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Großer Auftritt. Auf Orchestermusikern lastet enormer Druck, nicht alle sind ihm gewachsen.

© picture alliance / dpa

Lampenfieber: Die Angst der Violinistin vorm Patzer

Krankhaftes Lampenfieber kann Musiker berufsunfähig machen – in Bonn hilft eine Ambulanz. Das Bedürfnis nach Diskretion ist extrem hoch. Von der Panik eines Musikers darf niemand etwas wissen.

„Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie“, so tröstete Erich Kästner Kinder und Erwachsene. Der Komponist Frédéric Chopin hatte ganz sicher genug Phantasie. Vor öffentlichen Auftritten als Pianist litt er gewaltig unter Lampenfieber. Er mied die großen Säle und spielte dafür lieber im kleinen Kreis. Aber auch viele Profis, die jedes Jahr mehrere hundert Mal als Orchestermitglieder oder Solisten in großen Konzertsälen auftreten, sind dermaßen von Angst geplagt, den Ton nicht zu treffen oder ihre Einsätze zu verpatzen, dass ernsthafte gesundheitliche Störungen und sogar Berufsunfähigkeit drohen. Die Zuhörer merken es nicht – und auch den Kollegen verschweigt man das meist lieber.

Wie viele Berufsmusiker unter krankhaftem Lampenfieber leiden, das möchte die Psychiaterin Mahkorn von der Uni Bonn in Fragebogen ermitteln, die sie über die deutsche Orchestervereinigung an Berufsmusiker verteilt. Zusätzlich erhebt sie Daten in einem großen Orchester eines europäischen Nachbarlands. Déirdre Mahkorn, die selbst singt, Klavier spielt und mit zahlreichen Profi-Musikern befreundet ist, hat zusammen mit dem Psychologen und Hornisten Martin Landsberg vor kurzem eine eigene Lampenfieber-Ambulanz für Musiker eröffnet, die erste ihrer Art in Deutschland. Inzwischen haben die beiden schon mehr als 40 Künstler betreut, „die meisten von ihnen Streicher“, wie Mahkorn berichtet. Einige von ihnen haben eine weite Anreise in Kauf genommen und sich dadurch sogar besser geschützt gefühlt. „Das Bedürfnis nach Diskretion ist bei dieser Patientengruppe extrem hoch, deshalb kommen Gruppentherapien hier nicht infrage.“

Interpreten klassischer Musik sind schon deshalb stärker als andere Künstlergruppen von Auftrittsangst geplagt, weil sie weit weniger Möglichkeiten haben, Fehler zu überspielen, als das etwa Schauspielern nach einem Texthänger gelingt. Für diejenigen, die an die Spitze wollen, wird der weltweite Markt zudem immer unbarmherziger. Und viele von ihnen sind seit frühester Kindheit auf Leistung getrimmt.

In einer ausführlichen Befragung, die am Beginn jeder Behandlung in der neuen Ambulanz steht, kristallisieren sich denn auch immer wieder ähnliche Merkmale heraus: „Typischerweise sind unsere Patienten Perfektionisten, sie haben ein ganz preußisches Verhältnis zur Leistung, sind sehr leidensfähig, neigen aber zu Schwarz-Weiß-Denken und verzeihen sich selbst keinen Fehler.“ Die meisten, die später in einem der großen Orchester spielen oder sich dort einem Vorspiel stellen, haben von klein auf an Wettbewerben teilgenommen und viel Lob eingeheimst. Das macht sie allerdings nicht unbedingt cooler. „Die permanente Befürchtung, negativ bewertet zu werden, kann auch die Angst aufrechterhalten“, sagt Mahkorn. Bewertet fühlten sich Berufsmusiker dabei oft nicht primär vom Publikum, sondern häufig von ihren eigenen Kollegen.

In der Terminologie der Psychiater und Psychotherapeuten kann man Lampenfieber, das Musiker am Auftritt hindert oder krank macht, in die Gruppe der Angsterkrankungen einordnen. Die Behandlung folgt Konzepten, die nicht eigens für Musiker ersonnen wurden. Doch Mahkorn, die selbst einmal erwogen hat, Klavierbegleitung zu studieren, ist überzeugt: „Dass ich die Probleme von Musikern und das Repertoire der klassischen Musik kenne, schafft Vertrauen und macht das therapeutische Bündnis leichter.“

Ihr Kollege Michael Landsberg weiß genau, wie schwer es für einen Blechbläser ist, sein Solo in einer Mahler-Symphonie vom ersten Ton an sauber hinzulegen. So kommen Orchestermusiker und Solisten auch gern der Aufforderung des therapeutischen Duos nach, ihr Instrument mit in die Klinik zu bringen. „Ich höre aufmerksam zu und kann mir dadurch einen Eindruck verschaffen, wo die Schwierigkeiten liegen“, sagt Mahkorn. Im Gespräch versucht sie dann gemeinsam mit ihren Patienten den Anfängen nachzuspüren. „Wir fragen: Wie war der Gedanke, der Sie beschlichen hat, bevor es zu den ersten Symptomen kam?“ Zu dieser Biografie der Angst gehört bei den meisten Betroffenen auch eine umfangreiche Biografie der Angstbekämpfung, von festen Ritualen über Amulette und Talismane bis hin zu verschiedenen esoterischen Heilungsangeboten.

In der Bonner Ambulanz kommen vor allem die Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie zum Einsatz, die sich in der Behandlung von Angst- und Panikstörungen bewährt haben. „Wir versuchen, gegen das Katastrophendenken anzugehen, das die Aufmerksamkeit in eine pathologische Richtung lenkt.“ Dabei können neben Entspannungsverfahren auch Medikamente unterstützend wirken, etwa Betablocker, die das Herzrasen bekämpfen. Mit diesen Mitteln haben viele Berufsmusiker ohnehin schon Erfahrung gesammelt. „Sie helfen oft, einen Teufelskreis zu durchbrechen, setzen allerdings nicht bei der Wurzel des Problems an“, urteilt die Psychiaterin. Ihr Ziel ist es, den Musikern die lähmende Angst vor dem Scheitern zu nehmen. Nicht dagegen Ehrgeiz, Sensibilität und Fantasie, ohne die ihre beglückende Virtuosität nicht denkbar wäre.

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