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Energietechnik: Die Sonne auf Erden

Europäische Physiker wollen mit Laserstrahlen endlich die Kernfusion schaffen. Aber zuvor müssen viele Hindernisse überwunden werden.

Wenn Mike Dunne einmal loslegt mit Beispielen, dann hört er nicht mehr auf: 70 Gramm Brennstoff könnten in Zukunft die Energie liefern, für die heute ein Supertanker Erdöl nötig sei, sagt er. Ein Güterwaggon mit 100 Tonnen Brennstoff könne dann ein Kraftwerk für sieben Jahre am Laufen halten; nicht wie heute für einige Minuten. Und das Beste: Der Brennstoff könne einfach aus Meerwasser gewonnen werden. Neun Badewannen voll würden die Energie liefern, die ein Mensch in seinem Leben insgesamt verbrauche. Mike Dunne ist der Leiter des europäischen Großprojektes „Hiper“ (High Power laser Energy Research facility). Die Vision des Briten ist ein Kraftwerk, in dem Energie aus Kernfusion gewonnen wird.

Es ist dieselbe Energiequelle, aus der auch unsere Sonne und alle anderen Sterne ihre Kraft schöpfen: Dort verschmelzen unter unvorstellbar hohem Druck und einer Temperatur von mehreren Millionen Grad Celsius Wasserstoffatome zu Helium. Dabei wird enorm viel Energie frei. Im Projekt Hiper soll diese Quelle nun auch auf der Erde angezapft werden, mit Hilfe von Lasern. Denn das grundsätzliche Problem bei der Kernfusion ist, wie man die positiv geladenen Atomkerne, die sich abstoßen, nahe genug aneinanderbringt, dass sie miteinander verschmelzen.

In der Sonne ist es die enorme Schwerkraft des gesamten Sterns, die das Zentrum zusammenpresst und erhitzt. Auf der Erde muss der Mensch diese Bedingungen künstlich erzeugen. Momentan gibt es dafür zwei Ansätze. Der erste, zurzeit vorrangig verfolgte Weg, setzt auf starke Magnetfelder, um den Brennstoff einzuschließen und in der Schwebe zu halten. Von außen wird er auf mehrere hundert Millionen Grad Celsius erwärmt. Dann treffen die Atomkerne in dem Plasma mit so einer Wucht aufeinander, dass sie die Abstoßung einfach überwinden und miteinander verschmelzen. Noch dieses Jahr soll in Frankreich mit dem Bau eines Versuchsreaktors namens ITER begonnen werden, der diese Technik benutzt.

Hiper verfolgt einen anderen Ansatz. Hier sollen Laserstrahlen genutzt werden, um den Treibstoff zusammenzupressen und zu erhitzen. Noch befindet sich das Großprojekt in der Planung. Spätestens 2016 solle aber mit dem Bau des Demonstrationsreaktors begonnen werden, sagt Dunne. Somit wäre er zum Ende des nächsten Jahrzehnts einsatzbereit.

Im Zentrum eines riesigen Reaktors soll dann ein kleines Plastikkügelchen mit zwei Millimeter Durchmesser liegen, gefüllt mit Deuterium und Tritium. Das sind besonders „schwere“ Arten von Wasserstoffatomen. Während der Kern des häufigsten Wasserstoffisotops, Protium genannt, nur aus einem Proton besteht, hat Deuterium zusätzlich noch ein Neutron und Tritium sogar zwei. Die beiden eignen sich besonders gut für die Kernfusion, weil es weniger Energie kostet, sie zusammenzubringen als bei anderen Atomen.

Aus allen Richtungen zielen Laserstrahlen auf die Wasserstoffkugel, erhitzen sie und pressen sie dabei zusammen. „Sie können sich die Treibstoffkugel wie eine Rakete vorstellen“, sagt Dunne. „Die äußerste Plastikschicht erhitzt sich so stark, dass sie explosionsartig nach außen fliegt und der Rest der Kugel bewegt sich wegen des Rückstoßes in Richtung Kugelmitte.“ So werde das Treibstoffkügelchen auf kleinstem Raum zusammengepresst. „Das ist in etwa so, als würden Sie einen Basketball auf die Größe einer Erbse zusammenquetschen“, erläutert Dunne. Die Dichte der Kugel erhöht sich dabei in etwa um das Tausendfache.

Dann soll ein besonders starker Laser in die Mitte der Kugel gerichtet werden. Wie eine Zündkerze im Motor soll er den Funken geben, der den Tropfen Brennstoff zündet. Die Kugel ist jetzt dicht und heiß genug, dass in ihr eine Kettenreaktion in Gang kommt. Deuterium und Tritiumkerne treffen aufeinander, es bilden sich Helium und Neutronen. Die entstehenden Teilchen heizen den Rest des Plasmas weiter auf – und die schnellen Neutronen entkommen dem Gemisch. Außerhalb der Reaktionskammer werden die Teilchen von riesigen Wassertanks abgebremst, dabei erhitzen sie das Wasser. Es entsteht Wasserdampf, der wiederum Turbinen antreibt.

Das ist jedenfalls der Plan. Aber noch gibt es hohe Hürden. So sind die Laser, die benötigt werden, technisch noch gar nicht machbar. „In drei bis fünf Jahren wird es aber so weit sein“, glaubt Dunne. Auch die Anforderungen an die Materialien für den Reaktor sind so hoch, dass sie bisher nicht erfüllt werden können. Dass die Fusion grundsätzlich möglich ist, da sind sich die Forscher aber einig.

Der praktische Beweis steht kurz bevor: In den USA hat Ende Mai die National Ignition Facility (NIF) im kalifornischen Livermore ihre Arbeit begonnen. In dem 3,5 Milliarden Dollar teuren Komplex von der Größe dreier Fußballfelder soll in den nächsten Jahren erstmals eine Kernfusion ausgelöst werden, die in dem Treibstoff eine Kettenreaktion anstößt. Dabei soll der Reaktor mehr elektrische Energie erzeugen, als an optischer Energie hineingesteckt wird. „Das wird ein echter Meilenstein sein“, sagt Dunne. Die Laser arbeiten allerdings nicht sehr effizient. Nur einen kleinen Teil der Energie, der hineingesteckt wird, wandeln sie wirklich in optische Energie um. Insgesamt wird das NIF deswegen immer noch mehr Strom verbrauchen als erzeugen.

Beim europäischen Hiper-Projekt soll das anders sein. Dazu muss es den Forschern vor allem gelingen, den Laser schneller hintereinander feuern zu lassen. Das Problem: Der energiereiche Strahl wird durch hunderte dünne Glasplatten geschickt, die den Laserstrahl verstärken. Dafür müssen die Glasplatten vorher Lichtenergie speichern, die sie dann an den Laserstrahl abgeben können. Bei NIF geschieht das mit Hilfe starker Blitzlampen. Ein Großteil der Energie dieses Blitzlichtes geht jedoch als Wärme verloren. So viel, dass im NIF nur einmal alle paar Stunden ein Laserstrahl auf das Ziel geschossen werden kann. „Sonst würden die Gläser überhitzen und einfach schmelzen“, sagt Wolfgang Sandner, der am Max-Born-Institut in Berlin forscht. Ein Laserfusionsreaktor müsste aber bis zu fünf mal pro Sekunde feuern, damit er als Kraftwerk geeignet ist.

Die Hiper-Forscher haben sich also viel vorgenommen. Unter den beteiligten Wissenschaftlern finden sich zahlreiche Deutsche. Wolfgang Sandner etwa sitzt im zehnköpfigen Präsidium des Projektes. „Es gibt eine ganze Reihe deutscher Wissenschaftler, die in den Teilprojekten an führender Stelle mitarbeiten“, sagt er. Auch einige Regierungen beteiligen sich offiziell an dem Projekt. Zurzeit sind es Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Spanien, Italien und Tschechien. Deutschland ist bisher nicht dabei. Und das soll sich laut Bundesforschungsministerium auch nicht ändern. Man müsse Prioritäten setzen, heißt es dazu offiziell. Schließlich beteilige man sich bereits an zahlreichen Großprojekten.

Hinter vorgehaltener Hand wird allerdings ein anderer Grund bestätigt: Die Technologie ist politisch unbequem, denn sie wurde bisher vor allem militärisch genutzt. „Das stimmt“, sagt Sandner. „Die Laserfusion wird zwar niemals direkt militärisch einsetzbar sein, aber die beiden großen Laserfusionsprojekte, die jetzt in Frankreich und Amerika laufen, sind letztlich militärische Forschung. Die Laserfusion dient dort als Versuchslabor, um die Genauigkeit von Computerprogrammen des Militärs zu testen.“ Man wolle mit Hilfe von Lasern eine Kernverschmelzung zünden und dann mit zahlreichen Messgeräten diese Fusion beobachten. Hinterher könne man dann schauen, ob die Computerprogramme diese Fusion in allen Details exakt vorhergesagt haben. „Wenn die Programme das schaffen, dann können sie auch das Verhalten einer Wasserstoffbombe berechnen – und das ist der eigentliche Nutzen.“ So wird der Test von Nuklearwaffen am Computer möglich.

Bei Hiper sei die Situation aber eine ganz andere, sagt Sandner. „Das ist eine rein zivile Einrichtung, da geht es nur um Energiegewinnung. Alles wird veröffentlicht und nichts ist militärisch nutzbar.“ Sandner kann es daher auch nicht nachvollziehen, dass Deutschland sich nicht beteiligt. Er glaube, dass die Laserfusion in der Lage sein werde, große Mengen Energie bereitzustellen. Welche Rolle das dann in dem Mix verschiedener Energiequellen spielen werde, sei allerdings nicht absehbar. „Man sollte aber nicht versäumen, auch diese Route zu verfolgen. Zumindest bis man die Leistungsfähigkeit abschätzen kann“, sagt der Wissenschaftler.

Mike Dunne formuliert es drastischer: „Diese Technologie hat das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern.“ Sie produziere kein Kohlendioxid und nur geringe Mengen radioaktiven Materials, das obendrein eine Halbwertszeit von nur zwölf Jahren habe. Die Energie sei sauber, sicher und schier unerschöpflich, sagt er. „Das einzige Problem ist: Wir können sie noch nicht nutzen.“

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