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Kinder stimmen bei Jugendbundestagswahl ueber Parteien ab

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Demokratie-Erziehung: Führerschein für Jungwähler

Das Wahlalter senken? Erziehungswissenschaftler nennen Bedingungen: Die jugendlichen Wähler sollten in einer Prüfung nachweisen, dass sie politisch informiert sind, fordert etwa Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-PIanck-Institut für Bildungsforschung.

Kinder und Jugendliche haben keine Wahl. Zwar sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes“, heißt es im Grundgesetz. Aber wahlberechtigt ist eben nur, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat. An dieser Hürde werden auch bei der Bundestagswahl am kommenden Sonntag rund 12,8 Millionen Staatsbürger scheitern. Rund 17 Prozent der knapp 75 Millionen Deutschen dürfen weder mitwählen noch sich von ihren Eltern – wie sonst üblich – vertreten lassen.

Dabei spricht schon das schwindende politische Gewicht der Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik dafür, ihnen mehr Mitsprache einzuräumen. Denn der demografische Wandel lässt die jungen Staatsbürger zunehmend ins Hintertreffen geraten; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung schwindet stetig. 1990 gab es noch rund 13,8 Millionen unter 18-Jährige – etwa eine Million mehr als heute. Auf weniger Junge aber braucht weniger Rücksicht genommen zu werden.

Am andere Ende der Bevölkerungspyramide nimmt der Anteil der über 60-Jährigen zu. Lebten 2004 noch knapp 15,4 Millionen Deutsche und Ausländer dieser Altersgruppe in der Bundesrepublik (18,6 Prozent der Gesamtbevölkerung), waren es 2007 bereits 16,5 Millionen (20,1 Prozent). Wenn Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) die zwanzig Millionen Rentner auch in wirtschaftlich schweren Zeiten vor Kürzungen bewahrt, hat das sehr viel mit der Übermacht der Alten zu tun.

Die politischen Konsequenzen der vergreisenden Gesellschaft sind enorm. Es ist ein Unterschied, ob jeder Hundertste über 80 Jahre alt ist wie 1950 oder fast jeder zwanzigste wie heute. Der demografische Wandel verändert das Lebensgefühl und die Märkte – und er wird den Ausgang von Wahlen stark beeinflussen.

Dabei schützt Alter keineswegs vor Torheit. So mancher 80-Jährige wird sich vor der Stimmabgabe weniger gut informieren als 16-jährige Gymnasiasten, die in der Schule gerade das politische System Deutschlands durchnehmen. Ohnehin aber gilt: Wenn nur gut informierte Parteiprogramm-Leser ihre Stimme abgeben dürften, läge die Wahlbeteiligung wohl unterhalb der Fünfprozentmarke. Die eigentliche Frage ist eine andere: Warum sollen nur Volljährige wählen – außer in sechs Bundesländern, wo bei Kommunalwahlen bereits 16-Jährige mittun dürfen?

Immerhin hat sich der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, dafür ausgesprochen, das Wahlalter generell von 18 auf 16 Jahre zu senken – wie in Österreich. Eine Wahlentscheidung könne man „bereits mit 16 Jahren treffen“. Immerhin entschieden Jugendliche auch darüber, welchen Beruf sie ergreifen oder welcher Religionsgruppe sie angehören wollen.

„Jeder Jugendliche, der die Grundlagen der Demokratie versteht, sollte das Recht haben zu wählen“, sagt auch Gerd Gigerenzer, Psychologe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. „Dazu sollte ein Test angeboten werden, wie ein Führerschein, aber ohne Altersbeschränkung.“ Das würde „das Wählen attraktiver machen und besser informierte junge Menschen zur Folge haben“.

Als Grundproblem allerdings nennt Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin von der Universität Bonn, dass es keinen Stichtag für das richtige Wahlalter gibt. Am Vorabend des 18. Geburtstags gelte man offiziell als „wesentlich unreifer als am Tag danach – an dem man wählen darf“. Besser fände es Ladenthin, „wenn man jedem Menschen von Geburt an ein Stimmrecht zugesteht, das bis zum 18. Lebensjahr die Erziehungsberechtigten wahrnehmen“. Eltern könnten dann mit ihren Kindern ab einem bestimmten Alter darüber sprechen, wie und warum sie so für sie abstimmen.

Eine provozierende Ansicht vertritt Wolfgang Bergmann, der das Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie (IFL) in Hannover leitet. „16-Jährige werden in unseren Bildungssystemen an allen Ecken und Enden überfordert“, sagt der Pädagoge. Sie wie Erwachsene zu behandeln, sei eher „Ausdruck einer moralisierend-pädagogischen Intention als Rücksicht auf authentische Jugendinteressen“.

Noch skeptischer ist der Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch (Katholische Hochschule NRW). Jugendlichen, die meinten „der Bundestag sei ein Feiertag, Komasaufen ein wichtiger Initiationsritus und das ganze Leben eine riesige, nicht selbst finanzierte Spaßparty“ sollte man nicht das Wahlrecht geben.

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