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Wissen: Der Ritt übers Eis

Beim Klima ist nichts so beständig wie der Wandel. Das zeigt ein Blick in die Geschichte

Das erste große Winterlandschaftsbild der europäischen Malerei stammt von Pieter Bruegel dem Älteren. „Die Heimkehr der Jäger“ malte er 1565. Das Jahr fiel in die kälteste Phase einer Epoche von Anfang des 14. bis Ende des 19. Jahrhunderts, die Glaziologen die Kleine Eiszeit nennen, wie der Historiker Wolfgang Behringer in seiner „Kulturgeschichte des Klimas“ erzählt.

Der Kleinen Eiszeit war ein warmes Hochmittelalter vorausgegangen. In den Alpen kletterte die Baumgrenze auf über 2000 Meter. Wein wuchs in England und Schottland, in Skandinavien, Pommern und Ostpreußen. Pollenanalysen ergaben, dass man damals Weizen bis hinauf nach Trondheim und Gerste bis in 70 Grad nördlicher Breite anbauten konnte.

Es war die Zeit der Wikinger. Unter Erik dem Roten begann 985 die Besiedlung Grönlands, das in den südlichen Küstenregionen damals vielleicht wirklich grün war, wie der Name sagt. Eriks Leute brachten Saatgut und Vieh mit. An der Südspitze wurden jüngst 450 wikingische Bauernhöfe ausgegraben. Die Gräber der Wikinger im Dauerfrostboden werden vielleicht aufgrund der globalen Erwärmung bald wieder auftauen.

Um 1350 war es mit dem Leben auf Grönland vorbei. Die Vegetationszeit hatte sich verkürzt und dem Anbau von Getreide ein Ende bereitet. Nahrung verknappte, Krankheiten breiteten sich aus. Einfuhr von Holz sowie Handel kamen zum Erliegen. Ein norwegischer Priester fand noch umherirrendes Vieh auf Grönland, aber keine Menschen mehr.

Die Kleine Eiszeit machte sich auch in unseren Breiten bemerkbar. Am 17. Februar 1573 ging die erste Eisprozession über den Bodensee. Pferdefuhrwerke transportierten Waren über die Eisdecke. Der Bodensee friert erst dann komplett zu, wenn die Temperaturen mehrere Tage lang mindestens 20 Grad unter dem Nullpunkt liegen. Im warmen Hochmittelalter vom 11. bis 13. Jahrhundert geschah dies insgesamt sechsmal. Doch mit den Kältewellen der Kleinen Eiszeit stieg die Zahl der „Seegfrörnen“ deutlich an: fünfmal im 14. Jahrhundert, und jeweils siebenmal im 15. und 16. Jahrhundert. Danach sank die Zahl der Seevereisungen wieder. Im 20. Jahrhundert war der Bodensee nur 1963 fest gefroren.

In der Kleinen Eiszeit wurde auch die gefrorene Themse in London berühmt mit Messen und Märkten. Es gab sogar Garküchen mit offenem Feuer auf der Eisdecke. Die letzte Vereisung der Themse im Jahr 1895 bestand hingegen nur noch aus zusammengeschobenen Eisschollen. Daten über die aufgegebene Landwirtschaft in nördlichen Breiten liefern uns Kenntnisse über das Klima vergangener Epochen. Ab 1300 mit dem Einsetzen der Kleinen Eiszeit wurden in Norwegen 40 Prozent aller Höfe verlassen. Gleichzeitig nahm die Bevölkerung ab, die um 1700 ihren Tiefststand erreichte.

In England ließ sich das Ausmaß der aufgegebenen Siedlungen (Wüstungen) anhand von Luftbildern gut belegen. Spuren von 4000 hochmittelalterlichen Dörfern wurden entdeckt, die in der kalten Epoche ab 1300 verlassen wurden. Behringer vermutet, dass auch die Wüstungen in Deutschland seit dem 14. Jahrhundert zum Teil auf die Verschlechterung des Klimas zurückgingen.

Polarlicht kommt im hohen Norden hin und wieder vor, doch nur sehr selten in unseren Breiten. So gab es helle Aufregung, als sich der Himmel über Zürich am frühen Morgen des 28. Dezembers 1560 erst weiß, dann rötlich, dann blutrot zeigte. Die Sturmglocken läuteten. In einer Zeit, in der Pest, Missernten und Überschwemmen als Gottes Strafen galten, musste das Himmelsfeuer ein Zeichen sein, vielleicht eine Warnung vor dem Jüngsten Gericht.

Die soziale und religiöse Unruhe, schreibt Wolfgang Behringer, die durch die Ressourcenverknappung hervorgerufen wurde, habe eine eigene Dynamik entwickelt. Missernten bildeten den Hintergrund für alle möglichen Rebellionen und Untertanenrevolten, da die Belastungen durch Abgaben und Frondienste in Knappheitsjahren erdrückend waren. Viele gaben Juden oder Hexen die Schuld für Katastrophen und Desaster.

Ist es Zufall, dass die Hexenhatz in Europa ihren Höhepunkt in der kältesten Phase der Kleinen Eiszeit erreichte, also von 1560 bis 1660? Behringer ist überzeugt, dass der Antrieb zur Hexenverfolgung weder von der Kirche noch vom Staat, vielmehr von unten kam. Der Historiker sieht einen starken Zusammenhang mit der Kleinen Eiszeit. Die drangsalierten Bauern wollten das Übel an der Wurzel packen und die vermeintlich Schuldigen aus dem Weg räumen. Die Kleine Eiszeit machte Holz zum Heizen knapp und in den Schlössern hatte der Beruf des Heizers Konjunktur. Der Kölner Hermann Weinsberg schrieb in seinem Tagebuch aus dem 16. Jahrhundert, seit Weihnachten 1570 sei so „großer Schnee gefallen, wie ich mein Lebtag noch nicht gesehen, mehr denn knie- und gürtelshoch.“

Auch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es noch eis- und schneereiche Winter. Sie schienen den Klimaforschern recht zu geben, die eine neue Eiszeit anbrechen sahen. Seit 1940 waren die Temperaturen weltweit zurückgegangen. Noch im Jahr 1972 sprachen führende Gletscherforscher in den USA von einer globalen Abkühlung („global cooling“). Sie glaubten, dass die erdgeschichtliche Warmzeit, die bereits 10 000 Jahre andauerte, zu Ende ginge. Zudem sollten Atombombenversuche, Feinstäube und Abgase die Temperaturen senken. Heute dagegen geht man von einer globalen Erwärmung aus, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch Treibhausgase wie Kohlendioxid mitverursacht wird.

Der geschichtliche Blick auf das Klima der Erde führt vor Augen, dass Klimastabilität eine Fantasievorstellung ist. Zu drastisch wechselten Warm- und Kaltzeiten in erdgeschichtlichen Epochen ab, und zu sehr schwankte das Klima in kleineren Zeiträumen. Die Kulturgeschichte des Klimas zeigt, dass das Klima immer im Wandel war und die Gesellschaft darauf reagieren musste. Vorsorge ist geboten, jedoch nicht das Schüren von Weltuntergangsängsten.

Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. C. H. Beck, 2007, 352 Seiten, 22,90 Euro

Peter Düweke

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