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Wissen: Die Sehnsucht geweckt

Ein Auftakt nach Maß: Die Musikfestspiele Sanssouci mit La Poéme Harmonique und Jordi Savall und Pedro Estevan in der Friedenskirche, mit dem Jules Verne-Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ im Palmensaal und dem Ensemble L’ Arpeggiata auf den Terrassen der Orangerie Sanssouci

Das Finale hält eine Einladung bereit: „Kommt, alle Leute, zu diesem großen Fest ... bei unseren Konzerten soll eine unendliche Lieblichkeit der Harmonie gleichen.“ Doch in diesem Augenblick war den Gästen längst klar: Wir haben an einem großen musikalischen Fest teilgenommen. Das Eröffnungskonzert der Musikfestspiele am Freitag präsentierte in der Friedenskirche neben Werken von Francesco Cavalli, Charles Tessier, Etienne Moulinié vor allem Ausschnitte aus Ballett-Komödien von Jean-Baptiste Lully, dem Hofkomponisten Ludwigs XIV. Besonders sein „Ballett der Nationen“ war passgerecht für das Festspielprogramm, dreht sich doch in diesem Jahr alles um die „Sehnsucht nach der Ferne“.

Diese Sehnsucht kann man sich in Potsdam täglich erfüllen. Denn fast an jeder Ecke erlebt man ferne Länder in Gestalt von Architekturen und Gartenkünsten. Die Preußenkönige waren es, die die Welt nach Potsdam holten: Frankreich, Italien, Russland, China oder England.

Die Vielfalt der Welt wusste auch Lully musikalisch in seinem „Ballett der Nationen als abschließenden Höhepunkt der Ballett-Komödie „Der Bürgers als Edelmann“, zu dem Moliére den Text verfasste, zu holen. Ein reicher Bürger versucht sich in höhere Gesellschaftskreise einzukaufen und erntet letztendlich von beiden Seiten nur Spott. Auch das finale Ballett verzichtet nicht auf ironische, sogar sarkastische Anmerkungen in seinen musikalischen Ausdeutungen. Dabei werden die „Reisen“ des Bürgers Jourdain im Nationalstil der einzelnen Länder imitiert. Das ist köstlich anzuhören und bringt größtes Vergnügen. Dafür benötigt man aber ein Ensemble, das exzellent mit der Musik Lullys umzugehen vermag.

Die Festspielleitung konnte „La Poéme Harmonique“ aus Frankreich gewinnen. Unter der Leitung von Vincent Dumestre wurde sehr lebendig, spritzig und natürlich auf Originalinstrumenten musiziert. Trotz der stets abwechslungsreichen farbigen Klanggestaltung des Orchesters konnten die Sänger Claire Lefillatre, Jean-Francois Lombard, Serge Goubioud, Arnaud Marzorati und André Morsch deutlich in den Vordergrund treten. Mal mit grellem, dann mit sanften Klangfarben gestalteten sie ausdrucksstark ihre Partien vor allem in den Rezitativen und wussten sich im Ensemble einem harmonischen Wohlklang verpflichtet. Man schreckte auch nicht vor hässlichen Tönen zurück, um den Charakter der Musik und der Person zu verdeutlichen. So in der Szene, in der Jourdain zum „Mammamutschi”, zum Paladin des Großtürken, erhoben wird. Mit komödiantischem Witz wurde musiziert, gesungen und manches auch spielerisch angedeutet. Das war Commedia dell’arte. Konzertant und auf Französisch.

Augenblicke größter Innigkeit zweier Liebender wurde man in den Szenenausschnitt aus Francesco Cavallis Oper „L’Ormindo“ hineingenommen. Der Italiener, Schüler Monteverdis, war für einige Zeit Musiker bei Ludwig XIV. In der Friedenskirche gaben die Sopranistin Claire Lefillatre und der Countertenor Jean-Francis Lombard den ergreifenden Lamenti aus „L’Ormindo“ erregende Intensität und anrührende Schönheit. Auch hierbei war das Orchester mit viel Verve unter der Leitung ihres Dirigenten Vincent Dumestre bei der Sache. Der Beifall der begeisterten Konzertgäste steigerte sich nach diesem musikalischen Fest zu langen Ovationen. Ein großartiger „Sehnsuchts“-Auftakt. Klaus Büstrin

Was für Melodien mögen im Palast von Sultan Saladin erklungen sein, als er durch Nathan dem Weisen per Ringparabel von der Gleichwertigkeit dreier Religionen erfuhr? Welche im Serail, wenn sich dort der Herrscher von seinen Haremsdamen mit Bauchtänzen hätte verführen lassen? Ein Hauch von Authentizität durchzog die rappelvolle Friedenskirche mit „Savalls Morgenerwachen“, einem Festspiele-Beitrag der ganz besonderen Art von Sehnsucht nach der Ferne, speziell aus dem mittelalterlichen Orient.

Von dort kamen diverse Musikinstrumente, beispielsweise der Rebab, eine viersaitige Streichlaute mit schmalem, sich bis in den Hals verlängernden Korpus. Er wird in Kniehaltung gespielt und gilt als arabischer „Vater“ des Rebec, einem Fidelinstrument in der Form einer halben Birne, das ab dem 15. Jahrhundert vor allem als Tanzbegleiter in Mittel- und Westeuropa populär wurde.

Beide Instrumente und auch die Lira d’arco beherrscht der katalanische Alte-Musik-Spezialist Jordi Savall ganz vorzüglich. Für seinen Auftritt ist die Apsis der Friedenskirche in mystisches Licht getaucht. An seiner Seite der Perkussionist Pedro Estevan, mit seinem üppigen Bart- und Haarwuchs eine geradezu alttestamentarische Erscheinung. Mit viel Fingerspitzengefühl tanzt er rhythmisch variabel und präzise sowohl die Landknechtstrommel als auch Darbouka, Tar und Tambourin. Gelegentlich in raffinierten Soli, größtenteils jedoch als Begleiter des Streichers.

Beider rhythmische und intonatorische Gestaltung mit improvisatorischen Finessen ist ein Erlebnis. Wie Jordi Savall den begrenzten Tonumfang im Bereich einer Quarte zu differenzieren, ja geradezu mit Klangerotik aufzuheizen versteht, grenzt fast an ein esoterisches Wunder. Tonfolgen, die die Düsternis einer Nacht im Übergang zum Tagesanbruch zu schildern versuchen, sind zunächst dunkel getönt, um sich dann ganz langsam aus Leisem ins Laute und Helle zu entwickeln und zum klanglichen Ausgangspunkt zurückzukehren. Dann wieder beherrschen ziehende und „jammernde“ Klänge in mikrokleinen Tonschritten die Klangbühne. Oder „leerer“ Klang der darmsaitenbespannten Instrumente. Dazu die akrobatischen bis hauchzarten Fingerarbeiten auf Trommelfell und Holzrand – suggestiver geht’s kaum.

Dem inneren Auge entsteht ein reizvoller und vielgestaltiger Bilderbuchorient, einschließlich aller denkbaren Klischees. Rituelle Tänze begeistern durch Verinnerlichung und Versenkung, die „Tänze des Windes“ durch pralle Lebensfreude. Doch bei allen aufreizenden Rhythmen geht von den Klängen etwas Beruhigendes, geradezu Besänftigendes aus. Und was ungeübten Ohren mitunter als Monotonie erscheinen mag, verbreitet sich tatsächlich in vielen Facetten. Oder steigert sich zu tranceähnlichem Klangmix. Peter Buske

Manchmal bedarf es lediglich zwei Stunden, um die Welt zu umrunden. Auf einer altbekannten Route, die kapitänsgleich ein Vorleser weist, der in einem bequemen Ledersessel sitzt, während hinter ihm sein Steuermann mit geschickten Händen einem großen Arsenal an Percussion-Instrumenten die wunderlichsten Töne entlockt. So geschehen am frühen Samstagabend im Palmensaal und der Pflanzenhalle des Neuen Gartens, wo den zahlreichen Gästen, im Rahmen der Potsdamer Musikfestspiele, eine etwas andere Lesung des Jules Verne-Klassikers „In 80 Tagen um die Welt“ geboten wurde.

Die Sehnsucht nach der Ferne, so das Motto der diesjährigen Festspiele, konnte angesichts des beeindruckend blickschönen, exotischen Ambientes des Veranstaltungsortes wohl leichter und schneller aufkommen, als es dem Text lieb gewesen sein mochte. Denn die Einführung des Romanhelden Phileas Fogg, eines leidenschaftslosen pedantischen Engländers, mitsamt der Vorgeschichte seiner Weltreise stand im leisen Gegensatz zu den Palmenblättern vor den Fenstern. Glücklicherweise aber war der bekannte Schauspieler und Synchronsprecher Friedhelm Ptok an diesem Abend auch als Vorleser sehr begnadet, solche frühen Längen stimmlich zu beleben. Und als der Dandy Fogg endlich auf Weltreise geht, über Frankreich nach Italien eilt, um an Bord eines Dampfschiffes nach Indien zu gehen, war es der bis dahin eher moderate Leipziger Percussionist Peter Bauer, der dem Vortrag fortan mit seiner Klangkunst einen gewissen Extrazauber verlieh. Kurze, lieblich prägnante Zwischenspiele, hauptsächlich am Marimbaphon, an verschiedenen Gongs und auf etlichen seltsamen Rasseln und Pfeifen vollführt, kennzeichneten die Reiseetappen. Auf ihnen gelangen der smarte Fogg und sein vorwitziger Diener Passepartout, verfolgt von einem emsigen Detektiv, indes von Japan über den Pazifik bis auf den nordamerikanischen Kontinent, den sie per Zug durchqueren, was nicht ohne unterhaltsamen Indianerüberfall geschehen darf. Und bis zur Überfahrt nach England schließlich werden fast alle Register der Abenteuer- und Jugendbücher gezogen. Entsprechend gelöst, lächelnd und bisweilen versonnen blickten die Zuhörer, womöglich mehr in Erinnerung an längst vergangene Lektürestunden als von aufkommendem Fernweh gepackt. Denn als Phantasieprodukte fehlen den Verneschen Landschaften die Konturen, hingegen die scherzhaften Dialoge im spannungs- und handlungsreichen Plot stark überwiegen, was Friedhelm Ptok wiederum eindrucksvoll, ja mit komödiantischer Bravour in Szene zu setzen wusste und Peter Bauer bisweilen gar augenzwinkernd abzurunden verstand. Jäh und heftig ertönten nach den breiten Plaudereien die Paukenschläge, als auf dem Ozean ein Sturm losbricht.

Daniel Flügel

Tanzen ist ein Ritual, ein Brauchtum, eine darstellende Kunstgattung, eine Berufstätigkeit, eine Sportart oder schlicht ein Gefühlsausdruck. Von allem etwas hielt das Open-Air-Konzert Samstagnacht vor den Terrassen der Sanssouci-Orangerie bereit. Und in vielfältigen Farben war das Schloss oben auf dem Hügel und die Bäume ringsherum angestrahlt, so dass das Tanzen ins rechte Licht gesetzt wurde.

„Einmal um die tanze Welt“ hieß das Programm, für das man das Ensemble L’ Arpeggiata unter der Leitung von Christina Pluhar gewinnen konnte. Die Meisterin auf der Theorbe hat für das Konzert Tänze ausgewählt, melancholisch-nachdenkliche, heitere und furiose. Man tanzte sich nicht nur durch die ganze Welt durch, man blieb vornehmlich in Italien und Spanien mit kleinen Abstechern in die Türkei und nach Indien. Tänze, die religiösen Riten verpflichtet sind, wurden von dem Derwisch Talip Elmasulu geboten. Shany Mathew machte mit den geheimnisvoll wirkenden Bewegungen einer indischen Kulttanzes bekannt. Und die Italienerin Anna Dego versuchte mit Temperament und Körperanstrengungen Tänze ihrer Heimat neu zu interpretieren.

Jeder einzelne Musiker des zwölfköpfigen Kammerorchesters L’ Arpeggiata ist ein Meister seines Faches. Zumeist waren bei den Stücken Improvisationen angesagt, die man mit großer Fantasie, Farbigkeit und Spiellust zu Gehör brachte. Und mit der Italienerin Lucilla Galeazzi konnte eine Sängerin verpflichtet werden, die nicht nur mit ihrer dunkel gefärbten Stimme für sich einnahm, sondern vor allem mit der Leidenschaft, mit der sie die melancholisch-feurigen Liebeslieder zum Besten gab. Und doch: Erst am Ende des Konzerts taute das Publikum so richtig auf, aber auch die Musiker fingen so richtig Feuer. Die Zuschauer waren wohl drauf und dran endlich mitzutanzen. Aber da ging das Licht auf der Bühne aus und das etwas matte Feuerwerk hatte sein Spiel beendet. Klaus Büstrin

Klaus Büstrin

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