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Diskussion: Ist Sarah Palin eine Feministin?

Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität und Katha Pollit, Journalistin aus New York, tauschten sich über die Gestalt des Feminismus im 21. Jahrhundert aus.

Ist Sarah Palin Feministin? Eine Frau, die fast Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten geworden wäre – eine selbstbewusste und erfolgreiche Berufspolitikerin mit einem Ehemann, der ihr den Rücken freihält? Entsetztes Kopfschütteln, zweifelnd heben sich die Augenbrauen der Versammelten im Potsdamer Einstein-Forum. Unbehagen regt sich, denn Palins Ausruf, Feministin zu sein, scheint so gar nicht mit ihrer konservativen Haltung in den Fragen Verhütung, Abtreibung oder Lohngleichheit überein zustimmen, den Klassikern feministischer Debatten. Um sich über die Gestalt des Feminismus im 21. Jahrhundert auszutauschen, kamen jetzt Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, und Katha Pollitt, Journalistin und Autorin aus New York, zu einem Gespräch zusammen.

Symptomatisch für den Feminismus sei heutzutage, dass man sich mit ihm nicht mehr identifizieren wolle, sagte Pollitt. Der Satz „Ich bin Feministin, aber …“ sei typisch für junge Frauen, die zwar um die Erfolge des Feminismus wüssten und diese willkommen hießen – vom Wahlrecht bis zur Möglichkeit, in Harvard zu studieren –, aber sich dennoch nicht uneingeschränkt zum Feminismus bekennen wollten. „Vielleicht liegt das am Mythos, Feministinnen würden Männer hassen?“, mutmaßte Pollitt. Möglicherweise wollten die jungen Frauen auch gegen ihre Mütter rebellieren. „Oder haben die Menschen einfach Angst vor zu viel Freiheit?“, fragte sie mit ironischem Unterton.

Trotz der Distanziertheit vieler junger Frauen: Der Feminismus hat in erstaunlich kurzer Zeit erstaunlich viel bewirkt. Darauf machte von Braun aufmerksam. Man müsse darüber nachdenken, wie eine gesellschaftliche Umwälzung wie die Gleichstellung von Mann und Frau innerhalb eines derart kurzen Zeitraums von nur einem Jahrhundert von statten gehen konnte. „Um 1900 wurde noch argumentiert, die biologische Beschaffenheit ihres Unterleibs mache Frauen für die Universität ungeeignet.“ Dass uns solche Thesen heute lächerlich erscheinen, bezeuge den umfassenden historischen Wandel unseres Geschlechterverständnisses. Ermöglicht habe ihn das industrielle Zeitalter mit seiner Ökonomie des freien Marktes: „Der Kapitalismus benötigte das Individuum vorrangig als Konsumenten“, analysierte von Braun. Weibliche Konsum- und Arbeitskräfte seien zum Zwecke des Profits ebenso gebraucht worden wie männliche.

Das erkläre zwar einerseits die Erfolgsgeschichte des Feminismus als zügig voranschreitende rechtliche Emanzipation von Mann und Frau. Andererseits könne dies auch der Grund dafür sein, warum sich Frauen heute nur ungern als Feministin etikettierten: Sich derart abzugrenzen berge die Gefahr, sich von Markt und Macht auszuschließen. Erfolgreiche Managerinnen, die eine Frauenquote in ihren Unternehmen ablehnten, seien ein Beispiel für dieses Paradox.

Pollitt, die in den USA als eine der führenden Linksintellektuellen gilt, bezeichnete insbesondere Schweden als „Paradies“ der formalen Gleichberechtigung. In den USA sei die Mentalität eine andere: „Feminismus steht bei uns für individuelle Freiheit – und nicht für staatliche Kontrolle.“ Wie auch beim Thema Gesundheitsreform hätten die meisten Amerikaner eine große Furcht vor allen staatlich verordneten Strukturen, sei es die öffentliche Kinderbetreuung oder subventionierte Elternzeit. Für viele Frauen gäbe es dann aber einen Aha-Effekt: die Geburt des ersten Kindes. „Diese Menschen dachten, der Feminismus sei überflüssig, und sehen dann: Er ist es nicht“, sagte Pollitt.

Sorge mache ihr die Aneignung des Feminismus, einer eigentlich linken Tradition, durch rechtskonservative Strömungen. „Im letzten Wahlkampf standen Frauen sehr im Zentrum, viele von ihnen haben die politischen Debatten mitbestimmt.“ Das sei ein Erfolg. Doch hätten die Republikaner einen Bedarf nach Verjüngung erkannt und sich den Feminismus in Person von Sarah Palin als erfrischende Geste angeeignet. Feminismus sei jedoch auch heute noch ein Werkzeug für einen politischen Aktivismus, der sich mit der konservativen Einstellung politischer und religiöser Fundamentalisten nicht anfreunden könne, da waren sich Pollitt und von Braun einig. Für jene Frauen, die sich für feministische Belange und Gleichberechtigung einsetzten, sei es geradezu kontraproduktiv, wenn der Begriff des Feminismus durch konservative Politikerinnen derart umgewertet und politisch entleert werde.

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