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Phelps

© dpa

Doping: Im Reich der Mittelchen

Forscher versuchen, potenzielle Doping-Substanzen zu ermitteln, bevor sie benutzt werden.

Es ist nicht ohne Ironie, dass nun Pferde „des Dopings überführt werden“, während mancher menschliche Verdächtige davonkommt. „Nudeln und viel Schlaf“, so beschreibt der 23-jährige US-Ausnahmeschwimmer Michael Phelps seine letzten Vorbereitungen vor den Wettkämpfen, die ihm acht Mal olympisches Gold einbrachten. In seiner Umgebung verweist man auf seinen fürs Schwimmen idealen Körperbau und seine Technik. Viele Beobachter sind trotzdem misstrauisch und suchen andere Erklärungen – im Reich der unerlaubten Mittel. Wie sollten die immer neuen Weltrekorde sonst erklärbar sein?

„Das ist das Perverse an unserem heutigen Sportsystem“, sagt der Sportmediziner Fernando Dimeo von der Berliner Charité, „dass die meisten einen so erfolgreichen Sportler nicht als Vorbild betrachten können, sondern ihn sofort verdächtigen.“ Wo alle damit rechnen, dass Doping im Spiel ist, da wirke sich das nicht nur auf das Image des Sports, sondern auf die Motivation der „sauberen“ Wettkämpfer verheerend aus. „Wenn sie glauben, dass ihre Gegner dopen, dann ist das sehr entmutigend.“

Mit Dopingkontrollen betraut ist Wilhelm Schänzer, Biochemiker an der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Doping soll schwieriger werden“, lautet sein Motto. Spätestens seit 2004 habe die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) die richtige Richtung eingeschlagen. „Der Kampf gegen das Doping wurde verschärft, es kamen neue Nachweismethoden hinzu, vor allem aber sind wir schneller geworden.“ Wo heute noch kein Nachweis existiert, da droht immerhin die nachträgliche Aberkennung von Medaillen, denn die Proben werden bis zu acht Jahre tiefgefroren aufbewahrt.

Dazu kommen Forschungsaufträge, die etwa in Köln zur Bildung einer eigenen Arbeitsgruppe zur präventiven Dopingforschung geführt haben. Die Biochemiker entwickeln Nachweisverfahren für das Doping mit Präparaten, die noch in der Entwicklung sind.

Etwa die Selektiven Androgen-Rezeptor-Modulatoren, die gezielt Andockstellen für männliche Sexualhormone verändern. Als Medikamente könnten diese Neuentwicklungen den Muskelabbau bei Krebspatienten oder Aidskranken bremsen. Bei Sportlern könnten sie deren Aufbau fördern, ohne schwere Nebenwirkungen.

Schlagwort „Gen-Doping“: Verfahren, bei denen wirklich Erbanlagen mit dem Ziel der Leistungsverbesserung in einen Organismus eingeschleust wurden, wurden bisher nur an Labormäusen ausprobiert. Bei diesen Nagern wurde mit Hilfe eines Virus ein Gen eingeschleust, das die Produktion von Erythropoetin (Epo) ankurbeln soll. Der Dopingklassiker gilt als wahres Wundermittel vor allem für Ausdauersportler, etwa für Radler: Denn das Hormon aus der Niere ist für die Produktion der roten Blutkörperchen zuständig, und sind sie in größerer Anzahl vorhanden, dann wird mehr Sauerstoff ins Muskelgewebe transportiert.

Neuerdings kommt bei Epo zwar keine echte Gen-Therapie, aber doch ein gentechnisches Verfahren ins Spiel: „Damit sollen Haut- und Muskelzellen zur Produktion von Erythropoetin gebracht werden, die dann außerhalb der Niere stattfinden kann“, erläutert Schänzer. Der Biochemiker ist jedoch zuversichtlich, dass dieses Epo aus der Zellfabrik die genetischen Spuren seiner Herstellung tragen und deshalb gut nachweisbar sein dürfte.

Das sieht bei den Myostatin-Inhibitoren schon etwas anders aus. Diese Stoffe blockieren die Produkte eines Gens, das den Muskelaufbau hemmt. Eine Hoffnung für Menschen mit krankhaftem Muskelschwund – und für solche, die die Grenzen ihres natürlichen Muskelaufbaus sprengen wollen. Die Neuentwicklungen wurden zwar von der Wada vorsorglich in die Liste der verbotenen Substanzen aufgenommen. „Wir haben jedoch noch keine Nachweisverfahren“, bedauert Schänzer.

Ob es auch an einem Mangel an Testverfahren liegt, wenn seine Kollegen aus Peking bisher nur von wenigen positiven Dopingbefunden berichten? Schänzer vermutet, dass die Athleten und Verbände seit Athen 2004 vor allem deutlich vorsichtiger geworden sind.

Allerdings gibt es auch immer wieder Versuche mit Medikamenten, die bisher beim Doping nicht zur Anwendung kamen. So wurden jetzt zwei Sportler positiv auf Methyltrienolon getestet. Ein Designerhormon, chemisch dem bekannten, schnell abbaubaren Dopingmittel Tetrahydrogestrinon ähnlich und als Pille einzunehmen – doch in der Humanmedizin nicht zugelassen. „Das Mittel wurde vor einiger Zeit zuerst bei griechischen Gewichthebern gefunden, es bindet sich an die Andockstellen für Androgene im Körper und hat möglicherweise ein hohes anaboles Potenzial“, sagt Schänzer.

Muskelmasse und Kraft werden aber zumindest im Tierversuch auch von Medikamenten gesteigert, die eine große Gruppe von Athleten in Peking derzeit ganz legal inhalieren kann: Beta-2-Agonisten erweitern die Bronchien von Asthmageplagten. Und unter Belastungsasthma soll jeder fünfte Pekingteilnehmer leiden.

Der schnellere Atem unter Belastung führt bei Leistungssportlern leicht zur Verengung der Blutgefäße in den Bronchien und der Atemwege, im Schwimmbecken reizen zusätzlich Chlorverbindungen. In Peking kommen Staub und Abgase hinzu, die einige Athleten dazu brachten, abzusagen.

Vor allem unter Freizeitsportlern in der Bodybuilding-Szene weit verbreitet sind Wachstumshormone. Der in Athen eingesetzte Test fiel allerdings bei keinem Teilnehmer positiv aus. Wie das „Deutsche Ärzteblatt“ berichtete, vermuten Experten, dass die Sportler die Hormone rechtzeitig abgesetzt haben.

Möglicherweise hätte man ihnen zur Leistungssteigerung auch eine Zuckerpille geben können. Dafür spricht eine Studie, für die australische Mediziner 64 Freizeitsportlern nach dem Zufallsprinzip und ohne deren Wissen entweder Wachstumshormon oder ein Scheinmedikament (Placebo) spritzten. Die Wachstumshormone erhöhten die Leistungsfähigkeit nicht stärker als das Placebo. Auch diejenigen, die den Wirkstoff nicht erhielten, fühlten sich fitter. Entscheidend war, eine Spritze zu bekommen.

Warum also Hormone verbieten, die teilweise als Placebo wirken, wenn andererseits Nahrungsergänzungsmittel wie konzentrierte Aminosäuren oder Carnitin erlaubt sind, die doch die Trainierbarkeit und Leistungsfähigkeit leicht verbessern können? Und warum darf der Teilnehmer eines Wettkampfs sich nicht mit Cannabis entspannen, was einem Schauspieler oder Tänzer nicht verübelt würde? Warum ist dem Bogenschützen der Betablocker verwehrt, der den Blutdruck senkt und die Hand ruhiger macht – während der Flötist vor dem Konzert ruhig eine Tablette davon nehmen darf?

„Wenn wir Musik hören, ist es uns egal, was der Musiker dazu eingenommen hat“, sagt der Sportmediziner Dimeo. Der kleine Unterschied gehört für ihn zu den Spielregeln. „Beim Doping werden diese Regeln weiter verletzt werden, und die Verantwortlichen werden weiter auf ihre Einhaltung pochen.“

Adelheid Müller-Lissner

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