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90 Jahre DIW. Das Institut sitzt heute in der Mohrenstraße.

© promo

Geschichte des DIW Berlin: Der weite Weg in die wissenschaftliche Freiheit

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) arrangierte sich gut mit dem NS-Staat. Auch nach 1945 blieb es noch lange inhaltlich abhängig. Ein Gastbeitrag.

Ernst Wagemann, Präsident des Statistischen Reichsamts und auf der Suche nach finanzieller Unterstützung für das in Gründung befindliche „Institut für Konjunkturforschung“, war prächtiger Laune, als er 1924 den Präsidenten der Deutschen Reichsbank, Hjalmar Schacht, in dessen Büro in der Berliner Jägerstraße besuchte, jedoch eine halbe Stunde warten musste: „Herr Präsident, als ich hier ankam, hatte ich an einen Jahresbeitrag von 15 000 Reichsmark gedacht; aber in der letzten halben Stunde hat sich bei mir die Überzeugung gefestigt, dass es 30 000 Reichsmark sein sollten!“ Wagemann konnte sich damit durchsetzen.

Doch die Finanzierung von Wirtschaftsforschung in Deutschland war bei Weitem nicht so leicht, wie es diese Anekdote suggeriert. Ernst Wagemann wollte mehr forschen, als dies in einem Reichsamt möglich war. Um grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen, gründete er 1925 das „Institut für Konjunkturforschung“ (IfK), dessen Leitung er als Direktor übernahm.

1925 stammt knapp die Hälfte des Institutshaushalts – insgesamt 201 000 Reichsmark – aus direkten ministeriellen Zuwendungen. Einen etwas größeren Anteil übernehmen arbeitgebernahe Institutionen, Gewerkschaften hingegen tragen mit rund 16 000 Reichsmark nur einen geringen Teil zur Institutsfinanzierung bei. Bis Mitte der 1940er Jahre steigt der Anteil ministerieller Zuwendungen auf knapp 70 Prozent bei einem gewachsenen Gesamthaushaltsvolumen von 460 000 Reichsmark.

Was die Nazis vorgeben

Was dem Institut fehlt, ist eine Grundfinanzierung – also eine von inhaltlichen Vorgaben freie Mittelausstattung, die die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Instituts gewährleistet. Ohne sie besteht die Gefahr direkter oder indirekter Abhängigkeiten, wie sie sich sogar an der Namensgebung des Instituts ablesen lassen: Die Politik der Nationalsozialisten gibt nämlich vor, das kapitalistische Phänomen des Auf und Ab der Konjunktur überwunden zu haben. Nach dieser Lesart muss für das unmittelbar von Reichsministerien finanzierte IfK der Forschungsgegenstand konsequenterweise entfallen, sodass im Juni 1941 das Institut in „Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) umbenannt wird. Obwohl unter dubiosen Umständen entstanden, trifft der neue Name die deutlich breiter angelegten Aufgaben des Instituts besser.

Klar ist inzwischen: Das DIW arrangiert sich zu sehr mit dem NS-Staat. Dem Institut kommt der hohe Bedarf der NS-Wirtschaftspolitik nach Planzahlen und statistischem Material zugute, die das Regime für die Umsetzung des Konzepts der „gelenkten Wirtschaft“ braucht. Im Zweiten Weltkrieg lässt sich das Institut darüber hinaus zum Unterstützer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges machen: Das DIW berechnet in den Kriegsjahren unter anderem den wirtschaftlichen Ertrag der besetzten Gebiete im Osten und untersucht die „Blockadefestigkeit“ Deutschlands.

Keine willfähigen Anhänger des NS-Regimes

Dennoch ist Ernst Wagemann kein willfähriger Anhänger des Nationalsozialismus. Solange Wagemann seine schützende Hand über sie halten kann, arbeiten jüdische Mitarbeiter im Institut. Auch sein späterer Nachfolger, der regimekritische Ferdinand Friedensburg, kann ab 1939 im Institut arbeiten, wird allerdings nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 auf politischen Druck hin entlassen. Im Zuge der Ermittlungen nach dem missglückten Attentat werden zahlreiche Mitarbeiter des Instituts verdächtigt, so auch Werner von Stauffenberg, ein Vetter des Hitler-Attentäters, und Ulrich von Hassell, der noch im September 1944 hingerichtet wird.

Die starke Abhängigkeit des Instituts von einer mit inhaltlichen Vorgaben verknüpften Finanzierung dauert bis in die 1970er Jahre an. Die Arbeit des DIW in der jungen Bundesrepublik ist durch die Ausweitung der Auftragsforschung gekennzeichnet: Damals akquirieren Forschungseinrichtungen wie das DIW eine Vielzahl von Aufträgen (beispielsweise in der Verkehrsforschung), zumal exzellent vernetzte Persönlichkeiten an ihrer Spitze stehen. Aber gerade die starke Expansion des Instituts in der Amtszeit von DIW-Präsident Klaus-Dieter Arndt 1968 bis 1974 ist auftragsgesteuert und hallt in ihrer Wirkung lange nach. Sobald die Forschungsaufträge zurückgehen, müssen auch wissenschaftlich weniger interessante Aufträge angenommen werden, um den Personalbestand halten zu können.

Ein Schritt zur Unabhängigkeit des DIW

Ein wesentlicher Schritt hin zu wissenschaftlicher Unabhängigkeit ist die Aufnahme des DIW in die „Blaue Liste“ im Jahr 1977. Sinkende Auftragszahlen bargen die Gefahr von schwächerer Forschungsqualität: Als nach der deutschen Wiedervereinigung alle Institute der „Blauen Liste“ vom Wissenschaftsrat evaluiert werden, können nur wenige Wirtschaftsforschungsinstitute zukunftsfeste Forschungsqualität nachweisen.

Heute ist das DIW Berlin Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die aus der „Blauen Liste“ hervorgegangen ist – ein Verbund von 89 außeruniversitären Forschungseinrichtungen als qualitätssichernde, politikferne Struktur mit dem Anspruch, wissenschaftliche Qualität und Relevanz von Forschungsergebnissen miteinander zu verbinden. Drittmittel erhält das Institut zunehmend in kompetitiven Verfahren (etwa von der DFG), was für Qualität spricht und sie stärkt. Forschungsstark wie nie begeht das DIW Berlin in diesem Jahr den 90. Jahrestag seiner Gründung als IfK.

- Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied, Per Brodersen Vorstandsreferent des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

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