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Widerborstig. Diese kleinen Haare weisen Wasser ab und halten Luft gefangen - unter anderem dadurch, dass sie ganz oben an ihren Spitzen Wasser dann doch extrem anziehen. Denn nur deshalb kann die Luft darunter kaum entweichen.

© Ohio State University

Schifffahrt: Eine schlüpfrige Rumpflösung für Klima und Umwelt

Mit einem aus der Natur abgeschauten Prinzip könnte die Schifffahrt deutlich sauberer und sparsamer werden.

Der Schiffsverkehr ist weltweit für drei Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Schiffe stoßen doppelt so viel Kohlendioxid aus wie der gesamte Flugverkehr. Und da Schweröl nach wie vor der wichtigste Treibstoff ist, sind auch die Partikel-Emissionen der Schifffahrt extrem. Aber eine Reduktion um bis zu 30 Prozent wäre möglich – mithilfe eines aus der Natur abgeschauten Prinzips.

Gleiten statt Segeln

Tatsächlich sucht man seit Langem nach Wegen, Kraftstoff einzusparen. Getestet wurden etwa spezielle Lacke und Oberflächenstrukturen. Vor wenigen Jahren gelang es, Beschichtungen zu entwickeln, die der Haut von Delfinen ähneln und den Strömungswiderstand und den Treibstoffverbrauch um etwa sechs Prozent mindern. Eine andere Möglichkeit sind vollautomatisch gesteuerte Zugdrachen. Schon vor über zehn Jahren schien hier der Durchbruch nahe. Die Pleite der deutschen Beluga-Reederei, Hauptabnehmer der Technologie, und nach wie vor niedrige Kraftstoffpreise führten aber dazu, dass heute, soweit bekannt, nicht ein Frachter weltweit per Drachensegel Sprit spart.

Doch Luft kann Schiffe nicht nur über Wasser bewegen helfen. Forscher aus mehreren Ländern entwickeln im Projekt „Aircoat“ derzeit eine Beschichtung, die tatsächlich aus Luft besteht. Sie würde den Reibungswiderstand herabsetzen und zu deutlicher Verbrauchsreduzierung beitragen. Von 25 bis 30 Prozent ist die Rede. Grundlage ist der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entdeckte Salvinia-Effekt, der es Schwimmfarnen ermöglicht, eine Luftschicht unter Wasser festzuhalten. Die Europäische Kommission fördert das im Mai 2018 gestartete Projekt über drei Jahre mit 5,3 Millionen Euro.

Luft festhalten

Dem Geheimnis des Schwimmfarns Salvinia molesta sind Thomas Schimmel vom KIT und Wilhelm Barthlott von der Uni Bonn auf die Spur gekommen. Für Barthlott, inzwischen emeritiert, war es nicht das erste Mal, dass er einer Besonderheit pflanzlicher Oberflächen auf den Grund ging. Er hat vor Jahrzehnten bereits den Lotus-Effekt und dessen technische Nutzbarkeit entdeckt. Irgendwann kam er auf den Physiker Schimmel zu und sagte: „Ich hätte da eine Idee: Es gibt eine Pflanze, die hält unter Wasser Luft an ihren Blattoberflächen und keiner weiß, wie sie das macht“. Bald darauf begann in beiden Arbeitsgruppen die gemeinsame Suche nach den Mechanismen.

Die Wissenschaftler vom KIT fanden an den Härchen auf der Blattoberfläche kleine Wachskristalle, die das Wasser von den Blättern abhalten. Die Spitzen der an Schneebesen erinnernden Härchen sind dagegen ausgesprochen hydrophil, also Wasser anziehend. Sie halten als dichtes Haarpolster einen Wasserfilm fest, der das Entweichen der überlebenswichtigen Luft verhindert.

"Die drei großen Probleme der Schifffahrt lösen"

Um genau das nachweisen zu können, mussten Schimmel und sein Team völlig neue Geräte entwickeln. Mit ihnen konnten sie die mikroskopisch kleinen Haarspitzen der Farne mit einer wasserabstoßenden Nanoschicht abdecken. Ein einzelnes, lebendes Pflanzenhaar chemisch so zu behandeln, dass es biologisch nicht beschädigt wird, sei eine Herausforderung gewesen, so Schimmel. Doch es gelang, und die so behandelten Härchen waren nun nicht mehr in der Lage, das Luftpolster zu binden. Es war der Beleg dafür, dass das Luftpolster aufgrund der Eigenschaft der Haarspitzen festgehalten wird.

„Uns ist bei den Versuchen schnell klar geworden, dass wir die drei großen Probleme der Schifffahrt lösen können, sagt Schimmel: „Reibung zwischen Rumpf und Wasser, Korrosion durch Salzwasser und Fouling." Letzteres steht für die unerwünschte Ansiedlung von Pflanzen und Tieren an Schiffsrümpfen. Es erhöht den Kraftstoffverbrauch. Die Lösung dieses Problems ist bislang eine alles andere als saubere: „An den Rümpfen kommen toxische Mittel gegen Fouling zum Einsatz, Schiffe ziehen verheerende Giftspuren durchs Wasser", sagt der Physiker.

Helfer, aber auch Störer

Mit Salvinia-Beschichtung soll so etwas nicht mehr notwendig sein. „Der Weg von der Pflanze ins Labor war sehr erfolgreich, und im Projekt Aircoat wollen wir den Salvinia-Effekt nun vom Labor aufs Schiff übertragen", sagt Schimmel, der das Projekt als wissenschaftlicher Koordinator leitet. Er verweist auf Untersuchungen, die Mut machen. Eine von seiner Gruppe entwickelte Methode zur Herstellung einer künstlichen Oberfläche, die den Effekt nachahmt, sei bei einem frühen Prototyp angewandt worden. Vor mehr als fünf Jahren kam er ins Wasser und „ist immer noch mit einer dauerhaften Luftschicht bedeckt“.

In der Technik könnte Salvinia molesta also eine echte Problemlöserin werden. In der Natur dagegen macht sie ihrem Namen - molestare heißt auf Latein „stören“ - alle Ehre. Sie ist eine der problematischsten invasiven Pflanzen weltweit. Grund ihres Erfolges scheint der nach ihr benannte Effekt zu sein: Für reibungsarmes Schwimmen nutzt die Pflanze ihre Oberfläche nicht einmal. Doch sie lässt sich ihrerseits von kaum etwas stören, weil sie aufgrund ihres quecksilbrig glänzenden Luftvorrates auch unter Wasser lange einen vergleichsweise hocheffektiven Gasaustausch aufrechterhalten kann. Damit hat sie deutliche Vorteile gegenüber anderen Wasserpflanzen.

Es gibt allerdings Tiere, bei denen sich ganz ähnliche Strukturen entwickelt haben. Wasserwanzen aus der Familie der Rückenschwimmer etwa hilft ein solches Luftpolster dabei, sich besonders schnell durch ihr Element zu bewegen. Ihre spezielle Haut allerdings eignet sich nicht als Vorbild für Schiffe, weil sie die Luft nicht besonders lange festhält.

Roland Schulz

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