit häufigere „trockene“ Form der AMD gibt es derzeit überhaupt noch kein Mittel. Dabei bilden sich unter der Netzhaut stoffwechselbedingte Ablagerungen – auch Drusen genannt. Immerhin wird in den USA gerade der Wirkstoff Fenretinide an Patienten getestet, in den Forscher nach Versuchen an Mäusen einige Hoffnung setzen. Fenretinide wird ebenfalls schon in der Krebstherapie eingesetzt. Es soll, als Kapsel geschluckt, Abkömmlinge des Vitamin A aus den Photorezeptoren des Auges herausschleusen und so „Stoffwechselmüll“ entsorgen, der die lichtempfindlichen Sinneszellen schädigt. Solche Ablagerungen, die Gift für das Auge sind, können mittels einer lasergestützten Fluoreszenzmethode sichtbar gemacht werden, die an der Uni Bonn entwickelt wurde. Dort werden auch alle Bilder der Teilnehmer der US-Studie verglichen. Umso enttäuschender, dass die Studie keine europäischen Patienten einschließt. In fünf deutschen Zentren startet allerdings demnächst eine Untersuchung mit bis zu 1000 Patienten, die mit einer einjährigen Beobachtungsphase beginnt. Die Sponsor-Firma Alcon stellt in Aussicht, dass die Teilnehmer im Anschluss direkt ein neues Mittel in einer klinischen Studie testen können. „Was das sein wird, ist aber noch topsecret“, sagt Scholl.

Früherkennung ist bei der AMD generell wichtig, weil abgestorbene, vernarbte Zellen der Netzhaut nicht wieder zum Leben erweckt werden können. Die einzige Chance besteht also darin, den Abbau zu bremsen. „Wir versuchen, die altersbedingten Veränderungen der Makula zu verschieben, so dass die Betroffenen sie möglichst gar nicht mehr erleben“, sagte Daniel Pauleikhoff vom Franziskus-Hospital in Münster. Dabei könnten Stoffe helfen, die in Obst, Gemüse und Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sind: Eine in den USA durchgeführte Studie hat jedenfalls gezeigt, dass hohe Tagesdosen an Antioxidantien und Zink den Verlauf der trockenen AMD-Form in der Frühphase ein wenig bremsen können.

Augenarzt Peuleikhoff rät zusätzlich zu einer Portion Gelassenheit: „Auf eine Frühform der AMD muss nicht notwendigerweise die Spätform folgen, und Ablagerungen unter der Netzhaut müssen auch zunächst nichts Schlimmes bedeuten.“

Adelheid Müller-Lissner

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