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Wissen: Der Professor und der Papst

Der HU-Kunsthistoriker Arnold Nesselrath restauriert die Vatikanischen Museen in Rom

Von Sven Oliver Lohmann

und Anke Assig

Eine lange Menschenschlange windet sich um eine hohe Mauer und verschwindet in einem kleinen Tor. Wachleute durchleuchten Taschen, Sicherheitsschleusen fiepen, Schulklassen laufen lärmend durcheinander. Nur mit Sonderausweisen passiert der angemeldete Besucher die unzähligen Uniformierten. Enge Treppen enden in einem marmorgefliesten Raum. Links ein Schlachtengemälde, rechts ein Schlachtengemälde. „Budapest“, sagt der livrierte Empfangsherr. „Sie können gleich zum Herrn Professor.“ Er sei gerade von St. Paul vor den Mauern zurückgekehrt.

Arnold Nesselrath hat einen sicheren Arbeitsplatz. Zumindest ist der gut bewacht. Seit 1996 ist er Direktor der Abteilung für byzantinische, mittelalterliche und moderne Kunst an den Vatikanischen Museen in Rom. Ein Traumjob, würde mancher meinen, doch Nesselrath wehrt ab. „Ich habe mir das nicht ausgesucht“, sagt er und sucht nach einem passenden Vergleich. „Zehntausend Menschen sitzen im Stadion und ich bekomme den Ball an den Kopf.“

Arnold Nesselrath kam 1977 als Student für einige Monate nach Rom und blieb bis heute. Sein Londoner Ziehkind – „der Census“ – kam mit ihm. Der Census ist eine Datensammlung zu Kunstwerken der Antike, die schon in der Renaissance bekannt waren. So kann der Einfluss der antiken Kunst auf die Kunst der Renaissance untersucht werden. 1981 wurde Nesselrath an die Bibliotheca Herziana, eine römische Außenstelle der Max-Planck-Gesellschaft, berufen. Hier übernahm er die Leitung des Census. Schon ein Jahr später begann die Zusammenarbeit mit den Vatikanischen Museen, die ihm 1996 eine Stelle als Direktor anboten. Neben der Sixtinischen Kapelle, deren bekannte Michelangelo-Fresken von Nesselraths Vorgänger restauriert wurden, ist er für Raffaels berühmte Stanzen zuständig. Diese Räume werden gerade restauriert.

In seinem dunklen Anzug bewegt sich der Kunsthistoriker zielstrebig durch die Mengen bunt gekleideter Touristen, die ehrfurchtsvoll die Fresken des Renaissancekünstlers betrachten. Nesselrath deutet zur teilweise restaurierten Decke. „Man sieht, dass gerade diese Fresken dort oben nicht von Raffael sind. Zweifel gab es da schon immer, aber mit dem ganzen Dreck auf der Decke konnte man gar nichts sagen.“ Nesselrath hatte die Idee, es könnten Fresken von Lorenzo Lotto sein. Andernorts waren Werke dieses Zeitgenossen Raffaels bekannt. „Da sind wir mit dem Restaurator dann hingefahren“, berichtet der Kunsthistoriker, „und haben die Farben verglichen, die Technik, die Ausführungsart und den Farbauftrag.“ Motivvergleiche und Pigmentanalysen verschafften annähernd Gewissheit. Eine Sensation, die sich auf der Titelseite der überregionalen „Repubblica“ und einen Tag später in der Londoner „Times“ wiederfand.

Nicht immer ist eine Restaurierung so einfach. Nesselrath zeigt auf eine Stelle an der Wand. „Hier steht ‚Vivat Carolus Imperator“, liest er vor. Das Graffito stammt von 1527, als die Landsknechte Karls V. während des Sacco di Roma die Stadt plünderten. „Es ist die Aufgabe des Kunsthistorikers abzuwägen, wie man damit umgeht“, erklärt er. „Hier haben wir die Ritzen gelassen, sie aber leicht runtergetönt“, und fügt hinzu: „Restaurierungen sind keine Renovierungen. Ein Kunstwerk hat immer zwei historische Orte: den, an dem es entstanden ist, und den, an dem es betrachtet wird.“ Auch was dazwischen liegt, gehört zum Monument.

Da Arnold Nesselrath neben den Museen auch die Kunstschätze in den Kirchen betreut, die ebenfalls zum Vatikan gehören, ist er gut beschäftigt. Doch damit nicht genug. Der Kunstexperte hat noch einen zweiten Arbeitgeber. Zeitgleich zum Angebot des Vatikans erreichte den Kunsthistoriker der Ruf an die Humboldt-Universität. Wieder folgte der Census dem Professor. Dieses Mal nach Berlin. „Man muss es hinkriegen, zwei Herren zu dienen“, sagt er. „Der Vorteil ist, dass sich viele der antiken Hauptmonumente in den Vatikanischen Museen befinden.“

Seinen Lehrverpflichtungen kommt der Professor mit Blockveranstaltungen in Berlin und Rom nach. Jedes Jahr betreut er Studierende zwei Wochen lang in Rom. Doch Studenten sind nicht seine einzigen Hörer. Vor kurzem besuchte Außenminister Joschka Fischer den Vatikan. Dabei ließ er sich von Nesselrath die Sixtinische Kapelle zeigen. Die Tatsache, dass Fischer sich in dieser politischen Situation dafür Zeit nahm, freut den Wissenschaftler. „Es zeigt eigentlich, wie wichtig Kultur ist.“ Dem Papst ist Arnold Nesselrath übrigens schon öfter begegnet. So bei einer Audienz, als Dank für die Arbeit in den Privatgemächern des Pontifex.

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