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Aufmarsch 1914 vor der Berliner Universität.

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Die Berliner Universität im Ersten Weltkrieg: "Erster geistiger Waffenplatz Deutschlands"

Ideologie für den Kaiser: Die Professoren der Berliner Universität machten in besonderem Maße für den Ersten Weltkrieg mobil - und verbreiteten bis zum Schluss Durchhalteparolen.

„Was waren das für Tage, was für Nächte zu Ende Juli und Anfang August des Jahres 1914… Ja, hellauf loderten die Flammen vaterländischer Begeisterung… So zogen sie aus, Mann für Mann, die Korporationen in geschlossenen Reihen… Und mit ihnen zog von den Lehrern der Hochschule, wer nur irgend zum Waffendienst, zur Dienstleistung als Arzt oder Geistlicher, zur Hilfeleistung als Krankenpfleger im Felde taugte und begehrt wurde. Nur eine Losung galt: Das Vaterland zu retten.“ Ähnlich wie hier in Tübingen durch den Juraprofessor Wilhelm von Blume wurde überall an den Universitäten des Deutschen Reiches das sogenannte Augusterlebnis beschrieben.

Die Unis avancierten rasch zu Zentren der Mobilisierung

Nicht das ganze Volk jubelte. In den Städten waren es vor allem die bürgerlichen Mittelschichten, und Studien zur ländlichen Bevölkerung vermelden in hohem Maße Skepsis und Distanz. Die Universitäten hingegen avancierten rasch zu Zentren physischer und geistiger Mobilisierung. Die Studenten und jüngeren Lehrer strömten als Freiwillige ins Feld. Die Älteren dienten dem nationalen Aufbruch in Wort und Schrift an der „Heimatfront“.

Die Berliner Universität nahm man als besonderes Zentrum dieser Bewegung wahr. Nach der Reichsgründung 1871 war Berlin zum Zentrum deutscher Macht- und Kulturpolitik aufgestiegen und mit der Stadt ihre Universität. Eine Professur an der Friedrich-Wilhelms-Universität galt in der Regel als Endstation einer akademischen Karriere. Wie nirgends sonst versammelten sich hier Exzellenzen des Geistes, selbstbewusst in ihrem Rang als unabhängige Gelehrte, aber auch in der Nähe zur politischen Macht, von dieser gerne als Titular-Exzellenzen geehrt.

Direkte politische Aktivitäten lagen den Berliner Gelehrten zwar in der Regel fern. An nationalen Bekenntnissen hatten die Berliner Gelehrten aber bei offiziellen Feiern der Universität nicht gespart, etwa im Vorjahr 1913 beim Gedenken an den Freiheitskrieg hundert Jahre zuvor. So traten sie sehr wohl als Ideologen deutscher Kulturüberlegenheit in Erscheinung.

Einstein spricht von einer "Art Machtreligion" bei den Kollegen

Unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzten weltberühmte Berliner Gelehrte je eigene Akzente. Als Rektor amtierte der Physiker Max Planck, der Begründer der Quantenmechanik. Am 3. August, ihrem Gründungstag, nahm die Universität, nach Mobilmachung und ersten Kriegserklärungen, Abschied von ihren ins Feld ziehenden Angehörigen. „Max Planck sprach, nach akademischer Sitte, zunächst über ein wissenschaftliches Thema; dann wandte er sich mit einem ganz sparsamen, aber umso tiefer ergreifenden Pathos dem zu, was alle Gemüter erfüllte.“ Die Studenten sangen mit ihren Lehrern das Deutschlandlied. So berichtete es später die Tochter des Theologen Adolf von Harnack.

Harnack entwarf nur einen Tag später mit dem Historiker Reinhold Koser für Kaiser Wilhelm II. dessen „Aufruf an das deutsche Volk“. Darin kannte der Kaiser keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche und rief zum inneren Burgfrieden. Harnack war eine Ausnahmeerscheinung, als Theologe und Kenner der antiken Welt, als Vertrauter des Kaisers und zugleich sozialliberaler Reformer, als wissenschaftspolitischer Multifunktionär bis hin zur Mobilisierung der Naturwissenschaften für Rüstung und Kriegswirtschaft im Rahmen der von ihm geleiteten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Eine Ausnahmeerscheinung auch in der Geschmeidigkeit seines Denkens und Redens. Mit der Mehrheit nicht nur seiner Berliner Kollegen verband ihn die Überzeugung eines den Deutschen aufgezwungenen Defensivkrieges. Aber auch Defensive konnte sich mit arroganter Überlegenheit ausdrücken. Albert Einstein, in der Professorenschaft als entschiedener Pazifist verfemt, vermerkte bei seinen Berliner Kollegen eine „Art Machtreligion“: Sie „beherrscht fast alle Gebildeten.“

In einem Aufruf heißt es: "Es entbrennt der Furor Teutonicus"

Ein Pathos selbstgerechter Empörung erfüllte die Professoren zu Kriegsbeginn, zunehmend mit religiöser Inbrunst vorgetragen. Eine „geistige Mobilmachung“ auf breiter Front erfolgte wenig später in einem wahren Trommelfeuer von Kundgebungen und Reden an deutschen Universitäten, gesteuert von Berlin aus. So riefen die Rektoren und Senate der bayerischen Universitäten am 3. August ihren Studierenden zu, es „entbrennt aufs neue der Furor Teutonicus. Die Begeisterung der Befreiungskämpfe lodert auf, der heilige Krieg bricht an.“ In Bonn strickten Historiker in einem Aufruf an der Geschichtslegende, „daß der Krieg für Deutschland ebenso ein Verteidigungskrieg ist, wie es der Siebenjährige Krieg für Preußen war“.

Am 16. Oktober schließlich wurde eine „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“ verbreitet, unterzeichnet von fast neun Zehntel aller 4400 deutschen Hochschullehrer. Verfasst wurde sie vom berühmten Berliner Gräzisten Ulrich von Wilamowitz. In der Erklärung heißt es am Ende: „Unser Glaube ist, daß für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche ’Militarismus’ erkämpfen wird (…)“.

Glaube, Kultur, Militarismus: Diese Trias prägt die Argumentation

Diese Trias – Glaube, Kultur und Militarismus – prägte von nun an die Argumentationsfolien deutscher Gelehrter und rief im Ausland, vor allem in England, ebenso massenhaften Protest hervor. Die „Times“ publizierte am 21. Oktober eine „Antwort an die deutschen Professoren“, unterzeichnet von über 1000 englischen Gelehrten. Mehr noch als gegen jene „Erklärung“ richtete sich die „Antwort“ an einen am 4. Oktober veröffentlichten „Aufruf an die Kulturwelt“, unterzeichnet von 93 Professoren, Schriftstellern und Künstlern. Dieser „Aufruf der 93“ wies angebliche deutsche Kriegsgräuel in Belgien in plakativen Es-ist-nicht-wahr-Absätzen zurück. Ein vermeintlicher Kampf gegen deutschen Militarismus wurde als Kampf gegen deutsche Kultur stigmatisiert. Kein Dokument hat derart verheerend die internationalen deutschen Wissenschaftsbeziehungen noch weit über das Kriegsende hinaus vergiftet. In Frankreich und England löste der Aufruf ein Trommelfeuer in der Presse aus, das von Hass bis kühler Distanz reichte.

Die Unis stilisierten sich als Träger der Kulturnation

Zwischen Universität und Militär hatte es schon im Vorkriegsdeutschland vielerlei Verbindungen gegeben. Häufig schon wurde auf den mit der Waffe zu sichernden Ehrenkodex in studentischen Korporationen, auf die Privilegien der Einjährig-Freiwilligen bis hin zur Chance des Reserveoffiziers hingewiesen. Gleichwohl lässt sich eine Militarisierung der Universitäten im späten Kaiserreich kaum feststellen. Das Problem lag anderswo. Im 19. Jahrhundert hatte sich die deutsche Universitätslandschaft als Trägerin der Kulturnation stilisiert, als Wächterin in den großen Fragen der Nation. Man diente dieser als öffentliches Gewissen in Absicht auf Gut und Böse in der Politik, man habe der Nation mit der Fackel der Erkenntnis voranzuleuchten – so lauteten häufig beschworene Topoi. Solche Dispositionen waren im Sommer 1914 abrufbar.

Seit ihrer Gründung betonte die Berliner Universität die wehrhafte Nähe zum König

Lässt sich der hohe Anteil Berlins an der professoralen Aufrüstung allein durch wissenschaftliche Prominenz und räumliche Nähe zum Zentrum der Macht erklären? Die Berliner Universität unterschied sich in ihren Funktionen, ihren Ritualen und Selbstinszenierungen kaum von anderen deutschen Universitäten. Allerdings bewahrte sie durchgängig das Erinnern an eine besondere Gründungskonstellation. Wilhelm von Humboldt realisierte 1810 ja nicht nur die neuartige Forschungsuniversität, sondern zugleich ein Vermächtnis der Nation unter französischer Besatzung. Gleichsam als Gründungsurkunde galt das Königswort nach der Katastrophe von 1806, der Staat müsse durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe.

Seit der Gründung 1810, als Humboldt eine vom Staat völlig unabhängige freie Forschung forderte, zum anderen auch seine Universität als geistigen Waffenplatz gegen Napoleon im Dienst an König und Nation stilisierte, hat die Friedrich-Wilhelms-Universität dieses Doppelte in ihren Reden memoriert. Gar nicht aus dem Rahmen fiel das „geistige Leibregiment der Hohenzollern, dem Palaste des Königs gegenüber einquartiert“, wie der Physiologe Emil Du Bois-Reymond im Herbst 1870 in seiner Rektoratsrede die Berliner Universität charakterisierte. Die wehrhafte Nähe zum König und später Kaiser wurde immer wieder betont. Bei der Jahrhundertfeier 1910 erkor der Marburger Vertreter die Universität Berlin zum „ersten geistigen Waffenplatz Deutschlands“.

Die Mehrheit der Forscher hielt an Durchhalteparolen fest

Zu welcher Arroganz deutscher Kulturüberlegenheit sich Berliner Professoren 1914 zu steigern vermochten, belegt eine Durchsicht der Sammlung „Deutsche Reden in schwerer Zeit“. Der Berliner Jurist Otto von Gierke pries den Krieg als „göttliches Gnadengeschenk“ für deutsche Kultur. Der Philosoph Adolf Lasson erklärte die Deutschen für das „schlechthin überlegene“ Volk.

Selbst 1919 wollte man den "Aufruf der 93" nicht zurücknehmen

Die Berliner Professoren blieben exponiert in ihrer Autorität und in ihrer Nähe zu den Zentren der Macht. Solche Verbindungen gewannen umso mehr an Bedeutung, als sich seit dem Frühjahr 1915 Risse in der Beurteilung der Erfolgschancen und der strategischen Friedensplanung ergaben. Um jeweils wenige Professoren scharten sich die neu entstehenden Lager. Strittig war die Frage der Kriegsziele – annexionistischer Siegfriede oder Verständigungsfriede? Während eine Minderheit früh schon Reformen einforderte, hielt die Mehrheit mit Durchhalteparolen an ihrer Endsieghoffnung fest. Noch einmal kam es am 27. Juli 1916 zu einem Aufruf Berliner Universitätsprofessoren „An unser Volk“, der sich freilich auf die Parole „durchhalten“ „mit dem Willen zum Siege“ beschränkte und kein Manifest der Korporation insgesamt darstellte.

Die mit dem „Aufruf der 93“ gerufenen Geister wurde man so nicht wieder los. Doch empört, trotzig oder schweigend verweigerten sich die noch zu ermittelnden Unterzeichner des Aufrufs selbst nach Kriegsende im Frühjahr 1919 einer Aktion des Völkerrechtlers Hans Wehberg, welcher für Rücknahme ihrer Unterschrift plädierte. Von der Universität als öffentlichem Gewissen der Nation, wie Friedrich Paulsen um 1900 unter allgemeinem Zuspruch vermerkt hatte, konnte im Berlin an der Wende von der Monarchie zur Republik in keiner Weise mehr die Rede sein.

- Der Autor ist emeritierter Professor für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Text basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Reihe "Die Berliner Universität im Ersten Weltkrieg". Als Nächstes spricht am 16. Juni die Historikerin Gabriele Metzler zu „Trauer und Kriegserinnerung der Universität“. 19 Uhr, Audimax der HU, Unter den Linden 6 (hier das gesamte Programm).

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