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Wissen: Der letzte Dienst

Studie: In Pflegeheimen wird zu wenig für Schmerzlinderung und Sterbebegleitung getan

Das Unionhilfswerk Senioreneinrichtungen hat die eigenen Berliner Pflegewohnheime untersucht – mit einem erschütternden Ergebnis: In den Heimen mit ihren insgesamt 467 Plätzen wird zu wenig für Schmerzlinderung und Sterbebegleitung getan.

Wie Dirk Müller, Leiter des neuen Kompetenzzentrums Palliative Geriatrie des Unionhilfswerks, auf einer Tagung in Berlin berichtete, wurde für die Untersuchung die Dokumentation aller Sterbefälle von Heimbewohnern herangezogen. Zudem wurden die Mitarbeiter anonym befragt und 562 Arztbesuche samt Verordnungen in den letzten drei Lebensmonaten der Verstorbenen ausgewertet.

Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Bewohner dieser Pflegeheime stirbt gar nicht dort, sondern im Krankenhaus. Oft werden sie in letzter Minute vom Notarzt eingewiesen. Viele sterben dann noch im Krankenwagen oder in der Rettungsstelle. Selbst die Hausärzte, die ihre alten Patienten ja kennen, lassen 60 Prozent der Sterbenden in die Klinik bringen. Diejenigen, denen der Ortswechsel in der Sterbephase erspart bleibt, finden oft auch keinen würdigeren Tod, ergab die Studie. Denn ein Drittel wird bei einem Kontrollgang tot aufgefunden. „Mit anderen Worten: Die Bewohner versterben häufig unbemerkt", sagte Müller.

Zudem zeigte sich, dass Ärzte und Heimpersonal ungenügend zusammenarbeiten. Die Behandlung von Schmerzen und anderen Beschwerden erwies sich als überwiegend schlecht. Dabei leiden 60 bis 80 Prozent der Bewohner von Pflegeheimen an oft nicht erkannten Schmerzen, sagte Müller. Auch andere Beschwerden plagen Hochbetagte in ihrer letzten Lebenszeit häufig, von Mundtrockenheit und Schlaflosigkeit bis zu Angst und Atemnot.

Weder Ärzte noch Altenpfleger sind offenbar genügend in der schmerzlindernden – palliativen – Therapie geschult, so dass Todkranke unnötig leiden müssen. Oft werden die Sterbenden also behandelt, ohne dass darüber gesprochen wird, ob eine auf Lebensverlängerung abzielende Therapie noch sinnvoll oder nur belastend ist, so dass man sich auf ein neues Behandlungsziel einigen müsste: Leidenslinderung.

Für notwendig hält Müller die „Entwicklung einer palliativen Geriatrie“. Deren wichtigste Aufgabe wäre es, „alten Menschen bis zuletzt ein beschwerdearmes und würdiges Leben zu ermöglichen.“ Hierzu müssen körperliche Symptome wie auch seelische und soziale Nöte systematisch aufgespürt und gelindert werden. Voraussetzung sei, dass alle Ärzte, Pflegekräfte und ehrenamtlichen Helfer, die unheilbar Kranke und Sterbende stationär oder ambulant versorgen, in Palliativmedizin und -pflege geschult würden.

Diese Ziele strebt das Kompetenzzentrum Palliative Geriatrie des Unionhilfswerks an. Dem Hilfswerk als Träger der vom Bund geförderten „Zentralen Anlaufstelle Hospiz“ für Berlin dürfte der Gedanken der Palliativversorgung näher stehen als anderen Heimträgern. Deshalb ist die Zustandsbeschreibung in der hier referierten Studie wahrscheinlich nicht repräsentativ. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Lage todkranker Heimbewohner im Durchschnitt schlechter ist.

Positiv ist hingegen, dass sich die Praxis der palliativen Versorgung jetzt über die Spezialeinrichtungen hinaus ausbreitet. Das wurde auf einer anderen Berliner Tagung deutlich, bei der Dorothea Becker als Gründerin und Leiterin des Neuköllner Ricam-Hospizes mit dem Preis der Hans-Joachim-und-Käthe-Stein-Stiftung ausgezeichnet wurde. Ricam ist mit fast zehn Jahren das älteste der inzwischen acht stationären Hospize Berlins, zu denen 16 ambulante Hospizdienste kommen. Daneben gibt es vier Palliativstationen für solche Sterbenskranken, die zur Beherrschung ihrer Symptome Krankenhausbehandlung brauchen. Zudem existiert – einmalig für Deutschland in dieser Form – „Home Care“. Dabei behandeln Ärzte, meist aus einer der 22 onkologischen Praxen, seit 1992 schwerstkranke Krebspatienten auf Überweisung der Hausärzte zu Hause.

Damit sind Sterbenskranke in Berlin zwar besser versorgt als anderswo. Das reicht aber noch lange nicht, sagt Frieder Ludwig, einer der Home-Care-Ärzte. Sie können nur etwa die Hälfte der Krebskranken in ihrer letzten Lebensphase besuchen, und für schwer Leidende mit anderen Krankheiten sind erst in Zukunft Palliativ-Teams zur häuslichen Versorgung geplant.

Michael de Ridder, Leiter der Rettungsstelle im Vivantes-Krankenhaus Am Urban, wies darauf hin, wie selten Heilung im Zeitalter der chronischen Krankheiten ist. In seinen Augen hat die Medizin weithin einen palliativen Charakter. Von den Bemühungen um Leidenslinderung dürften diejenigen, die sie am dringendsten bräuchten, nicht ausgeschlossen werden: die Sterbenden.

Hospiz-Information und Beratung im Zusammenhang mit Sterbenden, Tod und Trauer: Kopenhagener Straße 29, 13407 Berlin-Reinickendorf, Beratungstelefon: 40711113. Die Broschüre „Wenn Ihr Arzt nicht mehr heilen kann…“ enthält neben vielen Ratschlägen die Adressen der Berliner Palliativstationen, der stationären Hospize und der ambulanten Dienste für Sterbenskranke. Am Sonnabend, 24. November, wird der Tagesspiegel in seiner Pflegeheimserie über das Thema Sterbebegleitung berichten.

www.hospiz-aktuell.de

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